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STUTTGART/ Staatsoper: CAVALLERIA RUSTICANA/ LUCI MIE TRADITRICI. Doppelabend

12.10.2020 | Oper international

 „Cavalleria rusticana/Luci mie traditrici“ in der Staatsoper Stuttgart TRAUM UND WIRKLICHKEIT Premiere: Doppelabend am 11.10.2020″


Cavalleria rusticana. Eva Maria Westbroek, Arnold Rutkowski.  Foto: Matthias Baus

Natürlich ist es problematisch, Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ in einer Kammermusikfassung zu musizieren – wie eben jetzt in der Stuttgarter Staatsoper unter der inspirierenden Leitung von Cornelius Meister (der auch vom Klavier aus agiert) geschehen. Gespielt wird die Fassung für Kammerorchester von Sebastian Schwab. Santuzza ahnt, dass Turridu, der ihr die Heirat versprochen hat, sie mit seiner einstigen Liebe Lola betrügt. Da sich Turridu ihrem Flehen entzieht, verrät Santuzza den Ehebruch an Lolas Mann. Am Ende des Ostersonntags steht ein Mord: Turridu wird durch Lolas eifersüchtigen Mann sterben.

Liebe und Gewalt verschmelzen auch in Salvatore Sciarrinos „Luci mie traditrici“ („Meine trügerischen Augen“) zu einer gespenstisch-fatalen Einheit. Das plötzliche Auftauchen eines Gastes stellt die Liebe zwischen Graf und Gräfin Malaspina in Frage. Als der Diener des Grafen seinem Herrn die Untreue meldet, sieht dieser sich gezwungen, den Eindringling und seine über alles geliebte Frau qualvoll zu ermorden. Das Geschehen erinnert an das tragische Leben des Renaissancefürsten Carlo Gesualdo, der seine Frau aus Eifersucht umbrachte. In der suggestiven und subtilen Inszenierung von Barbara Frey und dem pompösen Bühnenbild von Martin Zehetgruber (Kostüme: Bettina Walter) steht eine riesige Aufgangstreppe im Mittelpunkt, die sich auf einer Drehbühne in einen geheimnisvollen Garten verwandelt. Schlaf und Traum spielen übrigens in dieser Inszenierung bei beiden Stücken eine große Rolle – bei Sciarrinos Komposition natürlich noch mehr als beim ersten Stück. Die Menschen versuchen hier vor allem, über den Schlaf und den Traum in eine ganz andere Welt zu flüchten, weil sie die Realität nicht mehr ertragen. Bei „Cavalleria rusticana“ ist das Motiv des Schlafs in Bezug auf die Thematik des Alleinseins interessant. Santuzza möchte sich mit Menschen in Verbindung bringen, denen sie in der Realität nicht mehr nahe sein kann. Und im Wachzustand fühlt sie sich emotional isoliert. Die Dorfgemeinschaft kann die Regisseurin aufgrund der Corona-Bestimmungen derzeit nicht auf die Bühne bringen. Also hat sie auch das Handlungsgeschehen deutlich reduziert. Dennoch sind ihr viele Szenen gelungen, weil man sich nun auf andere Details konzentrieren kann. Die Isolation der Figuren kommt in beiden Werken jedenfalls grell zum Vorschein. Der veristische Zauber offenbart sich bei „Cavalleria rusticana“ vor allem bei den voluminösen Gesangsstimmen.

Die nach Stuttgart zurückgekehrte Sopranistin Eva-Maria Westbroek erfüllt ihre Partie als Santuzza mit Ausdruckstiefe und stählerner Höhe. Gerade die emotionalen Ausbrüche gelingen ihr stimmlich sehr eindrucksvoll. Dies gilt auch für die effektvoll gestaltete Arie „Als euer Sohn einst fortzog“. Aber auch die rührende Liebesklage im „pianissimo“ („Ach, deine Santa, kannst du sie leiden sehn?“) interpretiert Eva-Maria Westbroek ausgesprochen wirkungsvoll. Der Gegensatz von sizilianischer Volksmusik zu brutalen realistischen Effekten stechen auch bei der von Arnold Rutkowski facettenreich gestalteten Rolle des Turridu grell hervor. Gewaltige dynamische Steigerungen kommen insbesondere bei den Auseinandersetzungen Turridus mit Santuzza eindringlich zum Vorschein, wobei das rein kammermusikalisch agierende Orchester nicht Schritt halten kann. Fehlende Wucht und dramatisches Feuer kompensiert jedoch der wieder einmal von Manuel Pujol ganz hervorragend gestaltete Staatsopernchor Stuttgart, der bei „Cavalleria rusticana“ von der Empore aus agiert. Der Aufbau des Chorsatzes aus dem Quint-Intervall des Glockengeläuts wirkt immer wieder imponierend. Aber das Glockenmotiv in den Bässen wird hier eher angedeutet. Die wiegende Weise des Frauenchors und die Marsch-Rhythmen des Männerchors gelingen dabei ausgezeichnet. Dame Rosalind Plowright gestaltet eine durchaus bewegende Lucia, die ihren Sohn nicht zurückhalten kann. Dimitris Tiliakos als eifersüchtiger Alfio und Ida Ränzlöv als seine Santuzzas Eifersucht nicht gewachsene Gattin Lola komplettieren in imponierender Weise das insgesamt famose Sängerensemble.

Cornelius Meister beweist trotz der klanglichen Einschränkungen mit dem voller Leidenschaft musizierenden Staatsorchester Stuttgart seinen besonderen Sinn für die ungewöhnlichen Farbwirkungen dieser Musik, die sich auch in sprunghaften Gefühlsmomenten äussern. Und hier agieren die Sänger sehr verlässlich. Vibrierende Streicher konzentrieren sich auch auf die chromatischen Abschnitte, die sich bei Mascagni immer weiter auffächern. Die Leidenschaft heissblütiger Eifersucht sticht bei einzelnen Motiven hervor. Auch die unruhigen Achtel bis hin zu den wilden Aufschreien der Tremolo-Sextakkorde bei Santuzzas Eifersuchtsszenen arbeitet Meister zusammen mit Eva-Maria Westbroek in berührender Weise heraus. Das in fis-Moll jäh ertönende Motiv der tragischen Schuld gipfelt in der heftig brodelnden Szene zwischen Santuzza und Lucia. Auch Alfios Lied mit Chor verfehlt seine tragische Wirkung nicht. Die Verdichtung aus Vierteln über Achtel, Triolen, Sechzehntel zu Sextolen tritt bei der furiosen Auseinandersetzung von Turridu mit Santuzza in den Vordergrund. Cornelius Meister achtet dabei konsequent auf die harmonische Struktur der Komposition. Zuletzt tritt unisono durch fünf Oktaven bei Turridus Tod nochmals das Motiv der tragischen Schuld hervor. Auch die wuchtigen Basstriolen charakterisieren den leichtfertigen Turridu gegenüber dem finsteren Alfio. Und die berührenden Orgelklänge des „Regina coeli“ beim berühmten Intermezzo sinfonico prägen sich dabei ebenfalls stark ein.


Rachael Wilson, Christian Miedl. Foto: Matthias Baus

Salvatore Sciarrino setzt 100 Jahre später bei seiner Oper „Luci mie traditrici“ („Meine trügerischen Augen“) ganz auf harmonische Reduktion. Prägnante Stille beherrscht dabei Sciarrinos komplexe Partitur vom Drama der Ungewissheit der Gefühle. Diese 1998 in Schwetzingen uraufgeführte Kammeroper erklingt in der Staatsoper Stuttgart in der Originalfassung für 21 Musiker. Rachael Wilson als Gräfin Malaspina, Christian Miedl als Graf Malaspina sowie Ida Ränzlöv als Gast und Stimme hinter dem Vorhang und Elmar Gilbertsson als Diener reagieren auf diese minuziös-fragilen Klänge mit äusserster Sensibilität und großem rhythmischem Einfühlungsvermögen. Auch die geradezu elektrisierenden Intervallspannungen und das virtuose Spiel mit Obertönen und unterschiedlichen Farbwerten erhöhen bei dieser Aufführung die Spannungsmomente der Musik, die zu Pietro Mascagnis Werk einen großen Gegensatz bildet. Das Bühnenbild bleibt erhalten, aber die große Aufgangstreppe hat sich in ein schräges Bauwerk mit Gartenanlage verwandelt. Manches erinnert an eine Ruine. Das Kammerspiel zwischen den einzelnen Figuren ist allerdings bis zum Zerbersten gespannt, jeden Augenblick erwartet man eine gewaltige Explosion, die jedoch nicht stattfindet. In den oberen Etagen des Bühnenbildes sind einige Musiker platziert, das kontrapunktische Gerüst scheint so in endlose Dimensionen erweitert zu werden. Es ist ein ausserordentlich differenziertes Frage- und Antwortspiel, das sich hier mit ungeheurer klangtechnischer Präsenz offenbart. Der alte Madrigalstil und die reduzierten Gesangslinien ergänzen sich hier fragil. Statt eines Vibratos wird ein Flüsterton verwendet. Und die Instrumentalbegleitung verblüfft mit Flageoletts und Schabegeräuschen der Streicher und Luftgeräuschen der Bläser. Dies alles führt Cornelius Meister als Dirigent souverän zu einem Klangkosmos zusammen, der nicht nur von Dur- und Mollgeräuschen beherrscht wird. Der einem Schauspiel von 1664 entnommene Text ist übrigens stark komprimiert. Starker Schlussapplaus, viele „Bravo“-Rufe.

Alexander Walther

 

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