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STUTTGART/ Schauspielhaus: „WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?“ . Premiere. Merkwürdige Gesellschaftsspiele

26.10.2025 | Theater

Premiere „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ am 25. Oktober 2025 im Schauspielhaus/STUTTGART

Merkwürdige Gesellschaftsspiele

Natürlich denkt man auch bei der Inszenierung von Tina Lanik an den berühmten Film mit Elizabeth Taylor und Richard Burton. Und die Bühne von Stefan Hageneier verkleinert und vergrößert sich, spiegelt die seelischen Stimmungen der beiden Ehepaare minuziös wider. Auch die Kostüme von Heidi Hackl passen sich den Gegebenheiten an.

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Sylvana Krappatsch, Matthias Leja. Foto: Arno Declair

Das Akademikerehepaar George und Martha spielt sein merkwürdiges Gesellschaftsspiel immer wieder. Der junge Biologieprofessor Nick und seine Frau Honey werden eines Nachts gnadenlos hineingezogen. Das gelingt bei der subtilen Inszenierung szenisch sehr überzeugend. Beleidigung und Blamage folgen einander in atemloser Geschwindigkeit, die Protagonisten haben keine Chance: „Machen Sie sich auf was gefasst, Herr Professor!“ Der aber entwickelt einen regelrechten „Schlachtplan“. Der junge Nick sieht den älteren Mann als Konkurrenten und umgekehrt. Ein Ehegefecht artet dann plötzlich zum Krieg aus. George und Martha kommen von einer Universitätsfeier in ihre Wohung – als George seiner Frau plötzlich eröffnet, dass sie noch Gäste erwarten. Dann steigert sich die dramaturgische Spannung bei der Aufführung ganz erheblich. Den gemeinsamen Sohn (der bei dem unfruchtbaren Paar eigentlich gar nicht existiert) soll man nicht erwähnen, gibt George seiner Frau als Warnung mit auf den Weg. Üble Anekdoten und Anschuldigungen lassen das seltsame Treffen in der Nacht dann zu einer wahren Psychohölle werden, die Erniedrigung des Gegenübers wird genüsslich zur Schau getragen. Und doch gibt es auch ernsthafte und vernünftige Überlegungen. So bemerkt Martha über ihren Mann: „Ich bin wirklich und wahrhaftig auf ihn geflogen. Und die Verbindung schien mir auch so vernünftig, so praktisch.Sylvana Krappatsch als Martha und Matthias Leja als George gelingt es vortrefflich, die verzweifelten Annäherungsversuche des zerstrittenen Paares herauszuarbeiten. Und Teresa Annina Korfmacher als Honey und Peer Oscar Musinowski als Nick bieten hier ein glaubwürdiges Gegengewicht. Rasch werden Nick und Honey von Zaungästen zu unfreiwilligen Mitspielern, die sich aus diesem gefährlichen Spinnennetz nicht befreien können. Nachdem alle Illusionen in Trümmern liegen, stellt George zerknirscht fest: „Ich hab’s doch nur dir zuliebe getan, mein Engel. Ich hab‘ gedacht, es macht dir Spaß. Es war doch eigentlich ganz nach deinem Geschmack…So ein richtiges Gemetzel.“ Martha erscheint sogar pompös als „PromQueen“ – und der ausgeflippte George stellt sich dem aufgebrachten jungen Paar am Ende in Frauenkleidern vor. Nick, der zuvor mit seiner Frau Martha geschlafen hat, wendet sich nur noch angewidert von ihm ab: „Bleiben Sie mir vom Leib!“ Seine unglückliche Frau Honey übergibt sich ständig in der Toilette. George macht seiner Frau immer wieder heftige Vorwürfe: „Du bist ein Ungeheuer!

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Teresa Annina Korfmacher, Peer Oscar Musinowski. Foto: Arno Declair

Deutlich wird bei der Inszenierung zudem, dass Georges und Marthas Unfruchtbarkeit ein Schlag gegen ihr starres Rollenverhalten ist. Der vermeintliche Sohn wird von George zuletzt für tot erklärt, was seine Frau Martha in ungeheure Rage versetzt. Sylvana Krappatsch geht dabei ganz in ihrer Rolle auf. George und Martha haben im Laufe ihrer Ehe gemeinsame Spiele eingeübt. Private und ritualisierte Regeln erlauben es ihnen, Probleme entweder anzusprechen oder sich ihnen zu entziehen. Manchmal läuft alles auch ganz aus dem Ruder, dann herrscht auf der Bühne ein glaubwürdiges Chaos. Die Ehepaare sind diesen seelischen Stürmen völlig hilflos ausgeliefert! Die Komposition von Jörg Gollasch unterstreicht die psychischen Nöte passend (Gesang Einspieler: Bruno Martini). Die Choreografie von Kathrin Evelyn Merk kommt vor allem den stimmungsvollen Tanzszenen zugute. Da merkt man, mit welcher Verzweiflung die beiden Ehepaare aus ihrer jeweiligen Situation ausbrechen wollen. Der „American Dream“ und „American Way of Life“ wird hier ad absurdum geführt, der familiäre Konflikt in sarkastischer Weise überzeichnet. Die Personen haben keine Chance, diesen Szenen zu entfliehen. Erfolg und erforderliche Anpassung erhöhen den Druck auf die Protagonisten noch mehr, die irgendwann total erschöpft zu Boden fallen und sich nicht mehr helfen können. Martha leidet außerdem darunter, dass sie keinen eigenen Beruf ausübt und von ihrem Mann deswegen völlig abhängig ist. Gleich nach dem College hat sie die Rolle der sorgenden Tochter gespielt, die sich um den verwitweten Vater kümmert. Eine Tatsache, die sich irgendwie auch auf ihren Ehemann überträgt. Sie kann ihrer Frauenrolle nicht gerecht werden und ist darüber unglücklich. Männliche Professoren haben hier die Übermacht. Und Sylvana Krappatsch stellt dabei ihre weibliche Ohnmacht grell heraus. Zuletzt wird sie von ihrem Mann gefragt, ob sie vor der mysteriösen Schriftstellerin „Virginia Woolf“ wirklich Angst hat, was sie schließlich bejaht. Peer Oscar Musinowski gelingt es packend, die sich ständig steigernde aufbegehrende Haltung des jungen Nick gegen den Professor zu verdeutlichen: „Ihr kleinen Schleicher beunruhigt mich am meisten. Ihr Schleimscheißer…Ihr Versager…Ihr seid die Schlimmsten.“

Da wird plötzlich gnadenlos die Weltordnung angetastet, was die Inszenierung von Tina Lanik unterstreicht. Die Spannung steigt in elektrisierender Weise weiter! Dann schnappt die „Gästefalle“ zu. Zuletzt versinkt alles in Resignation, aber auch seelischer Beruhigung. Bei dieser starken Inszenierung gibt es kaum szenische Schwachstellen. Trotz des übergroßen Vorbilds Taylor/Burton können sich die Schauspieler behaupten.

Jubel, „Bravo“-Rufe. 

Alexander Walther

 

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