Staatsoper Stuttgart: „CASANOVA“ 3.01.2025 (Premiere 22.12.24) – unterhaltsame Vorführung eines Mythos
Vorzügliches Comedian Harmonists-Ensemble: Kai Kluge, Elmar Gilbertsson, Moritz Kallenberg, Johannes Kammler und Florian Hartmann (v.l.). Copyright: Matthias Baus
Im begonnenen Johann Strauß-Jahr, dessen Geburtstag sich zum 200.Male jährt, ist es angebracht, auch seinen weniger bekannten Werken ein Podium zu geben. Wobei es sich bei dieser Revue Operette, die den als vielseitig tätigen und als Inbegriff der Verführung in die Geschichte eingegangenen Venezianer in den Mittelpunkt diverser Liebesentwürfe stellt, um keine eigens so von Strauß Sohn entworfene Komposition handelt. Vielmehr hat der als Bearbeiter bekannte und durch sein Weißes Rössl“ international berühmt gewordene Ralph Benatzky für das in den 1920er Jahren in Berlin aufgekommene Genre der Revuen Musik aus unbekannten Bühnenstücken wie „Indigo und die 40 Räuber“ oder „Prinz Methusalem“ so farbenreich arrangiert, wie die Musik den Wandel der Zeiten vom Wien der 1870er Jahre bis ins New York der Roaring Twenties in verschiedenen Rhythmen durchlaufen hat.1928 erfolgte die Premiere im damaligen Großen Schauspielhaus unter der Führung von Erik Charell. Die Dialoge der dürftigen Handlung rund um den Titelhelden haben sich für das heutige Verständnis als wenig verständlich und sinnvoll erwiesen, weshalb Judith Schalansky neue Sprechtexte entworfen hat, die in moderierend erklärender Form Barberina, des weiblichen Gegenentwurfs zu Casanova, überantwortet sind. U.a. zitiert sie Splitter der nur rudimentär überlieferten Lyrik der ebenfalls mit einem rätselhaften Mythos gegensätzlicher Erscheinungen behafteten antiken Dichterin Sappho, wodurch ein Gegengewicht weiblicher Lust und Verführung geschaffen ist, der Casanova auch mal alt aussehen lässt und in die zweite Reihe verweist.
Das Klischee des lustvollen Verführers ist vielfältig, jeder projiziert in ihn etwas anderes hinein, weshalb er auch keine eindeutige Gestalt hat. Doch am durch ihn verkörperten Prinzip des Begehrens, ob eher sittsam korrekt oder sexuell betont, arbeiten sich hier drei verschiedenartige Paare ab, die letztlich feststellen müssen, dass sie keines Casanovas bedürfen: Laura und Hohenfels romantisch verklärt, Trude und Costa hemmungslos körperlich sowie Helene und Waldstein aus Verklemmung aneinander vorbei liebend. Definiert sind sie wie alle Beteiligten durch ein Lapidarium teils schräger Kostüme, die in ihren Formen und Farben keiner Epoche zuzuordnen sind. Yassu Yobara hat da sehr viel Phantasie walten lassen und trägt mit dem den idealen Rahmen einer Show bietenden, drehbaren Brückenpodium mit drei in unterschiedliche Richtungen führenden Treppen mit verschnörkelten Geländern sowie einer zentralen, sich öffnenden Venusmuschel den optischen Voraussetzungen einer Revue Rechnung (Bühnenraum: Demian Wohler). Zahlreiche Beleuchtungseffekte sowie ein die Vorderbühne abtrennender golden glitzernder Schnürlvorhang sind die weiteren Zutaten für einen unterhaltsamen Abend, dessen kompositorische Fülle und Qualität über die letztlich etwas blutleere und eher wenig Begehren und Verlockung bietende Verkörperung Casanovas hinweg rettet. Jedenfalls ist die Hand des Regisseurs Marco Storman gerade bei ihm am wenigsten spürbar. Weil er aus sich selbst heraus wirken sollte? Oder weil die Reaktionen der erwähnten Paar-Beispiele viel interessanter sind und mehr spielerische Interpretationsfläche bieten? Deren Profil ist jedenfalls stärker als das des Protagonisten. Ein großer Teil der Bewegungsabläufe sind indes auch Teil der den Chor genauso miteinbeziehenden Choreographie von Cassie Augusta Jorgensen, die zudem Barberina als Prinzip der Vielgeschlechtlichkeit beigesellt ist. Als diese nimmt Maria Theresa Ullrich mit ihrer sanften, gefühlsbetonten und auf andere Art Begehrlichkeit weckenden Einfühlsamkeit, unterstützt von einem in allen Lagen gut ansprechenden und sitzenden Mezzosopran mehr für sich ein, als der wohl Präsenz bietende, in Gestalt von Botticellis Venus oder einem Stiermenschen mit Fellhose keine so überzeugende Gestalt bietende Michael Mayes. Das gilt auch für seinen vokalen Einsatz, der wohl opernerprobtes wohllautendes Bariton-Volumen bietet, sich mit der notwendigen Lockerheit des Vortrags und einer flexiblen Bedienung der Mittellage immer wieder schwer tut.
Michael Mayes . ein begrenzt überzeugender Casanova. Copyright: Matthias Baus
Dieses Problem trifft indes auf die meisten der Solisten zu, die bei ihrer Stippvisite im Land der leichten Muse hörbar machen, warum gerade diese so besonders schwer zu erfüllen ist. Ausnahmen sind neben der bereits erwähnten Interpretin der Barberina Moritz Kallenberg als Hohenstein und Kai Kluge in der eher klein bemessenen Rolle des Menuzzi. Beider auch in der Höhe ungetrübt durchsetzungsfähige Tenöre verfügen über den notwendigen Biss und Kern in der für die textliche Verständlichkeit so wichtigen Mittellage. In drei nur von einem Klavier auf der Bühne begleiteten Intermezzi vereinigen sie sich mit dem etwas schmaler bemessenen, apart timbrierten Tenor Elmar Gilbertsson als Costa, dem fast etwas zu schweren, aber füllig tragenden Bariton Johannes Kammler als Waldstein und dem charaktertenoralen Florian Hartmann als Dohna in typischer und sehr gut getroffener a cappella Manier zu in den 1920er Jahren aufgekommenen Comedian Harmonists.
Von den drei Paar-Damen kommt neben darstellerischer Individualität eher durchschnittliche vokale Kost im Sopran- bzw. Mezzofach. Weder Esther Dierkes (Laura) noch Stine Marie Fischer (Trude) als auch Mara Guseynova (Helene) bieten die erforderliche, in allen Lagen hörbar sein sollende Geschliffenheit der Artikulation. Diesbezüglich erweist sich der Staatsopernchor – diesmal von Bernhard Moncado vorbereitet – wieder als in allen Belangen zuverlässige Stütze des Hauses. Sein Vortrag ist von jener Leichtigkeit und Transparenz incl. choreographisch erweiterter Bewegungs-Lockerheit, die den zuvor erwähnten Solisten abgeht.
GMD Cornelius Meister hat mit dem Staatsorchester Stuttgart das spezielle moussierende Element der Musik, ihre rhythmische Wandlung und melodische Süffigkeit bis ins Detail erarbeitet. Auch an diesem Abend unter Leitung seines Assistenten Luka Hauser, der sich u.a. bereits mit einem hoch achtbaren „Falstaff“-Dirigat hervor getan hat, wird die Qualität der Musik in vielen Nuancen hörbar und nachvollziehbar, warum er sich zu diesem Projekt entschlossen hat. Die wie einzelne herausgehobene Nummern wirkenden Soli, Duette und Ensembles gewähren jedenfalls beste Unterhaltung, auch wenn die Revue als Ganzes in ihrer Struktur als auch ihrer inhaltlichen Bühnenwirksamkeit entbehrlich ist.
Das Publikumsecho war dankbar, aber nicht wirklich begeistert.
Udo Klebes