Mozarts „COSÌ FAN TUTTE“ als Wiederaufnahme in der Staatsoper Stuttgart
SPIEL UND TÄUSCHUNG
„Cosi fan tutte“ von Mozart am 12.4.2017 als Wiederaufnahme in der Staatsoper/STUTTGART
Copyright: A.T.Schaefer
In der „modernen“ Inszenierung von Yannis Houvardas ist Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Cosi fan tutte“ jetzt wieder in der Staatsopeer zu erleben. In diesem 1790 entstandenen Meisterwerk wird die Niederlage idealisierter bürgerlicher Empfindung vor der Macht des Eros dargestellt. Fiordiligi und Guglielmo sind unsterblich ineinander verliebt. Und Fiordiligis Schwester Dorabella hat in Ferrando den Mann ihrer Träume gefunden. Don Alfonso und Despina dagegen haben den Glauben an die große Liebe bereits hinter sich gelassen. Die beiden jungen Paare unterziehen sich einer unerhörten Treueprobe. Das Spiel gerät völlig außer Kontrolle, als die Liebenden ihre Gefühle für den jeweils anderen Partner entdecken.
Houvardas stellt dieses verwirrende Maskenspiel anhand eines aufgeschnittenen Reihenhauses dar, wo erst zuletzt im Hintergrund ein großer Vorhang fällt, der die Sicht auf ein nebulöses Versteckspiel im Sinne der Commedia dell’arte freigibt. Es herrscht am Ende der Oper keine unschuldige Harmonie, obwohl es eine Versöhnung der Paare gibt. In gewisser Weise dominiert auch Resignation. Innerhalb der Handlung gibt es dann eine labyrinthische Verschiebung im Rahmen der seelischen Prozesse. Das stellt Yannis Houvardas trotz szenischer Schwachstellen plausibel dar. Dies gilt auch dann, wenn die Männer den Frauen ungestüm an die Wäsche gehen und von diesen abgewiesen werden. Gegensätze ziehen sich hier an, auch wenn auf der Bühne eigentlich recht wenig passiert. Despina dirigiert zuletzt das gesamte Ensemble, die Akteure wenden sich frontal ans Publikum, dann folgt Gelächter – und alles erstarrt plötzlich wie in Zeitlupe. Dieser Schluss ist durchaus spannungsvoll.
Für Houvardas hat dieses Werk eigentlich keinen Anfang und kein Ende. Die Figuren sind gefangen in ihrem Seelenlabyrinth wie in einem undurchdringlichen Teufelskreis. Hier wird mit vielen Vorstellungsweisen von Liebe virtuos gespielt. In seiner Inszenierung möchte er nicht die Verschwörung der Männer gegen die Frauen zeigen. Es geht ihm vielmehr um ein Spiel, an dem alle beteiligt sind und in dem alle darum ringen, die Idee einer reinen und utopischen Liebe zu beweisen. Die vier jungen Liebenden verkörpern hier Unerfahrenheit und Naivität zugleich. Houvardas glaubt, dass „Cosi fan tutte“ eine Tragikkomödie ist.
Yuko Kakuta, Shigeo Ishino. Copyright: A.T.Schaefer
Das Staatsorchester Stuttgart musiziert unter der temperamentvollen Leitung von Roland Kluttig sehr rasant und transparent. Ein ausgelassenes Presto und ein toller Wirbel beherrschen bereits die atemlos daherkommende Ouvertüre. Alle Lebensgeister werden so tatsächlich geweckt, das überträgt sich auch auf die Sänger. Die drei kurzatmigen Themen können sich so gut entwickeln. Das schwärmerisch verliebte Motiv der Oboe ist von betörend-einschmeichelnder Wirkungskraft – und die Bässe unterstreichen das Motto dieses Werkes verschmitzt: „So machen’s alle Frauen“. Bei dieser Opera buffa triumphieren Hailey Clark als höhensichere Fiordiligi ebenso wie die grandiose Diana Haller als Dorabella. Auch Ronan Collett als Guglielmo, Thomas Elwin als Ferrando, Yuko Kakuta als verschmitzte Despina und Shigeo Ishino als wahrhaft durchtriebener Don Alfonso bieten ein gesanglich graziöses Verwirrspiel, dessen kunstvolle figurative Einschübe die Zuhörer immer wieder ungemein verblüffen. Sphärenhaft-überirdischer Humor macht sich bei diesen stimmlichen Höhenflügen trotzdem breit, weil es allen Sängern hier gelingt, das Publikum emotional tief zu berühren. Für E.T.A. Hoffmann waren diese Klänge Ausdruck „ergötzlichster Ironie“, was Yannis Houvardas in seiner Inszenierung zusammen mit dem einfühlsamen Dirigenten Roland Kluttig durchaus herausarbeitet (Bühne: Herbert Murauer; Kostüme: Anja Rabes).
Der von Christoph Heil souverän einstudierte Staatsopernchor Stuttgart unterstreicht die harmonischen Grenzüberschreitungen dieser Musik in perfekter Weise. „Cosi fan tutte“ ist als Oper konstruiert wie eine geometrische und mathematische Aufgabe, was auch die Sänger zusammen mit dem Staatsorchester unter Roland Kluttigs Leitung überzeugend betonen. Bei Kluttig enthüllt diese Musik eine Wahrheit des Klangbildes, die keine Fragen mehr offenlässt. Und Obwohl Kritiker wie Eduard Hanslick die Unwahrscheinlichkeit dieser Fabel bemängelten, zeigt Houvardas einen doppelbödigen Versöhnungsschluss, dessen Hintersinn offenkundig ist. Zwischen f-Moll und C-Dur haben die beiden seltsamen Paare die Heiterkeit und den Zustand der Versöhnung sowie die Harmonie der Herzen erreicht. Die drei Terzette werden von den Gesangssolisten mit explosiver Präzision gestaltet. Gleich das erste Terzett in G-Dur führt hinein in einen überaus heftigen Streit, der auszuufern scheint. Der leidenschaftliche Konversationston wird in glänzender Weise getroffen. Auch der Triolenfluss der zweiten Violinen geht bei dieser sensiblen Wiedergabe durch das Staatsorchester Stuttgart unter der kompetenten Leitung von Roland Kluttig nie unter. Hier treten vier orchestrale Ebenen mitsamt retardierenden Momenten eigenwillig zueinander. Und die Sänger werden von dieser Bewegung getragen, agieren oftmals mit weichem Timbre, tragfähiger Mittellage und zielsicheren Spitzentönen. Noch deutlicher zeigen sich diese Vorzüge bei den Liebesduetten mit ihrer A-Dur-Grundtonart und ihren häufigen Tempowechseln. Da brillieren insbesondere die beiden glanzvollen Sopranistinnen Hailey Clark und Diana Haller. Hailey Clark stellt die völlige Konsterniertheit Fiordiligis über den unerwarteten Anblick heraus („Cosa veggio!“). C-Dur gebietet hier in energischen Akkorden Einhalt. Das sind Details, die Roland Kluttig mit dem Staatsorchester Stuttgart nie vernachlässigt. Sehr gut herausgearbeitet wird hier auch die Vereinigung der „falschen“ Paare im As-Dur-Larghetto des Finales. Dabei sticht die Vergänglichkeit des glücklichen Augenblicks grell hervor. Der Wendepunkt durch Besinnung naht unaufhaltsam. Was folgt, ist die Rückkehr auf den Boden der Realität. Allerdings ist im Allegro von Don Alfonsos Bericht und die Reaktion der Mädchen der Katastrophenton unüberhörbar. In panischer Angst fordern die Schwestern die ihnen neu Angetrauten zur Flucht auf. Die Idee des gestörten Festes beherrscht das Finale von „Cosi fan tutte“ ebenso wie bei „Don Giovanni“. Die Personen erhalten aber ein Recht auf individuelle Existenz, das akzentuiert die Musik bei dieser Aufführung sehr deutlich. Die Vertauschung der Identität wirkt bei Yannis Houvardas Inszenierung zuletzt durchaus bedrohlich. Und die ostinatohafte Figur des Abschiedsensembles beim Quintett gewinnt sofort Format und klare Struktur. Hailey Clark vollbringt als Fiordiligi bei den Passagen „Sii costante a me sol“ („Sei mir allein treu“) ein melodisches Wunder. Den Rondo-Charakter der Musik arbeitet Kluttig mit dem famosen Ensemble einmal mehr vorzüglich heraus. Diana Haller betont Dorabellas Verzweiflungsausbruch in Rezitativ und Arie „Smanie implacabili“ hervorragend. Sie sieht sich von Furien verfolgt. In den pfeifend-jagenden Es-Dur-Linien der Bläser und dem Zittern der Streicher werden die Schrecken der Unterwelt plastisch beschworen. Das zeigt der Schlussmoment eindringlich.
Großer Schlussapplaus für alle Beteiligten.
Alexander Walther