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STUTTGART/ Staatsoper: DIE VERURTEILUNG DES LUKULLUS von Paul Dessau

02.11.2021 | Oper international

„Die Verurteilung des Lukullus“ von Paul Dessau am 1.11.2021 in der Staatsoper/STUTTGART 

Opulente und intensive Bilder

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Foto: Martin Sigmund

Der Textdichter Bertolt Brecht hatte schon immer den Wunsch, die interessantesten Gerichtsprozesse im Panoptikumtheater zu inszenieren. Diese Assoziationen sind bei der Aufführung sofort zu spüren. Etwas nostalgisch blüht die DDR-Welt auf. Paul Dessaus Musik passt gut zu diesem Gedankengang. In der Inszenierung von Franziska Kronfoth und Julia Lwowski spielt die unendlich große Gleichzeitigkeit der Bilder eine ebenso große Rolle wie die Collage und Montage. Der römische Feldherr Lukullus muss nach seinem Tod vor Gericht. Während man dem ruhmreichen Eroberer auf Erden Denkmäler setzt, konfrontieren die Schöffen des Totengerichts ihn vor allem mit der Frage, welchen Nutzen sein Handeln für die Menschen hatte. Lukullus, der hier zunächst rechthaberisch auftrumpft, wird allmählich immer kleinlauter. Schließlich urteilt das Schöffengericht, dass er im Nichts verschwinden solle.

Gleich zu Beginn trägt man Lukullus in dieser farbigen und fantasievollen Inszenierung im Foyer zu Grabe. Es ist ein Heulen und Zähneklappern, das dem Konzept Hauen und Stechen in überzeugender Weise gerecht wird. Dabei dominiert satirische Ironie. Aus dem Munde einer alten Frau muss Lukullus dann erfahren, dass das Totengericht seiner harre. Dabei sieht man große Felsen auf der Bühne, auf denen die überwiegend ehrenamtlichen Richter in ihren überdimensionalen Roben Platz genommen haben. Man befragt die Schatten der Personen, die sich auf dem Fries befinden. König und Königin berichten über die Kriegswirren, die das Land ins Unglück stürzten. Unter den Zeugen befindet sich auch ein Fischweib, dessen Sohn im Krieg gefallen ist. Video und Live-Kamera (facettenreich: Martin Mallon) spielen dabei eine große Rolle. Die Bühne von Christina Schmitt und die Kostüme von Yassu Yabara verwandeln die höllischen Räumlichkeiten in virtuos-visueller Weise. Der Koch Lasus wird hier als Feinschmecker mit einem Totenkopf dargestellt, der seinen Herrn entlasten möchte. Abgehackte Hände und andere grausige Utensilien werden in der Gemüsebrühe gekocht. Das alles scheint in einem eher biederen Wohnzimmer stattzufinden, das sich in Nebelschwaden allerdings in eine unheimliche Unterwelt-Atmosphäre auflöst. In der Beratung wird schließlich festgestellt, dass das Unheil, das Lukullus gestiftet hat, weit schwerer wiegt wie seine Verdienste. Der pedantische Lehrer setzt Lukullus ebenfalls zu. So wird er schließlich verurteilt.

Nach dem Krieg wurde Bertolt Brechts Anti-Kriegs-Hörspiel aus dem Jahre 1939 in eine Oper als Prozess kollektiver Urteilsfindung verwandelt. Die formalen Elemente aus dem Radiostück werden in dieser Inszenierung ganz bewusst übernommen. Dabei gewinnt das szenische Geschehen immer mehr an Präzision und Farbigkeit. Eine gewisse musikalische Nähe zu Igor Strawinskys Oratorium „Oedipus Rex“ wird vom Dirigenten Bernhard Kontarsky auch gar nicht geleugnet. Er leitet das mit einem starken Schlagzeugarsenal aufwartende Staatsorchester Stuttgart mit souveräner Übersichtlichkeit und hervorragender Präzision. Es gibt in diesem Orchester nämlich keine Bratschen und keine Geigen – auch hier bestehen Assoziationen zu Strawinskys „Psalmensinfonie“. Zehn Bläser, eine Harfe und drei  Klaviere tragen zum überwältigenden Klangkosmos bei, hinzu kommt ein Trautonium. Eine gewisse Nähe zur Nummernoper und barocken Oper arbeitet Bernhard Kontarsky mit dem konzentriert agierenden Ensemble stets glaubwürdig heraus. Die romantische Oper im 19. Jahrhundert wird ebenfalls nicht verleugnet. Fanfaren, Staccato- und Ostinato-Effekte erhöhen die elektrisierende Spannungskraft dieser oftmals glutvollen Musik. Als römischer Feldherr Lukullus brilliert Gerhard Siegel mit wandlungsfähigem und strahlkräftigem Tenor. Man nimmt ihm seinen Enthusiasmus für die Erotik des Essens sofort ab. Auch eine Da-Capo-Arie im Stil von Bistrot-Musik mit einem Akkordeon ist dabei zu vernehmen. Eine starke Nähe besteht da zur Musik Kurt Weills. Es gibt auch ein Solocello-Pizzicato. Geistliche Musik, Passionen und Marschmusik lassen grüßen und geben dem harmonischen Gewand eine unglaubliche stilistische Vielfalt, die Bernhard Kontarsky mit dem Staatsorchester Stuttgart glänzend erfasst. Es gibt ebenso eine Nähe zu Luigi Nono. Ein verzweigtes Lautsprechersystem scheint Raumklangwirkungen zu erzielen. Vereinzelt agieren die Figuren auch mit einer Filmkamera. Man spürt natürlich ebenfalls, wie stark sich Paul Dessau mit Filmmusik beschäftigt hat. Auch der von Manuel Pujol einfühlsam einstudierte Staatsopernchor Stuttgart sowie der von Bernhard Moncado souverän geleitete Kinderchor zeigen große gesangliche Präsenz. Parlando-Passagen und ein psalmodierender Rezitativton beherrschen die Stimmen. Oratorienhafte Elemente zeigen sich im  expressiven Finale, dessen Ausdruckszauber Kontarsky sehr überzeugend beschwört. In weiteren Rollen fesseln Friedemann Röhlig als König, Alina Adamski als Königin und erste Aufruferin, Jorge Ruvalcaba als erster Legionär, Gerard Farreras als zweiter Legionär sowie Torsten Hofmann als Koch des Lukullus – Lasus. Eine hervorragende Leistung bietet außerdem Maria Theresa Ullrich (Mezzosopran) als Fischweib. Sie klagt ihr Kriegsleid mit großer Intensität. Zudem überzeugen Elliott Carlton Hines (Kirschbaumträger), Deborah Saffery (Kurtisane), Philipp Nicklaus (Lehrer), Heinz Göhrig (Bäcker), Jasper Leever (Bauer), die mit voluminösen Kantilenen agierende Cheryl Studer als alte Frau Tertullia, Laia Valles als zweite Aufruferin, Clara Tunney als dritte Aufruferin und Simon Bailey als Totenrichter. Thorbjörn Björnsson (Sprecher des Totengerichts) und Gina-Lisa Maiwald als kommentierende Frauenstimme zeigen starke Präsenz. Es gelingt der Inszenierung, die sich teilweise stark kontrastierenden  Bilder zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Manchmal hätte man sich eine noch stärkere psychologische Akzentuierung im Zusammenspiel der Figuren gewünscht. Zuletzt sinkt als großer Hoffnungsschimmer ein Ufo herab. Das scheint der Aufbruch in eine neue Zeit zu sein. Großer Jubel für das gesamte Ensembl in der mit 1400 Gästen besetzten Staatsoper.  

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Alexander Walther

 

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