„Der Freischütz“ in der Inszenierung von Achim Freyer am 15.10.2024 in der Staatsoper/STUTTGART
Bauernmalerei mit Hund
David Steffens, Kai Kluge. Foto: Martin Sigmund
Achim Freyers originelle Inszenierung von Carl Maria von Webers „Freischütz“ ist inzwischen zum Klassiker geworden. Das war 1980 bei der Premiere anders, denn da stieß die Aufführung noch auf heftigen Widerspruch. Motive der Bauernmalerei und des Jahrmarkts haben hier in deutlicher Weise Einzug gehalten. Für Achim Freyer ist die musikalische Sprache auf dem Theater sehr wichtig. Das spürt man auch bei der eigentlich genial inszenierten Wolfsschluchtszene, wo die Gespenster heulen und ein riesiges Wildschwein in furchterregender Weise aus der Tür schaut. Die Szene mit Kaspar und dem dämonischen Samiel gerät zu einem weiteren Höhepunkt dieser überaus farbigen und bildkräftigen Deutung. Aber auch die Jägerszenen, wo sogar ein Hund auftaucht, haben es in sich, weil sie satirisch überzeichnet sind. So kann sich die Liebesgeschichte zwischen Max und Agathe fast schon bilderbuchartig entfalten. Zeitdehnung und -raffung spielen virtuos mit einer überzeichneten Realität, wo sich psychische Zustände rasch in eine unheimliche Atmosphäre verwandeln.
Der „Freischütz“ ist bei Achim Freyer tatsächlich ein fantastisches Bild unserer Seele, das sich in immer neuen Facetten zeigt. Da gibt es auch eine Nähe zu den Gespenstern E.T.A. Hoffmanns. Es wird hier eine Welt gezeigt, die sich inmitten des Dunklen und Fremden ihre Schutzwände in der „guten Stube“ sucht. Dies ist die besondere Botschaft dieser gelungenen Inszenierung. Das Bild des Bösen und Guten wird grell herausgestellt. So sieht man in der anfänglichen Eremitenszene das über allem strahlende Auge Gottes. Das Böse ist hier Kaspar, Samiel und die an Hieronymus Bosch erinnernde Wolfsschlucht. Zwischen allen diesen Dingen steht Ännchen als einzig tätige Person im Stück, die die Verteufelungen in Frage stellt und damit das gute Ende heraufbeschwört. Dem erst 25jährigen Dirigenten Luka Hauser gelingt es mit dem Staatsorchester Stuttgart, die Ausdruckshaltung des Werkes eindrucksvoll herauszuarbeiten. Der Ländler der Bauern, das Lied vom Jungfernkranz oder der vitale Jägerchor geraten zu Glanzpunkten dieser Aufführung. David Steffens betont das Rachepathos in Kaspars großer Arie überaus gespenstisch. Die Nähe zur neapolitanischen Oper wird hier deutlich. Kai Kluge gestaltet als Max die Arie „Durch die Wälder, durch die Auen“ mit hellem und strahlkräftigem Tenor. Einflüsse Mehuls sind unverkennbar. Die neuartigen instrumentalen Sequenzen in der Wolfsschluchtszene werden minuziös und rhythmisch-akribisch herausgearbeitet. Die höchsten Lagen der Holzbläser klingen hier ausgesprochen intonationsrein. Motivwiederholungen besitzen immer klangfarblichen Reichtum. Mandy Fredrich kann Agathe ergreifende Sopran-Intensität und Leidenschaft zugleich verleihen. Auch Natasha Te Rupe Wilson gestaltet Ännchen mit glockenreiner Intonation. In weiteren Rollen gefallen Johannes Kammler als Ottokar, Franz Hawlata als Kuno, Goran Juric als erhabender Eremit, Jasper Leever als charismatischer Kilian und Sebastian Bollacher als unheimlicher Samiel. Famos sind auch die beiden Jäger Henrik Czerny, Alois Riedel sowie die Brautjungfern Alissa Kruglyakova, Nora Liebhäuser, Lena Spohn, Antonia Schneider, Laura Corrales, Pia Liebhäuser und Gudrun Wilming. Hinzu kommen Puppen und Spiel von Adelheid Kreisz, die lustigen Musikanten Daniel Kaleta, Johannes Petz und Stephan Storck, der Dirigent im rustikalen Jägerchor Churchill Qiu, die reizenden Schankmädchen Dorothee Hoff und Kristina Edinger sowie die ausdrucksvolle Solo-Viola von Madeleine Przybyl. Der Staatsopernchor und der Kinderchor der Staatsoper Stuttgart (Leitung: Bernhard Moncado) vollbringen eine hervorragende Leistung. Die besondere und elektrisierende musikalische Qualität dieser Aufführung macht sich schon bei der Ouvertüre bemerkbar, die eine konzentrierte Naturschilderung ist. Aus zartem Pianissimo entfalten sich die geheimnisvollen Akkorde der Hörner als Abenddämmerung im Walde. Ein düsteres Tremolo leitet dann zum unheimlichen Pochen der Pauke über. Das leidenschaftlich bewegte Allegro wird von einem zarten Gesang des zweiten Themas unterbrochen. Das unheimliche Drohen der Posaunen wird hier hervorragend betont – und auch der Wiederholungsteil beschwört das erregte erste Thema. Überwältigend wirkt der Schlusshymnus am Ende der Oper mit dem überaus strahlkräftigen Staatsopernchor.
Der Eremit. Foto: Martin Sigmund
Man hat aufgrund der Beschwörung okkulter Mächte sogar eine Nähe zu Tschaikowskys „Pique Dame“ betont. Luka Hauser stellt auch die Nähe Carl Maria von Webers zu Wolfgang Amadeus Mozart immer wieder überzeugend heraus. Die Musik der Wolfsschluchtszene gelingt hier ausgezeichnet. Im Wald wohnen bei Achim Freyer teuflische Kräfte, die von Samiel als Schwarzem Jäger personifiziert werden. Ihr Leitmotiv baut sich drohend in den Celli auf, mit dumpfer Tremolobegleitung der Streicher. Paukenschläge und Pizzicati auf vermindertem Septakkord steigern die atemlose Spannung, die Luka Hauser mit dem Staatsorchester immer betont. Nach dem Gießen der sechsten Kugel leiten aneinandergereihte punktierte Rhythmen zu eigenartigen Marschtakten über. Dieses Element der Durchführung kehrt in der feurigen Triumpharie Kaspars am Ende des ersten Aktes wieder.
Der C-Dur-Akkord verkündet schließlich die Kräfte des Guten, es folgt eine grandiose Coda mit strahlendem Orchesterklang. Das Fugato beschwört eindrucksvoll Kaspars Ende. Am Schluss gab es großen Jubel für das gesamte Ensemble.
Alexander Walther