David Steffens (Ochs). Foto: Martin Sigmund
Staatsoper Stuttgart: „DER ROSENKAVALIER“ 3.10.2021 (Premiere) – halbszenisch in musikalischem Glanz
Die Ankündigung, diese in ihrer musikalisch (Richard Strauss) wie textlich (Hugo von Hofmannsthal) ebenbürtig genialen und mit ihren vielen lebhaften Spielsituationen geradezu nach szenischer Umsetzung schreienden Komödie für Musik nur konzertant wiederzugeben, wo es doch im Repertoire seit 2012 die brillante Inszenierung von Stefan Herheim gibt, verwunderte zuerst. Aber diese (wer sie gesehen hat, versteht es) fordert erstens mit ihren vielen wie ein Uhrwerk sitzen müssenden Verwandlungen die Technik enorm, und zweitens wären der immense Kostümaufwand und die vielen Umzugsaktionen in der erforderlich gewesenen Vorbereitungsphase in der ersten Jahreshälfte aufgrund der Corona-Einschränkungen nicht möglich gewesen. GMD Cornelius Meister wollte jedoch das Versprechen gegenüber dem Ensemble und auch den Musikern nach einer Einstudierung im Oktober 2021 halten und beschloss deshalb, das Stück im konzertanten Rahmen mit einer ganz eigenen Dramaturgie, der Konzentration auf den musikalischen Ausdruck zur Aufführung zu bringen.
Das Ergebnis ist jedoch weitaus mehr als eine konzertante Wiedergabe hinter Notenpulten, sondern eine halbszenische Form, in der sich die SängerInnen vor dem auf der Bühne platzierten Orchester auf dem abgedeckten Orchestergraben spielerisch bewegen und die Handlung mit einem Minimum an Requisiten umsetzen können. Das rückte alle Beteiligten näher ans Publikum, wobei die MusikerInnen am meisten davon profitierten sichtbar zu sein und mehr Aufmerksamkeit zu genießen, konnte sich doch die üppige, bisweilen dichte Instrumentierung viel transparenter entfalten und so den Solisten einen besseren Teppich ausbreiten als dies aus der Tiefe möglich ist. Meister legte ohnehin viel Wert auf beständige Durchhörbarkeit, ohne deshalb auf einige passend deftige Entladungen oder die blühenden Aufschwünge von Rosenüberreichung und Terzett zu verzichten. Das Staatsorchester Stuttgart ließ sich liebevoll und herausfordernd motivieren, der Partitur in angemessenem Tempo alle Finessen an schildernder Situationskomik, eleganter Walzer-Ausformung und atmosphärischem Schwelgen zu entlocken. Streicher, Bläser und das diverse Schlagwerk hatten daran gleichermaßen ihren Anteil, Meisters unglaublich agiles Pendeln zwischen dem Gesamtblick und der Hingabe an Einzelheiten wie auch dem beständigen Umwenden zu den Sängern, auszukosten. Was sich da alles an Nuancen und tonmalerischen Eingebungen auftat, die meist untergehen, gab dem Stück einen noch erweiterten Radius und dem mit jeder neuen Begegnung noch erhöhten Staunen über dieses Gipfelwerk an musikalischer Komödienkunst.
Diese Einstudierung beweist auch, dass es wohl möglich ist, so ein Stück fast ganz aus dem Ensemble so gut wie ideal zu besetzen. Doch wo beginnen? Am besten doch mit dem Titelhelden und seiner Zukünftigen, die beide in ihren Rollen debutierten. Diana Haller hatte es als Publikumsliebling leicht, mit ihrem technisch in allen Lagen so sicher fundierten Mezzosopran, der hell leuchtende Höhen ebenso wie dunkle Tiefen organisch miteinander verbindet, allgemeine Sympathie zu wecken. Zumal sie ihre Lust am Spiel zwischen Vehemenz und Sanftheit gut auszugleichen wusste. Köstlich, wie sie sich in ihrer Rage gegenüber dem zudringlichen Ochs statt des nicht vorhandenen Degens schnell den Dirigentenstab des GMDs schnappt und dieser als Stichwaffe herhalten muss. Überhaupt Requisiten: mit zwei Tischen und Stühlen, dem als Ablage für eine Schale Obst herhaltenden Souffleurkasten und der Silbernen Rose lässt sich das ganze Werk ohne Verluste stimmig umsetzen.
Beate Ritter. Foto: Martin Sigmund
Doch zurück zum final vereinigten Paar und dessen zweiter Hälfte: Beate Ritter hat sich auch bereits zu einer der präferierten Säulen des Ensembles entwickelt und begeht als Sophie vielleicht einen weiteren Schritt vom Wechsel aus dem Koloratur- ins lyrische Fach. Für die Tochter aus neureichem Haus bringt sie denn auch genügend Tragfähigkeit in der Mittellage mit, aus der sich ihr Sopran leicht in die Höhen schwingt. Nicht nur der „Gruß vom Himmel“, auch einige andere Stellen werden zu schwebenden, von allem Irdischen abgelösten Momenten der Glückseligkeit. Vor allem in ihrem zartrosa schimmernden, schulterfreien und bodenlangen Kleid erweckt sie auf Anhieb nicht nur die Sympathien Octavians. Aufmüpfigkeit gegenüber Baron Ochs und Ergebenheit gegenüber ihrem Vater bringt sie ungekünstelt über die Rampe und vereinigt sich in den Duetten als auch im Terzett präsent und kollegial mit den anderen Frauenstimmen.
Simone Schneider, Diana Haller. Foto: Martin Sigmund
Deren dritte ist Simone Schneider, eine damenhaft würdige Marschallin sowohl mit resoluter Note als auch der Poesie fürs Nachsinnen. Ihr üppiger Sopran entfaltet im Zurücknehmen einen leichten Silberglanz und setzt entscheidende Stellen oder Hochtöne (die „silberne Rosn“, „Hab mir’s gelobt…“) mit Geschmack und feiner Rundung. Durch die vielen Parlando-Abschnitte gleitet die Stimme mit Leichtigkeit und Geschmack in der textlichen Auslotung.
Die größte Überraschung bot indes David Steffens als Ochs. Der vielfach prämierte Bass, in diesem Sommer als Masetto die Weihen der Salzburger Festspiele erklommen, präsentierte sich in der hier ungekürzten Partie des gscherten Landadeligen mit einem so nicht erwarteten potenten Rundum-Fundament vom Keller des „beschämt“ und „ zu lang“ bis zum Gipfel des „Heu“. Die geschwätzigen und ihm leicht von den Lippen kommenden Dialekt-Tiraden würzte er mit viel lockerem Witz und wahrte dabei ohne zu derbe geschmacklose Übertreibungen immer die Standsperson. So präsent hatte sich der im Timbre nicht wirklich dunkle und charakteristisch ausgeprägte Bassist bislang nicht entfaltet.
Als Faninal imponierte der große schlanke Pawel Konik mit besonders in der Höhe markant sitzendem Bariton und einer noch ausbaubaren textlichen Gestaltung. Mit köstlicher Mimik und sowohl fast sopranheller wie orgelhaft tiefer Stimme war Carole Wilson als Annina voll auf dem Posten. Da kann Torsten Hofmann mit etwas dünnerem und im schnellen Parlando nicht immer durchsetzungsfähigem Tenor nicht mithalten. Kai Kluge kämpfte bei seinem Sänger-Auftritt aus dem Orchester heraus mit einer gewissen Kurzatmigkeit, brachte aber seinen schon recht großen und übers Lyrische hinausweisenden, klaren und in der Höhe voll ansprechenden Tenor vielversprechend zur Entfaltung. Christiane Kohl bietet als aufgeregte Duenna einen erfreulich frischen anstatt sonst häufig zu hörenden, von Vibrato geschwängerten Sopran, belegte damit aber trotzdem die Unmöglichkeit, den Text dieser Partie verständlich zu machen.
Torben Jürgens gibt dem Notar und später dem Polizeikommissar klare stimmliche Autorität, Heinz Göhrig vereinigt als die beiden Haushofmeister und als Wirt gleich drei dienstbare Geister mit unvermindert klar konturiertem Tenor, der sich zudem noch imponierend zur Ankündigung der Frau Fürstin Feldmarschall aufschwingt.
Aus den Reihen des für zwei Szenen geschlossen auftretenden Staatsopernchores (Einstudierung: Manuel Pujol) waren auch die drei Waisen, Tierhändler, Modistin sowie die Lakaien und Kellner rollengerecht besetzt. Eine kleine Abordnung des Kinderchores mischte sich mit durchdringenden „Papa“-Rufen ins Tohuwabohu der Beisl-Szene. Als Mohamed erschien ein Mädchen (Julia Paul) mit einer umgehängten Lade mit Obst zum Frühstück und einer kurz selbst bedienten Stabklingel.
Zusammengefasst fehlte da nichts, den ganzen Reichtum dieser geistreichen Komödie begreifbar zu machen.
Nach einem fließend gesteigerten, zum Schluss hin richtig abhebenden Terzett und einem innig schönen „Ist ein Traum…“ entlud sich trotz Masken lange Begeisterung für den strahlenden Dirigenten und das instrumentale wie vokale Ensemble.
Ob es Herheims Inszenierung, wie von Meister intendiert, tatsächlich trotz nicht mehr voll belastbarer Technik nochmals auf die Bühne schafft, bleibt abzuwarten. In dieser halbszenischen Form war und ist es jedenfalls eine vollgültige Variante.
Udo Klebes