Gezim Myshketa, Heinz Göhrig. Copyright: A.T.Schaefer
Vincenzo Bellinis Oper „Die Puritaner“ am 24. Juli 2018 in der Staatsoper/STUTTGART
ZITATE AUS DER KUNSTGESCHICHTE
Mit zahlreichen Zitaten aus der Kunstgeschichte wartet Jossi Wielers und Sergio Morabitos Inszenierung von Bellinis „Puritanern“ auf. Das Ambiente in der Festung wird genau eingefangen. Der Bürgerkrieg in England zwischen den königstreuen Kavalieren und den puritanischen Rundköpfen unter Oliver Cromwell zeigt hier verschiedene Gesichter, einmal stellt das Regieteam sogar einen Bezug zur Gegenwart her (Bühne und Kostüme: Anna Viebrock; Mitarbeit Kostüme: Otto Krause). Wie sich Elvira dabei aus den Mauern der von den Königstreuen belagerten Puritaner-Festung träumt, kommt in eindringlichen Bildern zur Geltung. Und der Bräutigam Riccardo hat erfahren, dass der Vater sein ihm gegebenes Heiratsversprechen zurückgenommen hat und in die Liebesheirat Elviras mit Arturo einwilligt. Ihr zweiter Vater Giorgio tröstet Elvira vor der Zwangsehe.
Mit stringenter Personenführung beweisen Jossi Wieler und Sergio Morabito ihren Sinn für aufwühlendes Bühnengeschehen. Die Figuren haben alle einen genauen Bezug zueinander. Arturo will Enrichetta, die Witwe Karls I., vor der drohenden Hinrichtung bewahren. Eindrucksvoll erkennt man, wie sich Enrichetta hier an den Bildnissen Karls I. festkrallt und wie sie von der wütenden Menge misshandelt und schließlich weggesperrt wird. Da kommt plötzlich noch einmal eine gewaltige Bewegung ins Bühnengeschehen. Wie brutal die Puritaner von der Außenwelt abgeschnitten werden, lässt diese Inszenierung in eindringlicher Weise im zweiten Akt deutlich werden. Riccardo erklärt sich zum Stellvertreter Cromwells und den Rivalen Arturo für vogelfrei. Arturo hat statt dessen Enrichetta bei ihrer Flucht nach Frankreich geholfen, doch Elvira verhindert Arturos Flucht und liefert ihn seinen Verfolgern aus. Aber Cromwell hat zuletzt alle begnadigt – dadurch kommen alle Protagonisten frei.
Copyright: Staatsoper Stuttgart/ A.T.Schaefer
Dieser gewaltige dramaturgische Spannungsbogen gelingt bei der Inszenierung vorzüglich, die Crescendo-Steigerungen mit dem von Christoph Heil einstudierten Staatsopernchor Stuttgart besitzen zuletzt eine ungeheure Wucht. Mit gespenstischen Verrenkungen signalisiert der Chor seine Gefangenheit und Unbeweglichkeit, die sich erst bei der Nachricht von der allgemeinen Befreiung auflösen. Die zahlreichen Zitate aus der Kunstgeschichte mindern die Wirkung nicht. Bei den Sturmszenen kommt es bei der Inszenierung zu einem unheimlichen Lichtflimmern, das immer mehr zunimmt. Manlio Benzi dirigiert das Staatsorchester Stuttgart mit wildem Feuer und loderndem Brio, was vor allem den weitgespannten Intervallen und riesigen Melodiebögen Bellinis zugute kommt. Die wahnsinnig gewordene Elvira gerät bei der Aufführung immer mehr in den Mittelpunkt, denn Ana Durlovski bewältigt ihre mörderischen Koloraturen scheinbar mühelos und fast schon sphärenhaft schwebend. Mit echter Wärme gesanglicher Empfindung agiert auch Diana Haller als Enrichetta von Frankreich, deren Kontrast zu den virtuosen Gipfelpunkten von Ana Durlovski hervorsticht. Es kommt immer wieder zu wahren Offenbarungen des Belcanto-Gesangs, den auch Adam Palka als Sir Giorgio, Rene Barbera als Lord Arturo, Gezim Myshketa als Sir Riccardo und Heinz Göhrig als Sir Bruno höchst klangfarbenreich und voluminös beherrschen. Rene Barbera fällt zudem mit einer traumhaft sicheren gesanglichen Höhe gleichsam aus dem Rahmen. Dem Staatsorchester Stuttgart gelingen unter Manlio Benzis energischer Leitung die militärischen Signalhörner im ersten Akt mit forscher Präsenz, wobei der Polonaisen-Charakter nicht zu kurz kommt. Der schlichte Zauber des vierstimmigen und choralartigen F-Dur-Satzes nimmt den Hörer sofort gefangen. Die Bilder des Leidens verdichten sich vor allem im zweiten Akt, wo der hervorragende Staatsopernchor Stuttgart mit seiner Ausgestaltung zeremonieller Rhythmen hervorsticht. Auch Giorgos As-Dur-Romanze überzeugt mit weichem und kernigem Timbre, wobei es Adam Palka gelingt, eine klare Balance zu wahren. Vor allem der heroische Charakter dieser Figuren wird bei der Inszenierung in ausgezeichneter Weise herausgearbeitet. Die d-Moll-Harmonien der Sturmmusik beleuchten aufgrund der aufwühlenden Wiedergabe durch Manlio Benzi den überhitzten Charakter dieser Musik, deren Motive und Themen wie in einem Kochtopf brodeln. Da passen vor allem Ana Durlovskis hysterische Ausbrüche exzellent hinein, die sich den unerbittlichen Marschrhythmen mit chromatischen Höhenflügen verzweifelt entgegenstellt. Eine Glanzleistung. Man hört hier auch die Musik gleichsam neu, ist fasziniert von einem Gesang, der alles zu überfluten scheint. Die Stimme Arturos wird beim Liebesduett mit Elvira bis zum zweigestrichen D emporgeführt, er reisst damit auch Ana Durlovski als Elvira noch einmal ganz unmittelbar mit. Und die Schluss-Steigerung des Chors bei Arturos Abschiedsgesang von Des-Dur bis zum zweigestrichenen F besitzt die Wucht Giuseppe Verdis.
Große Ovationen.
Alexander Walther