Staatsoper Stuttgart
„DER RÄUBER HOTZENPLOTZ“ 4.2. 2023 (Uraufführung) – Vergnügliches Spiel mit Farben
Elliott Carlton Hines (Kasperl), Marie Theres Ullrich (Großmutter), Dominik Große (Seppel), Torsten Hofmann (Wachtmeister. Foto: Matthias Baus
Gerade mal sechs Tage nach der „Götterdämmerung“ ging eine weitere Premiere über die Bühne des Stuttgarter Opernhauses. Gar eine Uraufführung- für Kinder ab sechs Jahren (zu 10,– Euro auf allen Plätzen) und natürlich die ganze Familie. In Zusammenarbeit mit der Jungen Oper im Nord (kurz genannt JOIN) entstand die Auftragsarbeit an den Komponisten Sebastian Schwab, die allseits bekannte Geschichte vom „Räuber Hotzenplotz“ in ein Singspiel zu verwandeln. Dessen Autor Otfried Preußler wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Kurz nach seinem Tod im Februar 2013 hatte ein weiteres Buch aus seiner Feder – „Krabat“- seitens des Stuttgarter Balletts durch den damaligen Hauschoreographen Demis Volpi eine tänzerische Umsetzung erfahren, die zu einem ungeahnten Publikumserfolg wurde, und auch wenn Volpi Stuttgart inzwischen längst verlassen hat, hoffentlich wieder auf die hiesige Bühne zurück kehren wird. Genauso große Anerkennung dürfte jetzt der berühmten Räubergeschichte in einer musikalischen Gewandung sicher sein.
Die Regisseurin Elena Tzavara hat selbst das Libretto und die Liedtexte verfasst. Entstanden ist gemäß dem Untertitel ein Wechsel aus Sprech- und Gesangsszenen, ergänzt durch melodramatisch-rezitativische Abschnitte. Der Ablauf orientiert sich relativ genau am Handlungsablauf des ersten Buches, wobei schwer darzustellende Vorgänge entweder musikalisch erläutert oder spielerisch vereinfacht, und so auch für jedermann verständlich umgesetzt werden. Das aus 30 Positionen besetzte Instrumentarium enthält neben den klassischen Elementen auch ein Harmonium, ein Akkordeon, ein Cymbalom (ein dem Hackbrett ähnelndes Instrument mit Klöppeln), eine Gitarre und außergewöhnliches Schlagwerk, wobei letztere für aufhorchen lassende Verfremdungen und situationsentsprechende Stimmungen sorgen. Die bayerische Herkunft des Komponisten ist durch die Einstreuung typischer Bläser-Einsätze ebenso wenig zu überhören wie dessen virtuoses Balancieren zwischen klassisch geprägter Komposition und dem Musical nahestehenden Merkmalen. Das weit nach oben gefahrene Staatsorchester Stuttgart, das die Partitur mit hörbarem Vergnügen umsetzt, wird so ein Stück ins Spiel einbezogen, wenn z.B. der Fagottist immer wieder des Räubers Gewehr bei sich verwahren darf, die typische Kasperlmütze zwischen den Musikern landet oder so auch sichtbar wird, aus welchen Instrumentierungs-Kombinationen die jeweilige Musik entsteht. Florian Ziemen hat das als Dirigent alles sehr gut im Griff und sichert der Aufführung so eine durchgehend zuverlässige Basis. Mal in einfachen melodischen Floskeln, wie dem Klagelied des des Kartoffelschälens nicht fähigen Zauberers Petrosilius Zwackelmann oder dem romantisch umwehten Solo der in eine Unke verwandelten Fee Amaryllis, mal in kurzen knappen, Vorgänge lautmalerisch oder witzig, auch mal etwas schräg und disharmonisch karikierenden Einwürfen.
Bei der szenischen Umsetzung (Bühne und Kostüme: Elisabeth Vogetseder, Licht: Rainer Eisenbraun) erstaunt, wie einfach doch eine hinsichtlich der verschiedenen Handlungsorte und Ereignisse beträchtliche Herausforderungen stellende Geschichte umgesetzt werden kann. Die Nähe zum Stegreiftheater und der Commedia dell’Arte wird szenisch aufgegriffen. Jeder der wesentlichen Figuren bzw. Welten ist ein kleines fahrbares Podium als kleine Bühne mit farblich kontrastierenden Vorhängen zugewiesen: rosa für die Großmutter, grün für den Räuber, gelb für die beiden Jungen, schwarz/silber für den Zauberer. Nachdem die einzelnen Figuren dem Aufbau der Handlung gemäß der Reihe nach eingeführt wurden, vermischen sich ihre „Bühnenwelten“, in dem die Podien von Statisten in schwarzem Habit und farbigen Mützen mehrmals ineinander verschoben werden oder zuletzt wie eine Zirkusarena kreisen. Die Requisiten sind aufs Wesentliche wie die als Beute des Räubers dienende Kaffeemühle der Großmutter oder Eimer mit Kartoffeln (die Kasperl für den Zauberer schälen soll) beschränkt. Als Dienstfahrzeug des Wachtmeisters Dimpfelmoser dient ein Mini-Gestell mit Rollen und einer Blaulichtsirene obenauf. Einfach gelöst ist auch die Kellerszene, in den Kasperl über eine aus der Versenkung auftauchende Treppe hinab steigt und dort auf die in eine Unke verwandelte Fee Amaryllis trifft, die er nach dem Erlangen des mitternächtlich zu bekommenden Heidekrauts aus ihrer Zwangslage befreien kann. Auch Hotzenplotz, den der Zauberer in einen Gimpel verwandelt hat, wird schließlich aus seinem Piepmatz-Dasein erlöst. Und die Großmutter erhält natürlich ihre geliebte Kaffeemühle, die auch ihr Lieblingslied „Komm lieber Mai und mache“ spielen kann, wieder zurück. Ein musikalisch beschwingter Kehraus beendet das böse Spiel in guter Laune.
Heinz Göhrig (Zwickelmann), Franz Hawlata (Hotzenplotz). Foto: Matthias Baus
Gut getroffen ist die Solisten-Auswahl: der fürs komische Fach besonders gut prädestinierte international renommierte Franz Hawlata kann auch in der vokal nicht sonderlich anspruchsvollen Titelrolle hörbar machen, dass auf seinen charakteristisch trockenen, fülligen und ausdrucksvollen Bass auch im nun bald vollendeten sechsten Lebensjahrzehnt zu zählen ist. Als humorsinniger Gestalter vermag er hinter dem nicht abgrundtief bösen Hotzenplotz auch den Menschen sichtbar zu machen und sich dabei zwischen Tragik und Heiterkeit geschickt balancierend zu bewegen.
Sein Gegenspieler Zwackelmann ist eine künstlerisch recht dankbar angelegte Partie, in der der nunmehr Dienstälteste im Ensemble des Hauses, Heinz Göhrig mit seinem kaum Verbrauchserscheinungen aufweisenden, hellen und klaren, bis in die Höhe intaktem Tenor und trefflicher Artikulation rundum gute Figur macht.
Kasperl und Seppel, die zur Verwirrung des Räubers für ihre Verfolgungsjagd die Kappen tauschen, sind mit den jungen aufstrebenden Baritone Elliott Carlton Hines und Dominic Große, die beide aus dem Opernstudio des Hauses hervor gegangen sind, vokal und bewegungstechnisch den Rollen entsprechend locker, spielfreudig, bisweilen auch etwas zappelig besetzt. Ersterer ist ein Kasperl mit etwas dunkel schattiertem Timbre und leicht grobkörniger Tongebung, zweiterer ein Seppel mit kontrastierend heller Stimmfarbe und akkuratester Deklamation.
Maria Theres Ullrich reizt die noch recht jung wirkende Großmutter mit bissvollem Mezzosopran und bisweilen weinerlichem Mienenspiel köstlich aus. Clare Tunney aus dem Opernstudio gibt der Fee Amaryllis gute Präsenz und romantisch umwehten Sopranglanz. Torsten Hofmann schließlich erfüllt den Wachtmeister roboterhaft korrekt in der Aktion und mit dazu passend eintönig fest verlautbarendem Tenor.
Wie gesagt ein rundum stimmiges Ensemble, an dem Groß und Klein wie auch an der Gesamtkonzeption dieser Familienoper viel Vergnügen hatten und zuletzt alle Beteiligten ausgelassen stürmisch feierten.
Udo Klebes