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STUTTGART/Staaatsoper: „ELEKTRA“ – mit zwei weiteren potentiellen Titelrollen-Interpretinnen. Wiederaufnahme

13.04.2024 | Oper international

Staatsoper Stuttgart: „ELEKTRA“ 11.4. 2024 (WA 27.3.) – mit zwei weiteren potentiellen Titelrollen-Interpretinnen

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Simone Schneider (Chrysothemis). Foto: Martin Sigmund

Die Neueinstudierung des expressiven Einakters von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal durch den GMD Cornelius Meister war bereits für das Frühjahr 2020 geplant gewesen und wurde dann wie so manches andere Projekt Opfer des Corona Lockdowns. So kam es jetzt nach der ebenfalls nachgeholten Neuinszenierung der „Frau ohne Schatten“ im vergangenen Herbst zu einem weiteren Kraftakt aus der Feder des berühmten Autoren-Gespanns.

Um gleich beim Dirigenten und dem Staatsorchester Stuttgart zu bleiben: zum alles überstrahlenden „Star“ des Werkes wie jüngst bei den Baden Badener Osterfestspielen die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko wurden die Musiker und ihr Maestro hier nicht. Dennoch stellten sie sich der komplexen Partitur mit ihren raffinierten Kolorierungen und Schichtungen sowie ihrer außergewöhnlich fordernden dynamischen Bandbreite mit einer weitgehend klaren Strukturierung und einer immer wieder aufhorchen lassenden Klangkultur in den einzelnen Instrumentengruppen. An manchen Schlüsselstellen, die den Sog einer Wiedergabe wesentlich beeinflussen, hätte im Sinne einer die spätromantischen Grenzen bis zum Anschlag überdehnenden Ausreizung eine noch etwas mehr zupackende Hand gut getan

Pluspunkte bildeten die überwiegend gewahrte Durchhörbarkeit und die ohne Nachlass aufrecht erhaltene Spannung über die gesamten 100 Minuten. Nebensächlichkeiten gab es in dieser Interpretation jedenfalls nicht.

Das Kuriose der Besetzung der drei weiblichen Hauptrollen: es entsteht immer wieder der Eindruck, dass alle drei Stimmen über Voraussetzungen für die Titelrolle verfügen. Dass Iréne Theorins mit phasenweisem Vibrato und einigen Schärfen behafteter Sopran sowie mit etwas unsteter vokaler Präsenz und Tonqualität den Anforderungen an eine Elektra nicht durchgängig genügte, fällt in diesem Zusammenhang genauso auf. Ihre sehr lobenswerte Bemühung um differenzierte Textbehandlung wurde in leiseren Momenten leider durch wenig Tragkraft in Tiefe und Mittellage eingeschränkt. Positiv zu werten ist ihr nicht vordergründig eingesetzter dramatischer Affekt, mit dem sie Mitgefühl für die von Rache besessene Frau erweckt.

Simone Schneider setzt ihre hier keineswegs zur Unterlegenheit verurteilte, sondern auch charakterstarke Schwester Chrysothemis  mit jener klaren Tongebung und einer das volle Orchester überstrahlenden (Höhen-)Emphase um, die sie für die Titelrolle gut eignen würde, zumal auch die tieferen Lagen gleichmäßig ausgeprägt sind.

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Violeta Urmana (Klytämnestra), Irene Theorin (Elektra). Foto: Martin Sigmund

Violeta Urmana ist mit ihrem  noch ganz intakten raumgreifenden tiefen Sopran oder hohen Mezzosopran (je nachdem wie die Stimme treffender zu bezeichnen ist) für die Charakterpartie der Klytämnestra im Prinzip überqualifiziert, gewinnt ihr aber dadurch andererseits  eine zusätzlich zu ihrer familiären Macht signalisierenden Gestaltung eine vokale Präsenz mit deutlichem Artikulations-Profil ab, die die von Alpträumen gezeichnete Frau noch nicht zu einem sonst gern interpretierten alten Wrack stempelt.

Pawel Konik gibt Orest mit etwas stoischem Charisma und solide gefüttertem hellem Baß-Bariton durchaus passendes Rollengewicht, auch wenn er hier in seiner Mission ganz unter dem Einfluss seines aufständischen Pflegers steht. Torsten Hofmann (statt Matthias Klink) ist ein Aegisth mit einiger charaktertenoraler Schärfe, die fünf Mägde sind mit überwiegend voll präsenten und auf textliche Optimierung setzenden Stimmen überaus individuell besetzt. Neben Stine Marie Fischer, Ida Ränzlöv, Alexandra Ionis (mit prächtig orgelnder Tiefe) und Esther Dierkes fällt nur Clare Tunney mit wenig transparentem, rauhem Sopran ab. Catriona Smith (Aufseherin) sowie die vier aus dem Chor besetzten Kleinstrollen Alexander Efanov (Junger Diener), Daniel Kaleta (Alter Diener), Anna Matyuschenko (Vertraute) und Lena Spohn (Schleppträgerin) erfüllen ihre kurzen Einwürfe ohne Tadel.

Der laut Partitur als Stimmen aus dem Off eingesetzte Staatsopern-(Chor) darf sich hier ergänzt von Statisten im Zuge der mörderischen Rache für Agamemnons Tod in der Finalszene als Volk nacheinander von die Musik überlagernden verstärkten Gewehrsalven über die Bühne verfolgen und niedermetzeln lassen. Dass er dafür den ersten Solo-Vorhang bekommt, ist ein grober Fehler der Applaus-Ordnung. Der dominanten und den ganzen Abend mit ihrem Hochleistungseinsatz im Mittelpunkt stehenden Elektra gebührt hier ohne Wenn und Aber der Vorrang! Diese auch mit einem Feuerwerk unnötig überlagerte Schluss-Szene bleibt das Manko der 2005 entstandenen Inszenierung von Peter Konwitschny, die angefangen mit der voran gestellten Ermordung Agamemnons in Anwesenheit der Kinder im Bad, in Bühnenbild und Kostümen (Hans Joachim Schlieker) transferiert in die 1970er Jahre, mit sich immer wieder verwandelndem Hintergrund-Video eines wolkenverhangenen Himmels und bis zum Muttermord rückwärts laufender Digital-Uhr mit erkennbar gutem Regie-Handwerk einen durchaus brauchbaren Rahmen bildet. Dass die Spirale der Gewalt weitergeht und auch ein Umsturz des Regimes für einen möglichen Neuanfang nur mit Gewalt vonstatten geht, hätte dem so starken und für sich sprechenden Werk nicht als optische Draufgabe aufgepfropft, sondern besser dem Publikum zum eigenständigen Denken überlassen werden sollen.

So herrscht hier erst mal eine Stille der Erschlagenheit anstatt eines oft gleich nach dem letzten Orchesterschlag einsetzenden Jubels.

Udo Klebes

 

 

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