Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Staatsoper: CASANOVA – Revue-Opeette von Johann Strauss/Ralph Benatzky. Der Frauenheld als mythische Gestalt

23.12.2024 | Operette/Musical

Premiere der Revue-Operette „Casanova“ von Johann Strauss/Ralph Benatzky am 22.12.2024 in der Staatsoper/STUTTGART 

Der Frauenheld als mythische Gestalt

casa2
Michael Mayes (Casanova). Foto: Matthias Baus

Barberina steht als schöne Frau hier im Mittelpunkt des Geschehens. Das Männlichkeitspathos wird in Marco Stormans Inszenierung auf die Spitze getrieben. Natürlich erscheint der Schwerenöter Casanova auch als Sexualhampelmann, der von der Frau mit seinem Riesenpenis dressiert wird. Als feuriger Hengst darf er sich hier trotzdem gebärden. Storman will sich dem Casanova-Prinzip nähern. Der Komponist  Ralph Benatzky hat dabei unterschiedliches Material zu etwas Neuem zusammengebracht. Für „Casanova“ studierte Benatzky wenig bekannte Johann-Strauss-Operetten wie „Indigo und die 40 Räuber“ oder „Prinz Methusalem“. Man nannte ihn deswegen auch „Benutzky“. Aus der Böhmischen Polka wird so kurzerhand ein Jigg-Walk.

Die Bühne von Demian Wohler wirkt zuweilen stark erotisch, zumal Casanova vor glitzerndem Gold-Outfit in einer großen Muschel erscheint. Die Mandoline entführt das Publikum hier nach Italien, und das Vibraphon erscheint als Jazz-Instrument des frühen 20. Jahrhunderts. Die „Auferstehung der Operette“ gelingt dabei szenisch allerdings nicht immer, doch es gibt viele hübsche Augenblicke voller Hintersinn: „Echte Männer sind rechts!“ Sogar Michelle Hunziker und Thomas Gottschalk werden erwähnt. Die „Geschichten aus dem Wienerwald“ sind dabei stets präsent, denn die Melodien des Wiener Walzerkönigs blühen leidenschaftlich auf. Wenn Casanova in der venezianischen Gondel hereinfährt, denkt man an die Operette „Eine Nacht in Venedig“. Dies liegt auch am Dirigat von Cornelius Meister, der dem Staatsorchester Stuttgart immer wieder betörende Zwischentöne entlockt. Deutlich wird bei der eigentlich zusammenhanglosen Handlung, dass sich Casanova in seinen Memoiren vor allem an sich selbst und seine zahlreichen Amouren erinnert. Er verstand sich wohl als Amors Star, was in der Inszenierung auch in satirischer Weise erwähnt wird. So findet das Buch „Liebesmittel. Eine Darstellung der geschlechtlichen Reizmittel“ von Magnus Hirschfeld und Richard Linsert aus dem Jahre 1930 Erwähnung.

Es geht um „eine vollkommene Egalisierung der sexuellen Potenz des Mannes und des Weibes“. Vor allem bei der schillernden Figur Barberina dominiert das Begehren um Sinnlichkeit und Liebe. Das junge Paar Laura und Hohenfels steht im Mittelpunkt.  Außerdem präsentiert die gewiefte Barberina Casanova. Aber Casanovas altes Lied findet bei Barberina kein Gehör. Doch Hohenfels rettet ihn aus einer schwierigen Situation. Unterschiedliche Paare betreten die Szene. Bei Trude und Costa spielen Hemmungen keine Rolle. Da verliebt sich die Dame eben in einen männlichen Hund, den sie am Halsband ziehen kann. Anders verhält es sich bei Helene und Waldstein, die es gerne anders machen würden, wenn sie nur könnten.  Hohenfels will Laura sogar heiraten. Doch da tritt der Lustmolch Casanova dazwischen – und Laura flieht. Das alles inszeniert Marco Storman als atemloses Tohuwabohu, wobei sich die extravaganten Kostüme von Yassu Yabara dem verrückten Geschehen anpassen. Barberina spaltet sich zudem in eine gesangliche und eine tänzerische Rolle auf, die die ausgezeichnete Sopranistin Maria Theresa Ullrich und Cassie Augusta Jorgensen als versierte Tänzerin überzeugend verkörpern. Schließlich zündet Casanovas Nummer nicht mehr und er wird von den Protagonisten auch nicht mehr gebraucht. Deswegen verschwindet er kurzerhand in der Muschel. Man vernimmt zudem auch noch Sapphos Liebeslieder: „Mit bebenden Erschütterungen zerreißt du mich sinnlos…“ Und Casanova singt: “ Im Rausch der Genüsse vergaß ich kein Glück, die Glut aller Küsse behielt ich zurück…“ Laura und Hohenfels erscheinen als romantisch-verkitschtes Paar, während Trude und Costa eine unkonventionelle Liaison demonstrieren. Helene und Waldstein dagegen verkörpern eine gelöschte Beziehung, das Paar lebt aneinander vorbei.

casa
Esther Dierkes, Stine Marie Fischer. Foto: Matthias Baus

Auch der Casanova von Michael Mayes besticht mit famosem Bariton. In weiteren Rollen fesseln die hervorragende Esther Dierkes als leidenschaftliche Laura, der markante Moritz Kallenberg als Hohenfels, die wandlungsfähige Trude von Stine Marie Fischer und die voluminöse Helene von Mara Guseynova. In weiteren Rollen überzeugen ferner Johannes Kammler als Waldstein, Elmar Gilbertsson als Costa, Kai Kluge als Menuzzi und Florian Hartmann als Dohna.

Neben dem imponierenden Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Bernhard Moncado) gefallen vor allem die immer wieder facettenreich in Erscheinung tretenden Comedian Harmonists (erfrischend: Kai Kluge, Elmar Gilbertsson, Moritz Kallenberg, Johannes Kammler, Florian Hartmann, Esther Dierkes, Stine Marie Fischer und Mara Guseynova). Sie werden am Klavier einfühlsam von Michael Pandya begleitet. Neben diesen Harmonists-Einlagen verstärken die Moderationen von Barberina die Show-Elemente dieser insgesamt rasanten Inszenierung. Auch an TV-Shows der 70er und 80er Jahre wird in suggestiver Weise erinnert. Die Bühne funktioniert hier allerdings anders wie in der Show des „Revuekönigs“ Erik Charell im Berlin der legendären 1920er Jahre, in der mit großem Pomp verschiedene Welten erzählt wurden. Manchmal steht alles auf dem Kopf, denn Casanova erscheint sogar mit Vulva als Sexualpathologe. Ein Sexualwissenschaftler belehrt ihn hier recht schulmeisterlich. Die Handlung ufert aus.

Das Publikum quittierte die Inszenierung deswegen teilweise mit „Buh“-Rufen. „Bravo“-Rufe gab es dagegen für den Dirigenten, die Sänger, den Chor und das Orchester.

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken