Stuttgart: DER ROTE WAL von Vivan und Ketan Bhatti, UA 18.6.2025
Madina Frey mit den drei Levithanen. Foto: Matthias Baus
An der Oper Stuttgart gibt es als letzte Saisonpremiere eine Uraufführung anlässlich der 50jaehrigen Wiederkehr des Prozesses gegen die Rote Armee Fraktion in Stuttgart-Stammheim. ‚Der Rote Wal‘ entstand mit einem Kompositionsauftrag an die Gebrüder Bhatti, die in der Musikwelt einschließlich der U-Musik gut vernetzt zu sein scheinen, und auf eine ‚Geschichte‘ von Martin G. Berger und Markus Winter, destilliert zu einem Libretto des Letzteren, der von Stuttgart aus auch als Rapper Maeckes einen Bekanntheitsgrad erlangt hat. An diesen vielen Namen sehen wir schon, dass sehr viele Köpfe an der Entstehung dieser Oper beteiligt waren, und insofern kam auch ein einigermaßen incohaerentes „Gesamtkunstwerk“ heraus, an dem die Musik fast noch am meisten zu goutieren war, und die dabei auch sehr ‚verdaulich‘ anmutete. Die Bhatti-Brueder komponieren ein Gemisch von sehr rhythmisch swingendem Rap, auch an Hiphop erinnernde Phrasen, nämlich nach der Verwandlung des Orca-Weibchens Isi in das Menschenwesen Gladis im roten Lederanzug, das sich auf der Erde im Widerstand ausprobieren möchte. Deren Darstellerin Madina Frey macht es richtig gut mit durch Microport verstärkter pikant timbrierter und höhensicherer Musicalstimme, die aber später auch ins Operngenre wechselt, und dabei rockt sie sich durch die Welt. Davor hatte sie mit Lone, der allein in einem U-Boot im Meer unterwegs ist, einen Deal gemacht (richtig: es könnte Elon Musk sein), für 2 Tage die Erde zu erkunden, und wenn sie da die durch einen Kuss besiegelte Liebe findet, oben bleiben darf, ansonsten Lone (verkörpert von Maeckes) ihr nach Rückverwandlung eine Flosse abschneiden werde. Die Leviathane, eigentlich die Riesenwalfische, die nach dem Philosoph Hobbes die Welt beherrschen, sanktionieren hier die Meereswelt in Menschengestalt: Deborah Saffery,Leviathan1, Jasper Leever, Leviathan 2 und Vater Fei von Isi, Yunus Schahinger,Leviathan 3. Die Sanktionierung wird vom vollständig in Einheits-Orca-schwarz angetretenen Opernchor als Deal vielstimmig chorisch bekräftigt (E.: Manuel Pujol).

Maeckes, Madina Frey. Foto: Matthias Baus
Auch auf der Erde moechte Gladis Widerstandsformen kennenlernen. Dabei gerät sie an Ge alias Gudrun Ensslin (Josefin Feiler mit angenehmen Sopran und in einem buschigen goldglaenzendem Fransenminikleid) und an Abad alias Käpt’n Ahab aus Melvilles MOBY DICK oder auch Andreas Baader von der RAF (Matthias Klink, Charakter- und tenoraler Kammersaenger, zuerst mit schwarzer Barockperücke und olivgruenem Kampfanzug,dessen er sich natürlich auch entledigt.).Sie wollen einen Aquadom,ein riesen Aquarium in die Luft jagen.Es ist die Phase,wo Gladis mit Ge und Abad wie in einer Oper auftritt, und nach dem Scheitern als neue Aktion alle Operbesucher als Geiseln nehmen möchte. Das wird auf der Bühne (Sarah-Katharina Karl) mit einer Spiegelung von Orchester und Zuschauerraum in ganz zerfließenden Bildern dargestellt. Gegen Ende wird im Video (Vincent Stefan) ein roter Wal projiziert, der aus dem Eckensee vor dem Opernhaus herausspringt und das Wasser in dasselbe herüberschwappen lässt. Die Kostüme sind von Alexander D. Hotter, und Regie führt Martin G.Berger. Videografien von der Justizvollzugsanstalt Stammheim, wo die RAF-Gefangenen sich mit den Namen aus dem Moby Dick Roman dechiffrierten, die aber inzwischen abgerissen wurde, hat man sinnfällig einfließen lassen. Ein teils bestürzendes Opernexperiment mit aber auch stark ironischen Momenten. Und einmal kommt im großen Orchester, prägnant geleitet von Marit Strindlund, auch ein durchaus tragendes emphatisch gespieltes Cello-Solo zum Zug.
Friedeon Rosen