Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Staatsoper: DIE FLEDERMAUS – an Fahrt und Witz gewonnen

22.12.2021 | Operette/Musical

Staatsoper Stuttgart

„DIE FLEDERMAUS“ 20.12. 2021 (WA 15.12.) – an Fahrt und Witz gewonnen

röl
Ida Ränzlöv als Prinz Orlofsky, links davon Matthias Klink als Eisenstein. Foto: Martin Sigmund

Bereits die Premiere im Oktober 2010 lag in den Händen des Generalmusikdirektors (damals Manfred Honeck). Bei der jetzigen Wiederaufnahme-Serie nach längerer Pause steht wieder der Chef – Cornelius Meister – am Pult. Und das wiederum aus gutem Grund, ist doch dieser Operetten-Klassiker nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Er verlangt vielmehr nach einem Dirigenten, der sich ganz in die Musik von Johann Strauß hinein kniet, ihr mit Verständnis und Begeisterung begegnet und das Gespür für all das aufbringt, was da an unerhörten Details zwischen den Noten steht. Wer Meister letztes Jahr während des Lockdowns beim Livestream der traditionellen Silvester-Vorstellung der Wiener Staatsoper erlebt hat, weiß mit welcher Lust er die vielen Akzente in Tempo und Begleitung heraus gekitzelt und der Musik sowohl das oberflächliche Amusement wie das Doppelbödige entlockt hat.

Bei der Ouvertüre gerät das Staatsorchester Stuttgart ob der schnellen Wechsel und farblichen Pointierungen noch leicht ins Schlingern. Doch dann surrt das Rädchen aus schmelzender, sinnierender und vorwärtsdrängender Melodik mit einer ansteckenden Laune, die an diesem Montagabend für spürbar anziehende Stimmung sorgt. Ein Gusto-Stückerl besonderer Art ist das als Zwischenspiel vor dem Fest mit richtig viel Schmackes gespielte „Perpetuum mobile“. Meister spürt der phasenweise Ironie und den Abgründen bürgerlicher Existenz mit spontan aufhorchen lassenden Couleurs nach und geht so konform mit der Inszenierung von Philipp Stölzl, die die Handlung im Großen und Ganzen dem Libretto getreu erzählt, dabei aber doch auch tiefer in so manchen Aspekt eindringt und am Ende die Entlastung Eisensteins durch den Champagner nur musikalische Behauptung sein lässt, während Rosalinde den ungetreuen Gemahl in die auch als Gefängnis dienende Standuhr  (Alfreds Versteck im ersten Akt) stößt und mit dem Schlüssel zusperrt.

Ein Hingucker ist wieder das Bühnenbild von Stölzl und Conrad Reinhardt mit dem sich im zweiten Akt während des Uhrenduetts einmal langsam um die Achse drehenden Kubus des bürgerlichen Speisezimmers, das im dritten Akt in Schräglage und mit übereinander geworfenen Möbeln als Gefängnis-Entree dient. Für die Akteure in historisch angepassten bzw. der Phantasie der Männer entsprungenen Kostümen (Ursula Kudrna) bedeutet das eine erhöhte Konzentration mit so manch nicht ungefährlicher Situation. Wenn die Ballett-Ratten in ihren schwarzen Strapsen die Polka „Unter Donner und Blitz“ im Verein mit der von Meister entfachten Zugkraft krachen lassen (Choreographie: Mara Kurotschka), schießt das wohl etwas übers Ziel hinaus. Im Übrigen hat die Inszenierung, obwohl erster und zweiter Akt immer noch rund zwei Stunden dauern, an Schwung und nicht mehr ganz so aufgesetzt wirkenden Dialogen gewonnen, die auch mal in Nestroy’scher Manier aktuelle Themen aufgreift, wenn z.B. der Zugang zur Gefängniszelle mit dem Einwand der 2G-Auflage kommentiert wird. Dies geht aber auch auf das Konto des jetzigen Ensembles, das die Rollen überwiegend mit viel Würze auskostet und auch rein vokal betrachtet bis in kleinste Wendungen hinein bestens vorbereitet wurde.

An der Spitze Matthias Klink, der sich wie in allen seinen bisherigen Partien im Zusammenwirken von Musik und Spiel total verausgabt, dem als Eisenstein nebst seiner beweglichen, bis ins leicht Heldische vorpreschenden, dann wieder schmeichelnd leichten Stimme eine fast schon gymnastische Beweglichkeit zur Verfügung steht, die seiner vokalen, auch mal schneidenden Expressivität in nichts nachsteht. Dank ihm erwächst so mancher Moment zu großer Oper, die das Werk in Bezug auf seine Ansprüche auch ist.

rlk
Kai Kluge (Alfred), Franz Hawlata (Frank), Matthias Klink (Eisenstein) und Astrid Kessler (Kosalinde). Foto: Martin Sigmund

Um bei den Tenören zu bleiben: sein Kontrahent Alfred in Gestalt von Kai Kluge kann es mit klangreicher, sinnlicher und immer mehr an Volumen und Tragkraft gewinnender Stimme, exzellenter Wortdeutlichkeit und überzeugender Darstellungsgabe gut mit ihm aufnehmen.

Als dritter Stimmvertreter steuert Torsten Hofmann einen passend duckmäuserisch verklemmten Advokaten Dr.Blind bei.

Fast tenoral hell strahlt Björn Bürgers kultiviert geführter, mal liedhaft leichter, dann opernhaft strömender Bariton als Dr.Falke mit körperlich überragender Präsenz und Charme im galanten Umgang mit den Damen, die sich da auf Orlovskys Fest im Garten mit reichlich abgestorbenen Bäumen und Sträuchern tummeln. Davon ab hebt sich Franz Hawlatas dunklerer Bassbariton mit schon leicht brüchigen Ansätzen, aber noch genügend Substanz für die Einladung ins „Vogelhaus“ und die Ensemble-Aufgaben. Als Gefängnisdirektor Frank bringt er einen mal liebenswerten, mal schlitzohrig humorigen Charakter ins Spiel.

Bei den Damen hatte Beate Ritter die Nase vorne. Ihre Adele ist ein mit allen Wassern gewaschenes Stubenmädchen, der es als einziger Österreicherin in diesem Ensemble spürbar kitzelt, mehr Dialekt in ihren Sprechtext einfließen zu lassen. Ob es der vorgetäuschte Weinkrampf über die kranke Tante, so manche Nebenbemerkung über ihren Dienstherrn oder ihr selbstbewusst präsentiertes Talent als angeblich angehende Künstlerin ist – ihr macht niemand etwas so schnell vor. Gesanglich perlt ihr alles leicht über die Lippen bis hin zu ihrem wieder frei und strahlend entfalteten Spitzenregister. Aber auch ihre Bühnenschwester Ida ist in Gestalt von Cleo Röhlig nicht auf den Mund gefallen.

Den hier sehr bizarr in Strumpfhosen, im blassrosa Teller-Tutu und mit streng frisiertem Haar auftretenden Prinzen Orlofsky vor Peinlichkeit zu bewahren ist keine geringe Herausforderung. Ida Ränzlöv schafft es, für den gelangweilten Künstler-Protegé ein gewisses Verständnis zu erwecken und mit ihrem leichten und zwischen hellen und dunklen Nuancen organisch changierenden Mezzosopran möglichst viel Natürlichkeit bei der Vorstellung ihrer Gastgeber-Gepflogenheiten zu wahren.

Astrid Kessler hat mit der Tessitura der Rosalinde von einer gewissen Strenge in der Höhe abgesehen keine Mühe, kann sich aber in der wesentlichen Mittellage nicht optimal durchsetzen. An ausgleichenden Farben fehlt es auch hier und da, als Figur bleibt sie gegenüber den anderen etwas blass und im Csardas mehr korrekt als leidenschaftlich.

Der Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Manuel Pujol) mischt in Falkes Intrige lebhaft und in beherzter stimmlicher Laune mit.

Mit dem Frosch steht und fällt oft der letzte Akt. War sein Dialog hier bisher zu langatmig und auch wenig Humor behaftet, so fand jetzt offensichtlich eine Straffung mit geringeren Sprechpausen statt. Es liegt aber auch an Heiko Pinkowski, der als Gefängniswärter die Flaschenreste von Orlofskys Fest so genüsslich in einen umgehängten Kanister gießt und dazu seine Anmerkungen mit treffenden Pointen serviert. Ihm und Orlofsky gehören im übrigen auch die ersten (vor der Ouvertüre) und nach dem Schlusstakt letzten philosophierenden Worte der Aufführung. Ungewöhnlich, aber in der Verständlichkeit ihrer tiefer blicken lassenden Bedeutung durchaus vertretbar.

Im Ganzen also recht amüsant und mit verdienten Ovationen bedacht.

 Udo Klebes

 

Diese Seite drucken