Staatsoper Stuttgart
„DIE FRAU OHNE SCHATTEN“ 29.10.2023 (Premiere) – in der Zukunft ist der Wurm drin
Benjamin Bruns (Kaiser). Foto: Matthias Baus
Mit einer deprimierenden Botschaft lässt Regisseur David Hermann seine Inszenierung der komplexen Märchenoper von Richard Strauss enden, die bis dahin einen großen Teil ihrer explosiven Kraft entfalten durfte. Seit den 1980er Jahren war das aufwändige Werk hier nicht mehr zu sehen gewesen. Aufgrund der Corona-Pandemie kam der neue Anlauf nun erst mit dreijähriger Verspätung zur Premiere. Immerhin wurde 2021 der bereits fertige Bühnen-Rohbau für eine szenische Darstellung von Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ verwendet. Jetzt erst kam das ganze Ausmaß des Bühnenraumes von Jo Schramm, der auch für Licht und Video verantwortlich zeichnet, zum Tragen: eine hohe, nach oben spitzförmig überwölbte die ganze Breite einnehmende Halle mit seitlichen schmalen Fenster-/Türdurchgängen, über die der Raum mittels Leitern betretbar ist. Die Mitte, in der sich zunächst ein Riesenwurm als Verweis auf die Menschheit überdauernder Lebewesen windet, ist von einem Graben mit Wasser umgeben, dessen leichte Bewegung sich an den Wänden im Licht kräuselnd spiegelt. Hermann siedelt die zeitlose Geschichte in einer nicht näher bestimmten Zukunft an, in der die Menschheit im Zuge immer weiter zerstörter Natur ausstirbt. Die im harmonisch friedlichen Final-Gesang der ungeborenen Kinder anklingende Hoffnung hat da keinen Platz. Stattdessen gebärt der ebenso wie der Kaiser zuletzt schwangere Barak (Utopie oder Kritik?) statt eines Kindes einen kleinen Wurm. Dieser doch empfindliche und zum musikalischen Geschehen nicht so recht passende Eingriff dürfte dem Regieteam, zu dem auch Claudia Irro und Bettina Werner mit ihren teils futuristisch bizarren Kostüm-Kreationen gehören, dann im Zuge einer sonst wohlwollenden Aufnahme noch einige kräftige Buhs eingebracht haben.
Martin Gantner, Michael Nagl, Irene Theorin. Foto: Matthias Baus
Die Kaiserwelt auf einem schmalen Streifen auf halber Portalhöhe mit Betonwänden, steinernen Bänken (auf einer derer später das Profil des versteinerten Kaisers sichtbar wird) und einer rückwärtigen milchigen Glaswand ist sehr nüchtern steril gehalten. Warum sich dort entgegen den Vorgaben trotz davor gezeigter möglicher Verwandlung auf offener Szene auch das sich mächtig steigernde Finale des 2.Aktes abspielt, erschließt sich schon deshalb nicht, weil Barak und seine Frau ganz sicher keinen Zugang zu den kaiserlichen Gefilden haben. Da ist in Folge einer immer wieder für spannende Konfrontationen sorgenden Personen-Regie dann doch mehr zu erwarten gewesen als das ausgerechnet hier etwas statische Verhalten der Beteiligten. Auch die hier ins Spiel kommenden Übermächte machen sich szenisch in keinerlei Weise bemerkbar. Zum Höhepunkt entwickelt sich dagegen die melodramatische Szene der Kaiserin, ehe sie sich zum Verzicht auf einen Schatten durchringt und dadurch letztlich auch das Färberpaar wieder zusammenbringt. Die Instanz ihres Vaters, des Geisterkönigs Keikobad, wird in Gestalt eines fahl hell geschminkten Boten vertreten, der hier allerdings auch über eine längere Dauer im zweiten und dritten Akt nicht ganz nachvollziehbar präsent ist und sich am Ende gar noch als Geburtshelfer betätigt.
Der erwähnte szenische Höhepunkt wurde dank Simone Schneider auch zu einem musikalischen. Mit ihrem immer üppiger werdenden, im Ansatz aber schlank gebliebenen Sopran erzielt sie in allen Lagen eine klare Textverständlichkeit, beherrscht mühelos die großen Tonsprünge der Partie der Kaiserin und behauptet sich genauso mit leuchtender Emphase über das dichte Orchestergewebe. Dazu kommt noch ein sensibles Spiel der sich schließlich selbst überwindenden Frau.
Ähnliche Attribute betreffen auch den kaiserlichen Gatten in Gestalt von Benjamin Bruns, der hiermit ein erfolgreiches Rollendebut feierte. Ein sicher geführter, sich in den unangenehmen Höhenlagen ohne Anstrengungen bewegender und auch um einen dynamischen Vortrag bemühter Tenor mit angenehm ausgebildetem Timbre.
Sein männlicher Antipode Martin Gantner überzeugt vor allem in der Verbindung von textlich differenzierter Interpretation und der Darstellung eines rechtschaffenen, ganz dem Verständnis eines traditionellen Familienlebens ergebenen, gutmütigen, mit den Ereignissen der Handlung überforderten Menschen. Seiner präzise artikulierenden, etwas trocken geraden, wo erforderlich auch fülligen Stimme fehlt vor allem in der Tiefe und Mittellage ein baritonaleres Timbre. Etwas problematisch präsentierte sich Irene Théorin als szenisch gut getroffenes Bild einer abgekämpften und nach Ausbruch aus ihrem Dasein suchenden Färberin, weil all ihre textliche Einfühlsamkeit durch eine latent eingeschränkte Deutlichkeit der Diktion sehr eingeschränkt wird. Die Projektion im mittleren und unteren Bereich ist gegenüber ihrem Potenzial in der Höhe schmäler ausgeprägt, in den Spitzen wiederum zeugt ein sich einschleichendes Vibrato von Verbrauch und Überbeanspruchung. Dennoch hatte die Schwedin als Gesamtpaket die heftigen Gefühlsschwankungen ausgesetzte Frau gut im Griff.
Zwischen den beiden Welten waltet Evelyn Herlitzius als rollenerfahrene Amme in zunächst strengem, dann entblättertem Gewand, ihres mysteriösen Amtes und ist mit ihrer vokalen Expressivität, einem hier passenden, manchmal etwas spröden Höhenregister und einer starken Körpersprache das Ereignis einer fesselnden Charakter-Figur.
Bruns, Theorin, Nagl, Schneider, Gantner. Foto: Matthias Baus
Michael Nagl entwickelt sich mit immer weiter ausgebautem Höhenregister und Aufhellung des Timbres zu einem Bariton – so zumindest der Eindruck von seinem pointiert machtvoll präsentierten Geisterboten. Als Baraks Brüder bilden Pawel Konik (Der Einäugige), Andrew Bogard (Der Einarmige) und Torsten Hofmann (Der Bucklige) ein vokal-darstellerisch intensives Terzett. Kai Kluge mit drahtigem Tenor ist der ganz in Weiß gehüllte Jüngling mit ebensolchem lang wallendem Haar, Josefin Feiler ist als Stimme des Falken und als Hüter der Schwelle des Tempels besser zu verstehen als die nach oben weisende Altstimme von Annette Schönmüller. Die teils komplizierten Einsätze des in unterschiedlichen Gruppierungen (Wächter, Dienerinnen, Geisterstimmen, Ungeborene) hinter der Szene geforderten Staatsopern- und Kinderchores (Einstudierung: Manuel Pujol + Bernhard Moncado) hätten in der Lautstärke etwas präsenter sein dürfen. Das dürfte sich noch korrigieren lassen. Zusammengehalten wurde der riesige Apparat mit Unterstützung einiger musikalischer Assistenten von GMD Cornelius Meister, der das in allen Bereichen seine Leistungsfähigkeit in puncto Tonschönheit, Phrasierung und Interaktion (heraus ragende Soli von Violine + Cello) beweisende Staatsorchester Stuttgart zu einer gut abgewogenen Partnerschaft für die Solisten motivierte und wo es ging um Dämpfung bemüht war, ohne die Intensität des musikalischen Ausdrucks abzuschwächen. Straussens Instrumentierungskunst und die Verflechtung markanter Motive konnte sichhier jedenfalls in der ganzen Spannweite von melodischer Abgeklärtheit bis zur dissonanten Explosion entfalten. Lediglich in manchen Übergängen dürfte sich der musikalische Fluss noch lockern.
Der abgestufte Jubel für das gesamte musikalische Ensemble entlud sich für heutige Verhältnisse ausdauernd.
Udo Klebes