Franz Schuberts „Winterreise“ mit Johannes Kammler (Bariton) und Cornelius Meister (Klavier) am 28. 2. 2023 in der Staatsgalerie – 3. Liedkonzert der Staatsoper in Zusammenarbeit mit der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie /STUTTGART
Unendlichkeit der Klangwelt
Johannes Kammler. Foto: Matthias Baus
Johannes Kammler (Bariton) und Cornelius Meister (Klavier) gestalteten die „Winterreise“ von Franz Schubert mit großer künstlerischer Reife, sensiblem Farbsinn und Einfühlungsvermögen. Die Medianten und Parallelen gewannen gleich bei den ersten Liedern „Gute Nacht“, „Die Wetterfahne“, „Gefrorne Tränen“ und „Erstarrung“ eine erhebliche Bedeutung. Überall herrschte hier etwas Schwebendes und Schweifendes und der Klang erhielt auch eine ruhige, fast meditative Komponente, die sich in bemerkenswerter Weise auf den Gesang Johannes Kammlers übertrug. Insbesondere „Der Lindenbaum“ faszinierte mit feinen Klangabstufungen und einer präzisen Artikulation, die sich bei den weiteren Nummern „Wasserflut“, „Auf dem Flusse“ und „Rückblick“ konsequent fortsetzte. Der Musik wurde hier eine neue Welt erschlossen – und beiden Interpreten gelang dabei eine beglückende harmonische Symbiose, die die weiteren Lieder „Irrlicht“, „Rast“ und „Frühlingstraum“ voll beherrschten. „Mir gefallen diese Lieder mehr als alle, und euch werden sie auch noch gefallen“, sagte Schubert selbst über diese Komposition. Die emotionale Ebene hinsichtlich der Verarbeitung von Liebeskummer erfuhr bei dieser bewegenden und ausgefeilten Interpretation eine besondere Hingabe und klangliche Intensität, was sich insbesondere auch bei den weiteren Liedern „Einsamkeit“, „Die Post“, „Der greise Kopf“, „Die Krähe“ und „Letzte Hoffnung“ zeigte. Aber auch die politische und gesellschaftliche Aktualität des Werkes trat hier stark in den Mittelpunkt: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh‘ ich wieder aus.“ Rassismus und Diskriminierung stehen dabei ebenfalls im Vordergrund. Auch Schubert war ein Gegner der Restauration, die vom Fürsten von Metternich ausging. Musikalisch ist die „Winterrreise“ von Franz Schubert ein großartiges Puzzle, das Johannes Kammler und Cornelius Meister im Vortragssaal der Staatsgalerie in souveräner Weise zusammenfügten. Die unerwarteten Modulationen und harmonischen Wendungen traten beim „Wegweiser“ grell hervor. Der „verrückte“ Charakter wurde von den Interpreten aber nicht überrtrieben. Das Abtauchen in eine geheimnisvolle und düstere Welt macht den Reiz von Schuberts „Winterreise“ aus – und gerade dies verdeutlichten Johannes Kammler und Cornelius Meister ausgezeichnet. Die letzten drei Lieder „Mut!“, „Die Nebensonnen“ und „Der Leiermann“ strahlten etwas Unheimlich-Entrücktes aus – und die melodische Eingebungskraft erreichte dabei eine enorme Intensität. „Bravo“-Rufe, Ovationen.
Alexander Walther