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STUTTGART/ Staatsoper: DER PRINZ VON HOMBURG von Hans Werner Henze. Premiere

Die Macht des Schlafwandlers

18.03.2019 | Oper

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Robin Adams als „Prinz von Homburg“. Foto: Wolf Silveri

Premiere „Der Prinz von Homburg“ von Hans Werner Henze am 17.3.2019 in der Staatsoper/STUTTGART

DIE MACHT DES SCHLAFWANDLERS

 Ingeborg Bachmann stellte einmal fest: „Alle Männer sind unheilbar krank„. Ihre Bearbeitung von Heinrich von Kleists Schauspiel „Der Prinz von Homburg“ ergänzt die Musik von Hans Werner Henze in idealer Weise. Der Prinz von Homburg lebt in tranceartigen Traumzuständen, die fast schon krankhaft wirken. So weiß man auch nie, wann der Prinz träumt und wann er wacht. Dadurch handelt er in der Schlacht gegen höchsten Befehl, führt sein Heer aber zu einem totalen Sieg. Im realen Albtraum wacht er jedoch auf – Befehlsverweigerern droht die Todesstrafe. Es geht laut Kimmig aber auch um ein krankes System, um Missstände, eine Wunde. Die Funktionsweise von seltsamen Systemen wird eingehend untersucht. Der Kurfürst fordert, dass derjenige, der eigenmächtig die Reiterei in die Schlacht geführt hat, vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt wird. Als der Prinz von Homburg ihm die Siegestrophäen in Form von Fahnen überbringt, lässt er ihn entwaffnen und gefangen nehmen. Zuletzt wendet sich das Blatt jedoch zum Guten: Dennoch nehmen ihn der Kurfürst (der inzwischen ein Hemd mit der Aufschrift „Freiheit“ trägt), die Kurfürstin, Natalie und alle anderen schließlich in ihre Gemeinschaft auf, nachdem der Prinz von Homburg einen Läuterungsweg gegangen ist.

Die Inszenierung von Stephan Kimmig mit dem Bühnenbild von Katja Haß und den Kostümen von Anja Rabes sowie dem Video-Design von Rebecca Riedel ist schlicht. Man sieht eine Leiter und Stahlgerüste. In dieser seltsamen und kargen Umgebung wirken die Protagonisten wie Gefangene. Sie beschmieren sich mit Blut aus Kübeln, als sie in die Schlacht ziehen müssen. Die unheilbare Krankheit der Männer nimmt hier ihren Fortgang, sie ist nicht mehr aufzuhalten. Das hat Stephan Kimmig eindrucksvoll gestaltet. Dies zeigt sich auch, als sich der Prinz in einer Art Glaskasten befindet. Ihre Stärke besitzt diese Inszenierung nicht so sehr durch die Macht der Bühnenbilder, sondern eher hinsichtlich einer überaus konzentrierten Personenführung, die der Musik in die Hände spielt. Immer wieder fällt ein „eiserner Vorhang“ herab, der die Figuren und den Raum in seltsam-surrealistischen Sequenzen beleuchtet und reflektiert. Die Video-Arbeit ist hier gelungen. Ebenso wird der Macht des Schlafwandelns breiten Raum eingeräumt. Man hätte sich dabei zuweilen eine noch konsequentere szenische Weiterentwicklung gewünscht. Zuletzt wird das Publikum dann von großartigen Bildern überrascht, wenn die Protagonisten mit Spruchbändern ihre Forderungen postulieren: „Freiheit“, „Welt“, „Wir“. Es ist eine Freiheit, wie sie laut Ingeborg Bachmann noch nie in einem Staatswesen umgesetzt worden ist. Bei diesen zentralen Passagen erfüllt diese Inszenierung ihren tieferen Sinn, besitzt sie eine klare und unmittelbare Aussage. Es ist eine Feier für den Freimut.

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Foto: Wolf Silveri

Herausragend ist die musikalische Interpretation des Werkes durch den sensibel agierenden Dirigenten Cornelius Meister und das von ihm mit glühender Intensität geleitete Staatsorchester Stuttgart. Knappe musikalische Formulierungen korrespondieren dabei mit einem differenzierten kontrapunktischen Element, das sich insbesondere in der Gefängnisszene offenbart. Da entzündet sich das harmonische Geschehen in feurigen Funken, die melodische Sprache redet gleichsam mit tausend Zungen. Gerade die kammermusikalische Orchesterbehandlung gelingt Cornelius Meister dabei ganz ausgezeichnet. Mit seinem hohen Bariton imponiert hier Robin Adams als Prinz von Homburg, der den kunstvollen gesanglichen Figurationen von Henze immer wieder neue Nuancen abgewinnt. Stefan Margita gestaltet den Kurfürsten mit seinem ausgeprägten Heldentenor sehr voluminös und intensiv. Zwölftontechnik und serielle Arbeit korrespondieren dabei mit an Donizetti und Bellini geschulten Belcanto-Techniken, die sich überaus kunstvoll verdichten. Die Schlachtmusik im zweiten Akt gerät zu einer Musik wie in einer Hexenküche, die Zwölftonreihe zeigt erstaunliche Klangfarben und Facetten. Vieles klingt aber auch freitonal, brachial und kraftvoll. Der Prinz von Homburg gestaltet außerdem Glissando-Passagen ausdrucksstark, Flöte und Bratsche begleiten die Gesangsstimme mit filigranem Glanz. Unisono- und Ostinato-Passagen geben dem Ganzen einen brodelnden Untergrund, der sich auch auf die übrigen Gesangsstimmen überträgt. Hier imponieren neben Helene Schneiderman als voluminöser und leidenschaftlicher Kurfürstin vor allem Vera-Lotte Böcker als ungemein höhensichere Prinzessin Natalie von Oranien, Michael Ebbecke als markanter Feldmarschall Dörfling, Friedemann Röhlig als robuster Oberst Kottwitz und Moritz Kallenberg als prägnanter Graf Hohenzollern.


Robin Adams, Vera Lotte Böcker. Foto: Wolf Silveri

Außerdem ergänzen sich Mingjie Lei als erster Offizier, Pawel Konik als zweiter Offizier, Michael Nagl als dritter Offizier, Catriona Smith als erste Hofdame, Anna Werle als zweite Hofdame, Stine Marie Fischer als dritte Hofdame und Johannes Kammler als Wachtmeister gesanglich nahezu optimal. Insgesamt kann man bei dieser Produktion jedoch sagen, dass das musikalische Geschehen hier noch mehr überzeugt als das szenische. Denn es gelingt Cornelius Meister zusammen mit dem exzellent musizierenden Staatsorchester, die harmonische Feingliedrigkeit dieser Partitur ausgezeichnet zu beschwören. Die stählerne leere Quinte zu Beginn der Oper ergänzt den szenischen komplexen Entwurf treffsicher. Die Quinte und das Intervall der kleinen Sexte verdeutlichen dabei die Staatsräson, wobei Meister den geradezu virtuosen Umgang Henzes mit der Zwölftontechnik hervorragend verdeutlicht. Strenge Verfahren werden hierbei mit frei-tonaler Harmonik und Melodik kombiniert. Variationstechniken wie die der Passacaglia begleiten die kunstvoll verschränkten Handlungen in geradezu verblüffender Weise. Die zwölftönigen Passacaglia-Bässe wirken dabei geradezu unheimlich und fast magisch. Den leidenschaftlich-enthusiastischen Fortuna-Monolog des Prinzen von Homburg am Ende der zweiten Szene gestaltet Robin Adams mit wild-glühender Emphase. Hämmernde pianistische Doppelgriffe sowie Ordinario-Flageolett-Doppelgriffe der Streicher mit Tremolo-Effekten ergänzen den klanglichen Fluss mit bemerkenswerter Intensität. Immer wieder bricht hier aber auch die Inspiration des Melodikers Henze durch, der in der Lage ist, das Orchester zu gewaltigen dynamischen Steigerungen zu führen – wie dies beispielsweise auch bei seiner Oper „Die Bassariden“ der Fall ist. Melos und harmonische Struktur ergänzen sich vor allem bei den Sängerinnen und Sängern optimal. Für die artifiziellen Satztechniken hat Cornelius Meister als Dirigent einen besonderen Sinn, hier lässt er den Gesangssolisten auch immer wieder genügend Freiraum. Mit seiner unglaublichen Verzahnung kompliziertester Strukturen fesselt der gewaltige Klangapparat den Zuhörer. Selbst klangliche Homogenität, romantischer Impetus und traditionelle Metrik werden nicht verleugnet.

Großer Schlussjubel.  

Alexander Walther

 

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