Lorenzo Soragni (Tamino), Michael Fernandez (Papageno). Foto: Martin Sigmund
Premiere: Mozarts „Zauberflöte“ als Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin am 3. 10. 2020 in der Staatsoper/STUTTGART
Stummfilmsequenzen in Zeitebenen
Die Story ist so komplex wie eigentlich einfach: Tamino soll im Auftrag der Königin der Nacht deren Tochter Pamina, die von Sarastro in einem Weisheitstempel festgehalten wird, retten. Und der Vogelfänger Papageno wird mit auf Taminos Reise geschickt. Nach zahlreichen Prüfungen finden Tamino und Pamina ihr Glück. Und auch Papageno bekommt seine Papagena. Die Königin der Nacht und ihr Gefolge allerdings versinken in der Dunkelheit, sie sind dem strahlenden Sonnenglanz Sarastros nicht gewachsen. In der Regie von Barrie Kosky und Suzanne Andrade spielen Fantasy, Surrealismus und Magie eine große Rolle. Im Stil der ersten Show von „1927“ kommt es hier zu einer raffinierten Mischung aus Stummfilm, Music Hall, Comic und Collage. Die Königin der Nacht etwa mutiert zu einer riesigen Spinne, die in furchterregender Weise ihr Netz ausbreitet. Es gibt bei dieser Arbeit auch eine innere künstlerische Verbindung zur Stadt Berlin, von der gerade in den 20er Jahren viele künstlerische Impulse ausgingen. Papageno trägt beispielsweise Züge von Buster Keaton, Monostatos erinnert an Nosferatu – und Pamina weckt Assoziationen zu Louise Brooks.
Martina Borroni (Pamina), Sebastian Petrascu (Monostatos). Foto: Martin Sigmund
1927 war auch das Jahr des ersten Tonfilms. Mit unglaublicher Tricktechnik blenden hier Skelette, Tiere, Uhrwerke oder Sterne das Auge des Zuschauers. Die szenische Einstudierung von Tobias Ribitzki, die Animation von Paul Barritt („1927“) sowie Bühne und Kostüme von Esther Bialas beleuchten diesen magischen Kosmos auf besondere Weise. Unter der inspirierenden Leitung von Hossein Pishkar musiziert das Staatsorchester Stuttgart dabei eine sehr kammermusikalisch gehaltene „Zauberflöte“, bei der die Themen und Motive aber deutlich triumphieren. Das ebenmäßige Allegrothema kann sich so jedenfalls bestens behaupten. Fugiert und in kontrapunktischen Wendungen entfaltet es unter Pishkars Leitung seine ganze Pracht. Festliche Harmonie beherrscht immer wieder die Szene. Die Leuchtkraft dieser Musik ergänzt überzeugend die überwältigenden Bilderfluten.
Manchmal verliert die Inszenierung den berühmten roten Faden – das ist allerdings der einzige Schwachpunkt dieser szenisch überaus starken Arbeit. Videoprojektionen ergänzen seelische Vorgänge. Dies passt auch gut zu den Sängern, die von Statisten und Tänzern ergänzt werden. Josefin Feiler (Pamina) sowie Mingjie Lei (Tamino) arbeiten die gehobene Gefühlssprache dieses Paares sehr schön heraus, während Johannes Kammler (Papageno) und Clare Tunney (Papagena) den einfachen Lied- und Volkston in bewegender Weise betonen. Beate Ritter ist eine wahrhaft beeindruckende Königin der Nacht, die ihre Koloraturen pfeilschnell abschießt, wobei die Arabesken, Kaskaden und Girlanden der Stimmführung glanzvoll hervorblitzen. Selbst höchste Spitzentöne klingen dabei lupenrein. Das rasende d-Moll-Gewitter dieser Rolle kann man kaum packender gestalten. David Steffens agiert als Sarastro mit fulminantem Bass, während Heinz Göhrig als Monostatos ein glänzendes Charakterporträt bietet. Sarastros E-Dur-Arie „In diesen heil’gen Hallen“ erhält bei David Steffens erhabenes Gewicht. Von der subtilen Vertiefung und Steigerung des musikalischen Ausdrucks profitieren ferner Catriona Smith, Maria Theresa Ullrich und Stine Marie Fischer als die drei gesanglich überaus souveränen Damen. In weiteren Rollen gefallen ferner Moritz Kallenberg (erster Geharnischter) und Jasper Leever (zweiter Geharnischter). Die einfühlsame Choreinstudierung von Bernhard Moncado lässt den Staatsopernchor in hellem Klangzauber erscheinen. Bei der berühmten „Bildnis“-Arie verdeutlicht Mingjie Lei als Tamino die schmelzende Wendung nach innen sehr eindringlich. Der harmonische Bau gerät durch die Subdominante As in Fluss. Rhythmische Prägung und melodische Überhöhung ergänzen sich immer wieder auch bei den anderen Sängerinnen und Sängern gut, da gerät nichts aus dem Gleichgewicht. Die dramatische Architektur dieser Musik wird vom Dirigenten Hossein Pishkar vor allem gegen Ende hin zusammengehalten. Das Freimaurer-Ritural brechen Barrie Kosky und Suzanne Andrade visuell wiederholt auf, wobei der Sonnen-Ritus dezent hervorgehoben wird. Gleichzeitig droht Sarastros unerbittlich mahnender Rhythmus im Lebewohl der Liebenden unterzugehen.
Überhaupt ist es eine geschickte Lösung, die Sänger von der Empore aus auftreten zu lassen. Somit kann man dann nämlich auch nachvollziehen, wie sich das gesamte Orchester mit dem Liebespaar identifiziert. Bewährungsprobe und Läuterungsprozess führen zu einer berührenden Vereinigung der harmonischen Klangflächen. Vor allem die C-Dur-Welt Sarastros nimmt die Zuhörer hier gefangen. Die „Zauberflöte“ ist übrigens als politische Allegorie aufgefasst worden. So gibt es Dokumente dafür, dass man im Zusammenhang mit der Untersuchung gegen die österreichischen Jakobiner die Königin der Nacht als die despotische Regierung von Ludwig XVI., Pamina und Tamino dagegen als Personifikation von Freiheit und Volk auffasste. In gewisser Weise greifen Barrie Kosky und Suzanne Andrade diesen Gedanken auf. Bemerkenswert ist ebenso, dass die Figuren doppelt besetzt sind – sowohl als Sänger wie auch als Statisten. Martina Borroni (Pamina), Lorenzo Soragni (Tamino), Michael Fernandez (Papageno) sowie Sebastian Petrascu (Monostatos) treten als Tänzer auf, während Olena Shvab (Königin der Nacht), Stefanie Bloch (Papagena), Martin Tyszko (Sarastro, erster Geharnischter) und Roland Möll (zweiter Geharnischter) als Statisten erscheinen. In weiteren Tanzrollen sind noch Miriam Markl, Daura Hernandez Garcia und Alexandra Mahnke zu sehen (die drei Damen und Knaben). Für diese Aufführung als gelungene Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin gab es begeisterten Schlussapplaus.
Alexander Walther