Staatsoper Stuttgart: „DER FREISCHÜTZ“ 8.11.2024 – frisch und animierend wie am ersten Tag
Starke Kontrahenten: David Steffens (Kaspar) und Kai Kluge (Max). Foto: Martin Sigmund
Ein Kuriosum in unseren Zeiten kurzlebiger, teils trashiger und am Stück vorbei gehender Inszenierungen: gut 44 Jahre nach der Premiere im Oktober 1980 erweist sich Achim Freyers in Personalunion als Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner geschaffene und über zahlreiche Wiederaufnahmen liebevoll im Detail gepflegte Arbeit als Fels in der Brandung, der wie in dieser 186. Vorstellung deutlich zu vernehmen war, nach wie vor Jung und Alt begeistert. Einst sehr umstritten, heute als wertvolles Dokument geschätzt, reiht sie sich in eine Reihe von Kult gewordenen Produktionen der Operngeschichte ein. Dabei hatte Freyer den Stoff keineswegs brav erzählt, vielmehr mit einiger Ironie, übertrieben geschminkten Gesichtern und einer zeichenhaften Gestik gearbeitet, aber die Handlung in ihrer angestammten Jägerwelt belassen. Manches mag immer noch Geschmackssache sein, doch ist die Geschichte auch für Uneingeweihte unmittelbar verständlich, woran es heute leider vielen Inszenierungen mangelt.
Nicht nur szenisch, auch musikalisch wurde die Qualität über die Jahrzehnte auf mehr oder weniger hohem Niveau gewahrt, allerdings nicht immer so auffallend glanzvoll wie in dieser Neueinstudierung durch GMD Cornelius Meister. Wie er die für die Entstehungszeit kühnen und farbreichen Orchesterstimmen präsent herausarbeitet, vor allem den Streicherapparat frisch und zupackend animiert und die Bläser ins Zusammenspiel pointiert integriert, verschafft dem viel gehörten Werk zu einer stellenweise ungeahnten Tiefe und Intensität. Das Staatsorchester Stuttgart ließ sich nicht lumpen und seine hohe Kompetenz die ganze Aufführung über deutlich werden. Daran schloss sich der Staatsopernchor und Kinderchor (Einstudierung: Bernhard Moncado) mit einem nicht minder zugkräftigen, saft- und klangvollen Einsatz an. Der Jägerchor ist immer noch ein besonders vergnüglicher und gleichzeitig genüsslich Klischees auf die Spitze treibender Höhepunkt.
Solistisch stechen die Männer heraus. Der aus dem Opernstudio aufgebaute Kai Kluge hat sich mit dem Max eine weitere Stufe auf dem Weg zu einer schon zu erahnenden Entwicklung in heldische Gefilde erarbeitet. Klar zentriert führt er seinen hell akzentuierten Tenor durch die Register und mit leichtem Ansatz in mühelos ausgesungene Höhen, wobei ihm ein gewisser Schmelz durch das parallel bediente italienische Fach auch im deutschen Dach zugute kommt. Dazu verkörpert er einen passend verklemmten und doch starken Jägerburschen. In David Steffens hat er als Kaspar ein starkes Gegenüber, das mit differenziertem Unterton und mit flexiblem Einsatz dunkel spröder wie licht ausbrechender Klänge dem auf Abwege geratenen, mit dem Bösen im Bunde befindlichen Jäger starke Präsenz verleiht. Auch Steffens hat seinen Bassbariton weiter verfeinert und in der Tragfähigkeit ausgebaut. Freyers effiziente Charakterisierung der einzelnen Figuren spielt auch den anderen Herren in den kleineren Partien in die Hände: Goran Juric verschafft dem wirkungsvoll in Szene gesetzten Eremiten mit seinem klangvollen Bass die dazu gehörende Würde. Johannes Kammlers viriler Bariton hat mit dem hoch notierten Fürsten Ottokar keinerlei Mühe und bringt seine erregte Strenge auch vokal zur Geltung. Franz Hawlata gibt dem Erbförster Kuno mit seinem von Reife geprägten und noch gut ansprechenden Bass die erforderliche Glaubwürdigkeit. Jasper Leever wiederum lässt den Kilian in seiner anfänglichen Soloszene dank seines gesamtheitlich soliden Rüstzeugs keineswegs zu einer vernachlässigten Kleinrolle verkommen. Nur beim Samiel erinnert die Vergangenheit an sprachlich eindringlichere Beiträge als den von Sebastian Bollacher.
Grandiose Finalszene (v.l. Kai Kluge, Johannes Kammler, Goran Juric, Mandy Frederich, Franz Hawlata, Natasha Te Rupe Wilson). Foto: Martin Sigmund
Bei den Damen entspricht die als einstiges Ensemble-Mitglieder immer wieder gern zurück kehrende Mandy Fredrich exakt der ängstlich verzagten und frommen Agathe. Ihr nur leicht metallischer Sopran gleitet frei und ohne Mühen durch die anspruchsvollen Kantilenen, die Spitzentöne sind klar und präzise gesetzt, der Vortrag ist innig und beseelt. In der immer dankbaren Rolle des Ännchen punktet Natasha Te Rupe Wilson mit lustvoll burschikosem Spiel und ihrem leicht und spritzig geführten Sopran. Nur in den Höhenaufschwüngen mischten sich ein paar Unsauberkeiten ein, die vielleicht bzw. hoffentlich einer nicht optimalen Tagesform geschuldet sind, denn bei ihren bisher verfolgten Auftritten war solches noch nicht aufgefallen. Die aus dem Staatsopern- und Kinderchor rekrutierten Brautjungfern sorgten mit köstlicher Darstellung und kontrastierenden solistischen Beiträgen wieder für viel Heiterkeit.
Nach dieser in allgemeiner Begeisterung geendeten Vorstellung besteht der dringliche Wunsch, dieses szenische Kulturgut weiterhin zu hegen.
Udo Klebes