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STUTTGART/Staatsoper: DER PRINZ VON HOMBURG

Traum oder Wirklichkeit?

21.03.2019 | Oper

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Robin Adams (Prinz) und Moritz Kallenberg (Hohenzollern). Foto: Wolf Silveri

„DER PRINZ VON HOMBURG“ 20.3.2019 (Pr.17.3.2019) – Traum oder Wirklichkeit?

Hans Werner Henze gehörte in den 70er und 80er Jahren zu den Spielplan-Säulen der Stuttgarter Oper. War der einst so revolutionäre, Tradition und Moderne virtuos miteinander verbindende Komponist dann aus der Mode gekommen, dass es über 30 Jahre gedauert hat, bis der neue Intendant Viktor Schoner jetzt an diese Vergangenheit anknüpfte? Die Gründe dafür liegen im Dunkeln. Um so mehr ist zu begrüßen, dass mit dem 1960 in Berlin uraufgeführten und 1991 orchestral revidierten Drama nach Heinrich von Kleist ein Werk ausgewählt wurde, das in Stuttgart noch nicht zu sehen war, und wie sich nun zeigte, von beklemmender Aktualität ist.

Der Stoff, auf den Henze von Luchino Visconti aufmerksam gemacht wurde, bildete für ihn und die Kleists Text kürzende und an entscheidenden Stellen verändernde Librettistin Ingeborg Bachmann die ideale Inspiration ihren Kampf gegen die verkrusteten Denkstrukturen im Nachkriegs-Deutschland bzw. Österreich als Pamphlet für Freiheit und Individualität künstlerisch zum Ausdruck zu bringen. So entstand eine zweistündige Oper im durchkomponierten, meist dramatisch flammenden Deklamationsstil, der sich mit Henzes orchestraler Pranke zwischen greller Dissonanz und kleinteilig schlichter Melodik zu einem anspannenden, die Ohren fordernden Tongespinst verdichtet.

Die 1675 in Brandenburg spielende Handlung ist die frühe Vision einer Staatsform, die anstatt Kadaver-Gehorsam und strenger Ordnung das Recht des Einzelnen, Zweifel und Widerstände als mögliche, ja sogar erwünschte Gerechtigkeit gelten lässt. In Verbindung mit Henzes Tonsprache weitet sich dieses Hauptthema ins Zeitlose, so dass eine in der Gegenwart angesiedelte Inszenierung, wie sie der mehrfach am Stuttgarter Staatsschauspiel in Erscheinung getretene Stephan Kimmig entworfen hat, durchaus legitim ist. Der Einheitsbühnenraum von Katja Haß, zum Zuschauerraum hin durch eine stählern wirkende graue Mauer für die schnellen Schauplatzwechsel immer wieder geschlossen, zeigt eine Art Gefängnis mit gekachelten Wänden und Stangen, der aber genauso ein Ballettsaal (der Kurfürst ist kurz bei Übungen in Schläppchen zu sehen), ein Exerzierraum oder ein Schlachthaus sein könnte. Obwohl sich das eigentlich Militärische draußen abspielt, ist es in der Kälte und Farblosigkeit dieses Raumes doch stets präsent, besonders wenn sich die Offiziere wie als Vorausahnung die Körper mit blutroter Farbe aus Eimern beschmieren. Warum sie ebenso wie die zentrale Gestalt des titelgebenden Prinzen im Verlauf der Handlung ohne Hose erscheinen, bleibt indes fragwürdig und ist als offensichtlich psychologischer Fingerzeig ein Stilmittel, das im Rahmen der konzentriert angelegten Personenregie reichlich plump anmutet.

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Das Kurfürstenpaar Stefan Margita und Helene Schneiderman. Foto: Wolf Silveri

Die etwas einfallslosen blassen Kostüme von Anja Rabes verorten das Geschehen wie schon erwähnt im Heute. Im Mittelpunkt steht der Prinz als Traumtänzer einer freien Gesellschaft. Weil er als General der Reiterei ohne Kommando des Kurfürsten den Befehl zum Angriff gegen die sich bereits zurück ziehenden Schweden erteilt, soll er trotz opferschweren Siegs vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt werden. Als sich seine Geliebte Prinzessin Natalie beim Kurfürsten für ihn einsetzt, lässt sich dieser zur Freilassung des Prinzen erweichen, wenn er das Urteil als ungerecht betrachte. Da sich Homburg dazu bekannt hat, für seine Freiheit sogar die Geliebte aufzugeben, bekennt er seine Schuld und nimmt das Urteil an. Als ihm am Richtplatz die Binde von den Augen genommen wird, erscheint ihm nun umgekehrt, die Realität der Bereitschaft der anderen ihn in ihre Gemeinschaft aufzunehmen, als Traum. Da stehen sie nun alle am Ende an der Rampe und skandieren frontal ins Publikum den Ruf nach einer Freiheit, in der bei allem Gesetz die Gefühle des Einzelnen nicht unterdrückt werden dürfen. Nur der Prinz starrt wieder einmal traumverloren in die vom Tod erwartete Ewigkeit. Der britische Bariton Robin Adams gibt diesem zwischen Welten schwankenden Charakter mit bisweilen taumelnd träumerischer Körpersprache bezwingende Gestalt und vokale Überzeugungskraft in der fast tenoralen Höhe seines Baritons, der unterstützt von seiner hellen Stimmfarbe, in der Mittellage und Tiefe weniger stark ausgeprägt ist. Die Artikulation ist vorbildlich prägnant und ohne jegliche sprachliche Verfärbung.  Eine in Summe bemerkenswerte Leistung.

Hinsichtlich der textlichen Präzision betrifft das alle Beteiligten. Stefan Margita verleiht dem Kurfürsten mit seinem markant heldisch angehauchten Tenor die kalte, bisweilen etwas zynische Macht einer Obrigkeit. Kammersängerin Helene Schneiderman erobert mit der Kurfürstin ein weiteres Feld ihrer schlicht menschlichen, differenziert angelegten Rollenverkörperungen, wobei sich ihr intakter Mezzosopran gleichermaßen in dringlichen wie sanfteren Phrasen voll entfaltet. Mit leuchtend intensivem Sopran bis in die völlig unforcierte Höhe hinauf macht Vera Lotte Böcker als Prinzessin Natalie auf sich aufmerksam, und beeindruckt in der kämpferischen und doch fraulich sensiblen Rollenanlage.

Neben Michael Ebbecke als streng tönendem Feldmarschall Dörfling bei der Verkündigung des Schlachtplans und Friedemann Röhlig als luxuriöse Gast-Besetzung des Obristen Kottwitz erspielt und ersingt sich ganz besonders der Opernstudio-Absolvent Moritz Kallenberg einen verdienten Erfolg – für eine mit viel Feinsinn und Musikalität angelegte, aus einem schon recht üppigen und gleichzeitig lyrisch empfindsamen Tenor gespeiste Umsetzung des engsten Prinzen-Freundes Graf Hohenzollern.

Johannes Kammler ist der Bariton-potente Wachtmeister. Drei Offiziere mit kurzen Soli oder Tutti-Passagen (Mingjie Lei, Pawel Konik und Michael Nagl) sowie drei etwas sonderbar wirkende Hofdamen (Catriona Smith, Anna Werle und Stine Marie Fischer) stehen stellvertretend für einen nicht vorhandenen Chor.

Nicht zuletzt ist es ein gewichtiger Akt für das Staatsorchester Stuttgart, das unter der Leitung von GMD Cornelius Meister den grellen, einerseits Blechbläser-gesättigten Kaskaden, dazwischen aber kammermusikalisch herausragend intimen Momenten ganz klar formulierte Kontur gibt. Hoch konzentriert entladen sich in den die einzelnen Szenen verbindenden Orchesterzwischenspielen die aufgestauten Akkorde und bilden damit rein instrumental das Gerüst der gesamten Oper, die bei aller Forderung an den Zuhörer in der Intensität ihres musik-sprachlichen Gestus kaum einen Spannungsabfall aufweist.

Ein überzeugendes Bekenntnis zum Komponisten, das im sehr schütter besetzten Opernhaus auch in dieser Repertoire-Vorstellung gebührend anerkannt wurde.

                                                                                                                      Udo Klebes

 

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