Staatsoper Stuttgart: „DER SPIELER“ 2.02. 2025 (Premiere) – Roulettenburg auf einem fernen Planeten
Daniel Brenna (Alexej) und Ausrine Stundyte (Polina) im 1.Akt. Foto: Martin Sigmund
Mit Prokofjew hat es schon einmal geklappt: in Victor Schoners erster Spielzeit 2018/19 feierte Axel Ranisch mit einer phantasievoll sehenswerten Inszenierung von „Die Liebe zu den drei Orangen“ einen gelungenen Einstand am Haus. Nach einer ebenfalls stücktragenden Konzeption von „Hänsel und Gretel“ kehrte er nun wieder ins russische Repertoire zurück, und abermals zu einer Groteske. Aber zu keinem Märchenstoff wie den von Carlo Gozzi, sondern der abgehobenen Welt dekadenten Reichtums, wie sie der einst selbst der Spielsucht verfallene Fjodor Dostojewski in seinem gleichnamigen 1866 erschienenen Roman widergespiegelt hatte. Sergej Prokofjew wiederum konzipierte daraus in seinen Jugendjahren ein Musikdrama, das sich bewusst gegen die lyrische Tradition der Oper, aber auch gegen Strawinsky und seine Parole einer überholten Form von Theater stemmte.Es ist denn auch des Staunens kein Ende, wie sich der Komponist inmitten der bedrohlichen Zeit des Ersten Weltkriegs mit der Problematik einer abgehobenen Gesellschaft befassen und diese mit seinem schon sehr früh ausgeprägten Personalstil brillant auf die Spitze treiben konnte. Da allerdings während dieser Revolutionszeit an keine Umsetzung auf einer Bühne zu denken war, kam es nach einer Umarbeitung mit reichlich Verspätung erst 1929 in Brüssel zur Uraufführung in französischer Sprache. Zur unverstellten Geltendmachung des total auf die Sprache und nicht auf Melodien ausgerichteten Deklamationsstils fiel in Stuttgart die Entscheidung auf das russische Original.
Mit schonungslosem Zugriff gewährt uns Prokofjew den schaufensterartigen Blick auf eine unsympathische Gesellschaft in Roulettenburg, einem fiktiven Casino, das aus Dostojewkis Spielbankbesuchen in Deutschland gedanklich zusammengeflossen ist. Durch eine gute Portion Ironie und Sarkasmus wird dieses widerwärtige Völkchen überhaupt erst erträglich, wenn über manches Detail auch gelacht werden darf. Der Ablauf der gut 2 Stunden Oper ist ein unentwegter Schlagabtausch oft kurzer Sätze und Bemerkungen, in dem es kaum mal nachsinnende Phasen oder symphonisch reflektierte Momente zum Luftholen gibt. Das unentwegt fortschreitende, sich im finalen Akt am Spieltisch fast überschlagende Parlando gleicht fast einem Höllenritt und macht das instrumentale Geschehen zum Hauptakteur. Der zukünftige GMD Nicolas Carter, bislang am Haus mit einer Serie von Wagners „Rheingold“ in Erscheinung getreten, bewies mit einem souverän über das wie unter Strom stehende Staatsorchester Stuttgart gebietenden Dirigat, wie er ein Werk vieler schneller Taktwechsel und Tonarten-Überlagerungen mit klarer Disposition und nie nachlassender rhythmischer Präzision sicher zu steuern vermag. Mit manchmal bis an die Schmerzgrenze führender Diatonik wurde die Spannung im Graben ganz besonders seitens der bizarr geforderten Bläser aufrecht erhalten. Ein beeindruckender Premieren-Voreinstand des australischen Dirigenten.
Ausrine Stundyte (l.) und Daniel Brenna (Alexej) mit dem Staatsopernchor in der Spielhöhle. Foto: Martin Sigmund
Doch nun zurück zu Axel Ranisch und seiner ebenso trefflich erfolgten szenischen Sicht auf das Werk. Ein Regisseur, der wiederum bewiesen hat, dass er mit einer Mischung aus zeitkritischer Hinterfragung und notwendigem Schauwert ins Zentrum eines Stückes zu zielen weiß. Und wie hier auch die Freude an der Darstellung einer überkandidelten Bevölkerungsgruppe und die Möglichkeit zum Lachen spürbar macht. Roulettenburg hat er auf einem fernen Planeten mit Panoramablick auf die Erde mit einer Bergkette (Bühne: Saskia Wunsch) angesiedelt, wohin sich die Reise nur im Reichtum schwimmende Menschen leisten können. Als Personal dienen ihnen sogenannte Bärtierchen, eigentlich mikroskopisch kleine Lebewesen, die extrem resistent gegen alle klimatischen Erscheinungen sind, und hier in Menschengröße mit Schweinsgesichtern und langen spitzen Fingernägeln in Erscheinung treten. Die insgesamt sehr phantasievoll entworfenen und viel Bloßstellungs-Kapazität aufweisenden Kostüme besorgten Claudia Irro und Bettina Werner. Den einzelnen Personen gewährt Ranisch ein klares Profil und belässt ihnen dennoch das Geheimnis nur dem Geld, dem Schönen und Besten frönender Exzentriker. Das gilt auch für die beiden Außenseiter , denen dieses Leben um Reichtum und Luxus zuwider ist und die sich nach Liebe, Mitgefühl und persönlichem Glück sehnen: Alexej, der Hauslehrer des Generals, und Polina, dessen Stieftochter sind auch auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden, beobachten sich, setzen sich auch für den anderen soweit ein, indem Alexej beim Versuch Geld für Polina zu gewinnen, das ihr der Stiefvater noch schuldet, in einen Spielrausch verfällt. Ihr Zusammenleben bleibt ein Traum, deutet sie sein Glücksspiel doch als einen Versuch, sie zu kaufen und verlässt ihn.Daniel Brenna zeichnet diesen vom Casino – visualisiert als Spielhöhle mit einem riesigen Roulette-Teller mit aufleuchtenden Farben – Besessenen als rastlos Suchenden, was auch dem stets hektischen, kaum mal zur Ruhe kommenden Vokalpart Porkofjews entspricht. Bewundernswert, wie sein durch zahlreiche Wagner-Einsätze heldisch geprägter und entsprechend gestützter Tenor dieses Dauerforte in unentwegtem Tempo und dazu in oft unangenehm hoher Lage ohne Ermüdungserscheinungen bei gleichmäßiger Substanz durchhält und seinen Part mangels jeglicher melodischer Erscheinungen überhaupt so konzentriert abrufen kann.
Ausrine Stundyte hat es da als Polina doch wesentlich einfacher, ist doch ihr Part einen Gang herunter geschaltet, bietet zumindest auch mal etwas sanftere Phasen, die sie mit feinfühlig schlichteren und auch im Raum schwebenden Tönen ausfüllt. Im übrigen zeichnet sich ihr Sopran durch einen leicht stählernen Kern und eine gut zentrierte Mittellage aus, wozu sich im höheren Bereich auch mal ein paar gut anstehende Schärfen einschleichen. In ihrem Tonfall transportiert sie die Rätselhaftigkeit um ihr Wesen, Fühlen und Handeln.
Starke Charaktere: Veronique Gens (Babulenka) und Elmar Gilbertsson (Marquis). Foto: Martin Sigmund
Dem etwas aufgeblasenen General gibt Goran Juric mit einer guten Portion Selbstgefälligkeit und potentem, vollmundigem und charakterstarken Bass präsente Statur. Um die von ihm angebetete Mlle. Blanche, von Stine Marie Fischer durch schnittigen Vortrag mittels ihres dunkel getönten und sämig ansprechenden Mezzosoprans herrlich profiliert, zu verwöhnen und für sich zu gewinnen, wartet er jeden Tag auf das Erbe einer wohl schwerkranken Tante, doch eines Tages erscheint sie auf einer Sänfte getragen voller Leben und mit der Lust, ihr Vermögen zu verspielen. So kommt es auch, weshalb sie sich für die Abreise Geld von dem schwerreichen Mr Astley (Shigeo Ishino verleiht ihm im golden glänzenden Anzug und mittels seines gut verankerten Bassbaritons geheimnisvolle Würde) leihen muss. Speziell diese Abschiedsszene gestaltet Veronique Gens als die Babulenka genannte Dame mit berührender Schlichtheit, die ganz im Kontrast zum vorherigen dramatischeren Einsatz ihres ausgeglichenen Soprans steht. Keine rustikal tönende Alte, sondern eine noch Leben versprühende und auch mal wohltönende Frau.
Die schillerndste Figur in bauchfreiem Glitzerjäckchen, enger schwarzer Kurzhose und Nylonstrümpfen, den wohl besonders reichen Marquis, der sich auch Hoffnungen auf Polina gemacht hat, wird von Elmar Gilbertsson köstlich schrill, mit durchdringend schönem Charaktertenor, der auch mal kindlich jammernd ausarten kann, portraitiert.
In weiteren kleineren Rollen repräsentieren Jacobo Ochoa als Babulenkas Butler, Robin Neck als kecker Fürst Nilski, Peter Lobert als lächerlich gemachter Baron Würmerhelm, Catriona Smith als sich am Spieltisch wortreich hervortuende Blasse Dame sowie einige solistisch als Croupiers und individuell hervor gehobene Spieler eingesetzte Mitglieder des erst im 4. Akt gefragten, dann aber umso komprimierter und fast choreographisch bewegt eingesetzten Staatsopernchores (Einstudierung: Manuel Pujol) den durchgehend hohen Ensemble-Standard.
Für diese durch und durch glänzend gelungene Erstaufführung am Haus gab es gut differenzierte Würdigungen des musikalischen Personals sowie keinerlei Widerspruch gegen die Regie.
Udo Klebes