Premiere von Richard Wagners „Das Rheingold“ am 21.11.2021 in der Staatsoper/STUTTGART
Im abgebrannten Zirkus
Die Rheintöchter verführen Alberich. Foto: Matthias Baus
Es ist eine gespenstische Szenerie, die Stephan Kimmig in seiner Inszenierung von Wagners „Das Rheingold“ bietet (Bühne: Katja Haß; Kostüme: Anja Rabes). Wir befinden uns hier nämlich in einem abgebrannten Zirkus – und die drei Rheintöchter sind Schülerinnen und Studentinnen. Man spürt das Flair der Bewegung Fridays For Future. Diese Rheintöchter kommen aus familiären Verhältnissen, in denen es sehr viel Geld gibt. Sie fühlen sich dem zappelnden Alberich überlegen, der sich schnell verspottet fühlt. Er ist ein obdachloser Clown, der einfach kein Zuhause findet. Die Rheintöchter spielen mit ihm, auch um etwas über die eigene Sexualität zu erfahren.
Goran Juric (Wotan). Foto: Matthias Baus
Und doch bleibt vieles in dieser Inszenierung psychologisch gesehen an der Oberfläche. Wenn sie die Goldbarren heranschleppen, missbrauchen sie auch Alberichs Gier nach Macht. Und nachdem der Zwerg das Gold geraubt hat, fährt er es in einem Schubkarren davon. Manchmal fühlt man sich als Zuschauer bei dieser Inszenierung wie auf einer großen Baustelle. Doch es fehlen immer wieder mystische Visionen – vor allem bei der Szene zwischen Wotan, Fricka und den übrigen Göttern in Walhall. Die Riesen kommen in großen Kranwagen herangefahren, die Götter flitzen in Sportwagen davon. Der Nachtzirkus wird zum morbiden Ort, der die Protagonisten ziemlich ratlos zurücklässt. Freia ist permanent auf der Suche nach ihrer Identität und probiert Outfits und Maskeraden aus. Gelegentlich wirkt das übertrieben und grotesk überzeichnet. Janine Riedesel und Nina Treiber spielen Artistinnen, die sich an roten Vorhängen hin- und herhangeln. Bei Mime und den Nibelungen entfacht Alberich allerdings Dauerangst und Horror, was man auch auf den alptraumhaften Videobildern von Rebecca Riedel sieht. Diese Nibelungen sehen aus wie verängstigte Kinder, die um einen eckigen Tisch herum sitzen. Diese Passagen sind bei der Inszenierung überhaupt am besten gelungen. Man erkennt hier die von den Riesen entführte, weinende Göttin Freia.
Es gibt bei der Aufführung einen zentralen Höhepunkt, der auch dramaturgisch gut gelöst ist. Dieser betrifft die Verhaftung Alberichs durch Wotan und Loge. Er wird auf ein kreiselartiges Brett gefesselt, das sich immer wieder alptraumhaft hin- und herdreht. Für den Sänger Leigh Melrose ist dies eine ungeheure Herausforderung. Und auch bei seinem Fluch gewinnt er packende Präsenz. Enttäuschend hingegen wirkt der blasse Schluss, bei dem die Götter gar nicht sichtbar über die Brücke der Burg gehen. Hier vermisst man den metaphysischen Zauber dieses Werkes. Das zeigt sich außerdem bei Wotans verschenkter Szene mit Erda, die mit dem Fahrrad hereinfährt. Kimmig möchte dabei Walhall als Entwurf für die Welt begreifen, die man für alle besser und schöner machen müsste. Doch eben dieser Ansatz will ihm nicht gelingen. Die tödliche Auseinandersetzung zwischen den Riesen Fasolt und Fafner dagegen besitzt nochmals starke Bühnenpräsenz.
Loge, Alberich, Wotan. Foto: Matthias Baus
Musikalisch ist diese Vorstellung weitaus ergiebiger, leidenschaftlicher, romantischer. Das liegt vor allem an dem umsichtigen, engagierten Dirigenten Cornelius Meister, der viele Details mit bohrender Intensität herausarbeitet. Das zeigt sich vor allem bei den robusten Blechbläsereinsätzen. Aber auch die musikalische Ökonomie kommt nicht zu kurz. Bei der Es-Dur-Einleitung wählt er klangmalerische Ausdruckstiefe, so kommt es zumindest musikalisch zu einer mystischen Versenkung. Leigh Melrose als Alberich baut seinen berühmten Fluch mit hohem Bass in einer ungeheuren Steigerung auf. Auch Goran Juric als Wotan besitzt einen ausgesprochen hohen Bass, dessen klangfarbliche Ausdruckskraft besticht. Pawel Konik als Donner befindet sich gesanglich in einer ähnlich vorteilhaften Stimmlage. In weiteren Rollen überzeugen ferner Moritz Kallenberg als Froh und vor allem Matthias Klink als wandlungsfähiger Loge, dessen Tenor die geheimnisvollen Sequenzen dieser Partie facettenreich auslotet. Rachael Wilson verleiht der Göttin Fricka durchaus das passende Pathos. Elmar Gilbertsson bietet als geifernder Mime seinem Bruder Alberich verzweifelt Widerpart. Und David Steffens als Fasolt sowie Adam Palka als Fafner liefern mit des Basses Grundgewalt eindrucksvolle Rollenporträts. Esther Dierkes besitzt als Freia leidenschaftliche Emphase. Und Stine Marie Fischer als Erda zeigt als Altistin hochdramatische Präsenz. Die drei Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Floßhilde werden von Tamara Banjesevic, Ida Ränzlöv und Aytaj Shikhalizade mit gesanglicher Leuchtkraft verkörpert.
Cornelius Meister gelingt es als Dirigent allerdings, die Sängerinnen und Sänger zu Höchstleistungen anzuspornen und das thematische Gewebe klug und konzentriert zusammenzuhalten. Dies betrifft vor allem auch die Kennzeichnung der Verträge, die mit einer langsam abschreitenden Tonleiter gekennzeichnet werden. Speer- und Vertrags-Motiv werden hier deutlich miteinander verkettet. Große Schärfe in der Charakterisierung kennzeichnen die Auseinandersetzungen zwischen Wotan und Fricka. Auch das „Schönheits-Motiv“ der Göttin Freia wird von Cornelius Meister keineswegs überzeichnet. Hier lässt er der Sängerin Esther Dierkes genügend Freiraum für ihre weit ausschwingenden Kantilenen. Das Siegschwertmotiv mündet dann in einen fast rauschhaften Schluss mit einem gewaltigen Ostinato mit Trompeten, Posaunen und Pauke, wobei die Rheintöchter transparent im Hintergrund ihr Los beklagen.
Foto: Matthias Baus
Zuletzt gab es tosenden Applaus für die Musiker und Sänger, aber auch heftige „Buh“-Rufe für das Regie-Team. Das famose Staatsorchester Stuttgart und Cornelius Meister bekamen an diesem Abend besondere Ovationen.
Alexander Walther