Foto: Sebastian Hoppe
Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ am 23.6.2019 in der Staatsoper/STUTTGART
Selbstinszenierung zwischen Investmentbankern
In Stuttgart wird die Pariser Urfassung des „Fliegenden Holländers“ aus dem Jahre 1841 gespielt. Sie klingt schroffer und robuster wie die spätere Fassung. In Wagners früher Oper wurde der Holländer von Satan selbst dazu verdammt, ruhelos auf den Weltmeeren herumzuirren. Alle sieben Jahre darf er an Land, um eine Frau zu freien, die ihm Treue hält bis zum Tod. Calixto Bieito führt den Holländer in seiner Inszenierung aus der Hölle der ewigen Wiederkehr in die kalte Welt egoistischer Berechnung (choreographische Mitarbeit: Lydia Steier; Bühne: Susanne Gschwender, Rebecca Ringst; Kostüme: Anna Eiermann). Der Holländer kommt so vom Regen in die Traufe. In der kapitalistischen Gesellschaft gilt der Mensch nur so viel, wie er einbringt. Es ist eine neoliberale Selbstinszenierung mit einer korrupten Investmentbank-Truppe. Da werden Geldscheine öffentlich verstreut und in die Luft geworfen. Natürlich kommen bei diesem nicht immer gelungenen Konzept auch gespenstische Szenen vor, Türen fliegen auf, der Geisterchor intoniert gewaltige harmonische Ausbrüche, ein Gummiboot wird hin- und hergeschoben. Außderdem sieht man Lido-Tänzerinnen mit Federboas, die sich zur Musik teilweise asynchron bewegen. Das Mystische und Übernatürliche erscheint zu kurz. Man sieht ein seltsames Haus, aus dem die Tänzerinnen entsteigen, es ragen aber auch seltsame Füße heraus. Senta ist zwischen Kühlschränken gefesselt, im Hintergrund sieht man Computer-Schriftzeichen. Der außer Rand und Band geratene, eifersüchtige Georg fuchtelt gar mit einem Beil herum. Doch für den passenden gruseligen Augenblick sorgt Manni Laudenbach als Dämon, der die Fäden der gesamten Handlung in unüberschaubarer Weise zusammenhält. Die trügerische Welt der Investmentbanker geht völlig unter. Und der sterbende Holländer wird in einem Schlauchboot in die Höhe gezogen.
Damenchor. Foto: Martin Sigmund
Das Staatsorchester Stuttgart musiziert unter der inspirierenden Leitung von David Afkham mit viel Herzblut und Feuer. Sentas Ballade ist auch hier ein musikalisches Herzstück, denn die schwedische Sopranistin Elisabet Strid vermang die Intensität ihrer berühmten Ballade dem Publikum mit geradezu unmittelbarer Glut mitzuteilen. Verbindungen und Verzweigungen der thematischen Motive lotet David Afkham mit dem Staatsorchester Stuttgart sehr überzeugend aus. Das Holländermotiv mit seinen unheimlichen leeren Quinten gelingt dem schwedischen Bariton John Lundgren imposant, auch der spärenhafte Zauber des Erlösungsmotivs von g-Moll nach B-Dur überzeugt die Zuhörer mit geheimnisvoller Aura. Bei der „Holländerarie“ erreicht John Lundgren eine erstaunliche Präsenz: „Die Frist ist um, und abermals verstrichen sind sieben Jahr„. Der von Manuel Pujol hervorragend einstudierte Staatsopernchor Stuttgart mitsamt dem Zusatzchor der Staatsoper Stuttgart (Geisterchor) gefällt auch bei der Betonung der motivischen Verwandtschaft von Matrosenchor und dem Spinnlied der Mädchen. Die dynamischen Steigerungswellen des großen Duetts von Senta und Holländer im zweiten Akt („Wie aus der Ferne vergangner Zeiten“) gelingen Elisabet Strid und John Lundgren mit bewegender stimmlicher Emphase und reifer Ausdruckstiefe. Auch Matthias Klink bietet als zwischen dem Holländer und Senta stehender, verzweifelter Georg eine ausgezeichnete gesangliche Leistung. Liang Li als Donald (der den Holländer als Bräutigam ankündigt) und Daniel Kluge als Steuermann vervollständigen diesen beglückenden Gesangsreigen. Schon den poetischen Gedankengang der Ouvertüre erfasst David Afkham mit dem Staatsorchester in exzellenter Weise, die Macht der Sturmmusik bricht mit elementarer Gewalt über die Zuhörer herein. Als farbenkräftiges „Seestück in Tönen“ kommt die Einleitung in jedem Fall daher. Als Mary überzeugt ferner Fiorella Hincapie, die auf Senta irgendwie beschwichtigend wirken möchte. Das intensive szenische Spiel kann sich bei dieser Wiedergabe trotz Abstrichen immer wieder prachtvoll entwickeln. Aufwärtseilende chromatische Läufe beschreiben die wilden Wellen, die sich nicht mehr beruhigen lassen.
Leider findet das stoische Bühnenbild hierzu keine Entsprechung. Und trotzdem gibt es aufwühlende Passagen, die diese szenischen Schwachstellen vergessen lassen. Manche Details akzentuiert David Afkham als Dirigent hitzig und sehr genau – so etwa die Posaunenakkorde beim Holländer-Rezitativ. Das Spinnlied besitzt bei dieser Aufführung auch aufgrund des emotionalen Agierens von Elisabet Strid großen melodischen Reiz. Die großen lyrischen Bögen kommen nicht zu kurz. Insbesondere die Erlösungs-Motive gewinnen starke Intensität. Georgs Warnrufe an Senta gehören in jedem Fall zu den packendsten dramatischen Momenten dieser Aufführung. Auch das Holländer-Motiv gewinnt eine immer stärkere Präsenz. Das Unmutsmotiv bei der letzten Schicksalsenthüllung des Holländers packt das Publikum bei dieser Interpetation in ganz besonderer Weise. In triumphierenden Klängen erstrahlt dann das Erlösungsmotiv. David Afkham besitzt als Dirigent einen Sinn für die großen melodischen Bögen Wagners, die auch hier schon die spätere Welt des „Ring des Nibelungen“ ankündigen.
Tosender Schlussbeifall – insbesondere für die berührende Senta von Elisabet Strid.
Alexander Walther