Ami Morita und Alexander Mc Gowan – die weiße Variante. Copyright: Stuttgarter Ballett
Ein ähnliches Bild wie bei der Wiederaufnahme-Premiere neun Tage zuvor: das Corps de ballet in einer Ensemble-Eintracht wie schon lange nicht mehr, so dass die Schwanenreigen abermals zu einem Stimmungsbild von magischem romantischem Flair gerieten. Diesmal auch von zwei in ihren Körpermaßen würdigen Großen Schwänen angeführt: Miriam Kacerova, die nach ihrer Babypause nun fraulich gereift und mit unverändert souveräner Balance auf die Bühne zurück gekehrt ist und zudem als Erste Bürgerin im Divertissement des 1. Aktes Liebreiz mit aparter Spitzentechnik kombiniert, und Rocio Aleman, die gleichfalls Wandlungsfähigkeit von Menschen- in Schwanengestalt zeigt. Das gilt auch für Katarzyna Kozielska, die mit ihrer Leichtfüßigkeit sowohl ihrer bürgerlichen wie tierischen Funktion in der Gruppe der kleinen Schwäne auffällt. Etwas geruhsamer, aber delikater als die Premieren-Kollegin absolviert Agnes Su ihr Bürgerinnen-Solo mit der finalen Presto-Steigerung. Gleich dreifach versiert und mit entsprechend häufigem Kostümwechsel verbunden gibt Fernanda De Souza Lopes als Bürgerin, Kleiner Schwan und grazile Prinzessin von Russland ihre Visitenkarte ab.
Und damit sind wir wieder bei den Nationaltänzen des 3. Aktes. Sinéad Brodd steuert Temperament als Prinzessin von Ungarn bei, Daiana Ruiz ausgelassene Präzision als Prinzessin von Spanien. Für helles Entzücken sorgt wie in allen ihren bisherigen Rollen Jessica Fyfe als quicke und mit flinker Beinarbeit bezirzende Prinzessin von Neapel, nebst ihrem sprungstarken Begleiter mit Latino-Charme Moacir de Oliveira.
Des Prinzen Freunde werden vom Ersten Solisten Adhonay Soares Da Silva mit schnellen und dynamisch federnden Drehungen perfekt angeführt, so dass sich die Frage stellt, warum nicht er als Siegfried selbst ins kalte Wasser geworfen wurde und die Rolle in wenigen Stunden vor der Generalprobe vom ursprünglich vorgesehenen und dann kurzfristig ausgefallenen Kollegen übernehmen durfte. Gewiss hätte der 20jährige genauso darstellerische Defizite aufgewiesen wie Alexander Mc Gowan, der überraschenderweise mit dieser zweifellos schwierigen Situation konfrontiert war. Doch der Amerikaner zeigte in seiner nunmehr zweiten offiziellen Vorstellung seit der Generalprobe neben einer sehr an der Oberfläche bleibenden Gestaltung auch nicht mehr als brave klassische Tanzkunst. In den flinken Drehmomenten seiner Soli, vor allem innerhalb des Schwarzen Schwan-Pas de deuxs schwang er sich für kurze Momente zu einer würdigen Leistung auf, alles andere kam mit manchmal abgehackter Linie und unausgeglichenem Aufbau nicht über das Niveau eines ordentlichen Schulabschlusses hinaus. Mit seinen ellenlangen Beinen, die bei klassischen Figuren durchaus förderlich für das Gesamtbild der Bewegungen sein können, stand er sich eher selbst im Weg. Und wenn er sich als bislang bewiesener humorvoller Charakter-Tänzer (davon profitierte immerhin sein Basilio in „Don Quijote“) schwer tut, Kummer, romantische Sehnsucht und das Drama des Treueverrats glaubhaft zu verinnerlichen, so ist ihm die Rolle vor allem auch in technischer Hinsicht noch eine Schuhnummer zu anspruchsvoll. Wo das Stuttgarter Ballett noch vor wenigen Jahren nicht nur diese Hauptpartie mehrfach gleichwertig aus dem Stand heraus besetzen konnte, werden jetzt die Nöte des empfindlich geschrumpften Solisten-Potenzials offenbar.
Ami Morita und Alexander Mc Gowan – die schwarze Variante. Copyright: Stuttgarter Ballett
Der neue Zauberer Rotbart Matteo Crockard-Villa steigerte sich im 3. und 4. Akt zu Bühnen beherrschend unheimlicher Präsenz.
Kevin Rhodes leitete wieder das Staatsorchester Stuttgart, diesmal in verbesserter klanglicher Austarierung, aber mit einigen Unstimmigkeiten zur Bühne.
Udo Klebes