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STUTTGART/ Staatsoper: „DIE ZAUBERFLÖTE“ – Fantasiewelten in kammermusikalischem Format. Premiere

04.10.2020 | Oper international


Papageno und Papagena mit reichem Kindersegen. Foto: Martin Sigmund.

Stuttgart

„DIE ZAUBERFLÖTE“ 3.10.2020 (Premiere) – Fantasiewelten in kammermusikalischem Format

Wie unverhältnismäßig und dadurch unfair die Hygienemaßnahmen für Kulturveranstaltungen in den einzelnen Bundesländern bzw. Nachbarstaaten wie Österreich und der Schweiz sind, wird sogleich am Beispiel der Eröffnung der neuen Saison an der Stuttgarter Oper deutlich. Da können aufgrund des geringeren auferlegten Sicherheitsabstandes in letzteren wesentlich mehr Karten verkauft werden oder z.B. an der Deutschen Oper Berlin eine Oper wie die „Die Walküre“ in voller Orchestergröße im Graben gespielt werden, während in Baden-Württemberg selbst eine Mozart-Oper noch in reduzierter Instrumental-Besetzung gespielt werden muss. Ehrlich gesagt geht doch da etwas nicht mit richtigen Dingen zu und es entsteht die dringende Frage, ob sich denn der Virus von Region zu Region unterschiedlich verhält??? Da sich die Lage aller Voraussicht nach nicht so schnell entspannen wird, sollte auch an der Stuttgarter Oper überlegt werden, das laut Echo gut funktionierende Konzept des Opernhauses Zürich zu erproben, wo das Orchester in jeweils voller Größe aus einem Proberaum live zugeschaltet wird. Total ausgedünnte Klangkulissen bei (spät-)romantischem Repertoire verzerren die Spezifik und Farbreichtum der Werke und bedeuten darüber hinaus mangelnde Beschäftigung für alle Musiker eines Orchesters.

Jetzt bei Mozart geht dieses Experiment zumindest größtenteils auf, weil uns die kammermusikalische Transparenz bei dem gerade mit je 5 Streichern und 5 Bläsern sowie Schlagwerk eingesetzten Staatsorchester Stuttgart die bis ins kleinste Idiom menschlich tiefe Empfindung des Komponisten bewusst macht und über weite Strecken auf vieles aufmerksam macht, was sonst eher verschleiert bleibt. Da entstehen deutliche Parallelen zu Mozarts Harmoniemusiken sowie diversen Kammermusik-Besetzungen. Nur die feierliche bzw. dämonischere Welt der beiden Kontrahenten Sarastro und Königin der Nacht entbehrt im Salon-Format des überzeugenden kraftvollen Fundaments. Hossein Pishkar leitet die Aufführung mit hörbarer Liebe zum Detail als auch Geschick im Zusammenhalt aller Musiker und lässt die Pauke bedeutungsvolle Akzente setzen. Ein Alleinstellungs-Merkmal ist der Einsatz eines links vorne im Parkett platzierten Hammerklaviers, das Dorothea Schwarz nebst dem Glockenspiel bei den aus Mozarts Klavierfantasien KV 396 und 397 bestehenden Zwischenspielen zu den stummen und aufs Minimalste reduzierten Dialogen bedient.  

Dieser Eingriff gehört zum Konzept der Inszenierung von Barrie Kosky im Verein mit der britischen Theatertruppe 1927, die 2008 an der Komischen Oper Berlin Premiere hatte und seither über 400 Mal auch an anderen Bühnen international gespielt wurde und nun  in Stuttgart überraschend schnell die noch im Frühjahr angesetzt gewesene und aufgrund der Theaterschließung ausgefallene bisherige, allerdings unsäglich holzhammerartige Inszenierung von Peter Konwitschny ablöst bzw. von dieser mit einer auf anspruchsvolle Art anregend unterhaltenden Alternative erlöst. Der Clou dieser vielfach erfolgreichen Beschäftigung mit Mozarts Opus summum ist die Regie in Form eines Animationsfilms mit darin eingebetteten in Stummfilm-Manier agierenden Akteuren, der rhythmisch genau auf Mozarts Musik abgestimmt ist. Es handelt sich also um keinen zusätzlichen eingesetzten audiovisuellen Kommentar zum Geschehen, der Film ist vielmehr die Inszenierung selbst. Was sich in dieser Form an fantasievollen Ausgeburten, die die Personen auf dem Weg des Erkenntnisses und der Reifung zu ihrer Suche nach Liebe assoziieren, versinnbildlichen lässt, scheint grenzenlos und ebenso sinnstiftend wie musikalisch übereinstimmend. Mittels dynamischer Steuerung der Animationen sind blitzschnelle Veränderungen sowie Ineinandergleiten von Sarastros Sonnenbezirk und dem nächtlichen Reich der Königin möglich. Die Schlange entpuppt sich als Drachen, aus dessen Höhle Tamino befreit wird, eine Katze wird zum Wegbegleiter, eine von Monostatos eingesetzte wilde Hundemeute, lanzenbewehrte Affen, fliegende Elefanten, die Königin als Spinnenfrau und die Knaben im Schmetterlingskleid bereichern die Tierwelt. Feuer und Wasser, bauliche Requisiten, Blumen und allerlei gedankliche Anspielungs-Elemente verschmelzen zu einem Kosmos, den eine reelle Ausstattung gar nicht erfüllen könnte. Die Personen sind von Esther Bialas in Anlehnung an bekannte Charaktere der Stummfilmzeit in Kostüme der 1920er Jahre gekleidet, Männer in schwarzem Anzug und Zylinder lassen leicht an die Freimaurer-Sektierung denken, auch wenn dieser Aspekt in der Inszenierung keine bedeutende Rolle spielt. Ob deshalb die Sprecher-Szene geopfert wurde? Nach anfänglicher Gewöhnungsbedürftigkeit der übermächtig scheinenden optischen Komponente erweist sich diese als durchaus geschickt und handlungskonform, selbst kabarettistische Anleihen bringen die nötige Balance zwischen Ernst und Heiterkeit nicht ins Wanken.

Aufgrund der Corona-Regeln musste eine diesen gerecht werdende Lösung für die Darsteller gefunden werden. Die Aufteilung in eine singende und eine spielende Hälfte ist im Sinne eines Gesamtkunstwerks zunächst fragwürdig, doch greift die Spaltung mehr und mehr, weil die szenischen Vorgänge ganz dem musikalischen Grundrhythmus  angepasst sind und es zwischendurch genügend Ruhepunkte gibt, in denen die jeweils Aktiven auf ebener Erde oder auf einer erhöhten Plattform mit einem Lichtkegel aus dem Dunkel hervor gehoben werden. So auch am Ende das geweihte Paar Tamino und Pamina nach dem Bestehen ihrer Prüfungen vor dem geschlossenen roten Vorahng. Tänzer und Statisten, die hiermit ohne Namensnennung als Gesamtheit für ihre präzisen Einsätze erwähnt seien, übernehmen also die stumm bleibenden Bühnenfiguren (die nicht gesprochenen kurzen Texte werden eingeblendet), während die SängerInnen an exponierten Stellen in beidseitigen vorderen Beleuchter- und Proszeniumslogen in düsterem Licht ihre Stimmen erheben, was deren Präsenz trotz verschobener Raumwirkungen durchaus gut tat.


Lorenzo Soragni (Tamino), Michael Fernandez (Papageno). Foto: Martin Sigmund

Von kleineren Einschränkungen abgesehen sind die Stimmcharaktere gut ausgewählt. Josefin Feiler ist eine Pamina mit innig pianofähigem Sopran, der nur in einem manchmal etwas strengeren Forte bereits einen Wechsel in dramatischere Gefilde hörbar macht und am Premierenabend wahrscheinlich anspannungsbedingt nicht durchgehend zu ruhiger Führung fand. Mingjie Lei betört als Tamino mit edel weichem Timbre, einfühlsamer Phrasierung und weitem Legato-Atem, seine berühmte und reichlich vorbelastete Arie lässt mehr als nur aufhorchen. Johannes Kammler, wie die beiden Kollegen Rollendebutant, vereint als Papageno liedhafte Schlichtheit und operngerechte Kernigkeit in seinem bereits männlich gestandenen, dabei elastischen Bariton. Clare Tunney gesellt sich schließlich zu ihm als Papagena mit reizvoll lebendigem Sopran, begleitet von der Animation eines reichen, allerdings noch unerzogenen Kindersegens.

Beate Ritter hat die Königin der Nacht hörbar bestens erprobt in der Kehle, singt die beiden Arien mit schlanker Führung, sicher aufblitzenden Koloraturen, nicht nur angetippten Extrem-Höhen und ohne den zu schmalen Unterbau mancher Kollegin. David Steffens bringt für den Sarastro sonore Führung sowie die erforderliche Ausdrucks-Gewichtung und autoritäre Würde mit. Das Fehlen eines schwärzeren Timbres ist angesichts eines heute generellen Mangels an solchen Bässen leicht zu verschmerzen. Heinz Göhrig hat auch im fortgeschrittenen Alter nichts an tenoraler Frische eingebüßt und gibt dem Monostatos sowohl vokale Leichtigkeit als auch expressive Dringlichkeit. Catriona Smith, Maria-Theres Ullrich und Stine Marie Fischer sind ein klangvoll übereinstimmendes Damen-Trio mit minimalen Schärfen. Schade, dass sie auch den Part der drei Knaben übernehmen, weil deren Gesänge so idiomatisches Gepräge und berührende Unschuld vermissen lassen.  Von den beiden Geharnischten bleibt der solide Baß von Jasper Leever gegenüber dem sehr präsenten, klaren und wortdeutlichen Tenor von Moritz Kallenberg etwas im Hintertreffen.

Die verkleinerte Formation des Staatsopernchores (Einstudierung: Bernhard Moncado) wurde aus dem Off klanglich und synchron einwandfrei zugeschaltet.

Wenn zuletzt zur Preisung der siegenden Liebe Mozarts Noten wie ein tänzerischer Reigen über die Leinwand-Szene gleiten, setzt die Regie nochmals ein Zeichen, welches Gewicht die Musik bei Oper besitzt. Im lange anhaltenden Schlussbeifall schwang deutlich die Dankbarkeit des Publikums mit, trotz gewissen Kompromissen wieder einem Live-Erlebnis teilhaben zu können.

 Udo Klebes

 

 

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