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STUTTGART/ Schauspielhaus: TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN von Arthur Miller – „Wie in einer griechischen Tragödie“

19.05.2016 | Theater

STUTTGART/ Schauspieler:  WIE IN DER GRIECHISCHEN TRAGÖDIE „Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller im Schauspielhaus am 18. Mai 2016

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Peter Kurth. Copyright: Julian Röder

Eine Art Marilyn Monroe kommt bei dieser Inszenierung von Robert Borgmann (der auch für die Bühne verantwortlich ist) als elektrische Puppe auf die Bühne – Birgit Unterweger mimt dieses seltsame Wesen mit roboterhafter Gleichgültigkeit und Glitzergürtel, bis sie wieder ins wirkliche Leben zurückfällt und ihre falsche erotische Attitüde ablegt. Es ist ein grotesker Hinweis auf die kurze Ehe des Autors Arthur Miller mit der legendären Filmdiva Monroe, die bald in die Brüche ging. Überhaupt wird der „American way of life“ hier erbarmungslos bloßgestellt. Die bizarre Welt eines Donald Trump lässt grüßen.

Peter Kurth spielt Willy Loman in unterschiedlichsten Facetten, der den Boden unter den Füßen verloren hat. Als langjähriger Handelsvertreter hat er nichts mehr zu lachen, die Autofahrten sind eine Qual, seine Kunden bleiben aus. Susanne Böwe kann als seine verzweifelt wirkende Frau Linda nur noch feststellen: „Du siehst schrecklich aus!“ Ein lila Vorhang schiebt sich in geheimnisvoller Weise nach vorne, Willy Loman wird in einem schwarzen Rock sichtbar, der eine pfauenhaft-weibliche Aura erhält. Er quält sich mit letzter Kraft aus den Falten dieses seltsamen Vorhangs. Das Leben ist für ihn zu anstrengend geworden. Doch dieses betont tuntenhafte Outfit will nicht ganz zur Szene passen. Recht gut kommt zum Vorschein, wie stark der Druck auf den Handelsvertreter zunimmt. Zeitweilig erscheint Loman sogar als Clown mit blauer Perücke und roter Nase, der sich trotz der Ermahnungen seiner Frau kaum noch über Wasser halten kann. Die Erinnerungs- und Phantasiewelten nehmen hier zwischen Rollstuhl- und Zirkusszenen bald alptraumhafte Züge an, zuletzt fällt Schnee, es fallen Schüsse und ein riesiges weißes Pferd wird hinausgefahren.

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Manolo Bertling, Manuel Harder. Copyright: Julian Röder

Manuel Harder und Manolo Bertling mimen die beiden Brüder Biff und Happy, die sich ständig bekämpfen und dem immer hilfloser wirkenden Vater heftige Vorwürfe machen. Dieser schimpft auf seinen Sohn Biff, der in Mathematik in der Schule durchgefallen ist. Es ist auch die Geschichte einer tragischen Zuneigung von Willy zu seinem gescheiterten Sohn Biff, was bei der Inszenierung drastisch über die Rampe kommt. „Wir sind frei!“ hallt es in gespenstischer Hoffnungslosigkeit durch den Saal. Stellenweise agieren die Personen wie in Trance. Willy sieht seine Existenz immer mehr in Frage gestellt, Angst überfällt ihn, es droht der Ruin der Familie. Susanne Böwe stellt als Mutter und Ehefrau überzeugend dar, wie diese allmählich die Nerven verliert und sich wegen Willys Selbstmordgedanken weinend auf dem Boden wälzt. Expressionistische und surrealistische Züge dieser Aufführung werden von den weiteren Darstellern Robert Kurchenbuch und Elmar Roloff drastisch herausgearbeitet. Und es beginnt auf der Bühne plötzlich zu flimmern. Dazu tragen die Video-Szenen von Lianne van de Laar entscheidend bei. Loman sieht nur einen Ausweg – nämlich Selbstmord zu begehen, um die Versicherungssumme für die Familie kassieren zu können. „The show must go on“ lautet die grausame Devise. Und Peter Kurth verdeutlich zwischen heftigen emotionalen Ausbrüchen, wie er sich von den ihn überrollenden Ereignissen treiben lassen muss, ohne sich richtig wehren zu können. Liebe und Wettbewerb reibt die handelnden Personen gnadenlos aneinander auf. Alles geschieht aus der zwanghaften Wahrnehmungsperspektive von Willy Loman, der einmal sogar als „Peter Kurth“ gerufen wird. Da holt die Realität das Bühnengeschehen ein.

Rokoko-Akzente führen mit Hilfe der Kostüme von Birgit Bungum sogar in die Welt des Präsidenten George Washington. Der Musik von webermichelson kommt zwischen gewaltigen Gongschlägen und Gitarrensound wichtige Bedeutung zu: „Sometimes I feel like a motherless child…“ Schwarzer Nebel hüllt in unheimlicher Weise die Bühne ein, Willy Loman scheint zwischen tuntenhaften Gesten und krankhafter Geschäftstüchtigkeit endgültig den Verstand zu verlieren. Er macht sich etwas vor: „Das ist ein Geschäft, ts, ts. Grandios, grandios.“ William Shakespeares „Lear“ lässt ganz entfernt grüßen. In der Erinnerung des Kleinkinds Willy verlässt ihn sein Bruder Ben, um den Vater zu suchen. Der amerikanische Traum wird zum schrecklichen Alptraum. Willy wehrt sich sogar gegen das Angebot eines Freundes (den Elmar Roloff als Charley sehr plastisch und bewegend verkörpert), der ihn einstellen will. Der Vorhang steht hier gleichsam als Sinnbild der ewigen Verwandlung, die sehr zentral auf das tödliche Ende von Willy Loman hindeutet.

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Peter Kurth, Birgit Unterweger, Robert Kuchenbuch. Copyright: Julian Röder

Auch die Statisterie mit Anne-Kathrin Lipps, Annika Rohde, Benjamin Stedler, Dieter Hermann, Hosea Hellebrandt, Linus Nenner, Linus Armbruster und Kolja Hölscher unterstreicht diesen Ansatz. Als sein Chef Howard Wagner (mit stoischem Gleichmut: Robert Kuchenbuch) Willy Loman kündigt, sieht dieser keinen Lebenssinn mehr. Der Abstieg verläuft nun rasant, Peter Kurth zerbricht als Willy Loman im Rollstuhl, der von Howard wie ein Müllsack herausgekippt wird. Das sind die stärksten Bilder an diesem Theaterabend, bei dem es auch deutlich schwächere Szenen gibt – etwa dann, wenn den handelnden Personen eine Art Zeichentrickfilm im Hintergrund antwortet. Da driftet die Inszenierung dann leider ins Belanglose ab. Manolo Bertling hat als Happy dann nochmals einen großen Auftritt, als er seinem Vater Willy in der Einsamkeit demonstrieren will, was er alles kann. Aber seine sexuelle Ausstrahlung und enorme Gelenkigkeit prallen brutal an den Eisenstangen ab, vor denen sich Happy vergeblich als vermeintlicher Trapezkünstler abmüht. Da begreift man, wie sehr auch Willy Lomans Söhne scheitern. Man denkt indirekt an den Schlangentod des Laokoon aus der griechischen Heldensage. Die Giftschlangen sind hier die undurchdringlichen gesellschaftlichen Verhältnisse, die kein Entrinnen möglich machen. Stellvertretend hierfür steht Lomans Chef Howard Wagner, der die zunächst leblose blonde Sex-Puppe bestellt hat. Die subtile Live-Musik von Sven Michelson und Philipp Weber passt sehr gut zu den szenischen Entwicklungen, von denen man sich aber zeitweilig einen noch wesentlich größeren dynamischen Steigerungsgrad erhofft hätte. So verpuffen auf der Bühne viele visuelle Möglichkeiten wieder im Nichts, sie wird zum Schluss einfach leergeräumt. Da sieht man dann in einem tristen Lichtkegel den völlig vereinsamten Willy Loman vor seinem endgültigen Selbstmord, der sich von seiner Umwelt nicht mehr retten lassen möchte. Willy will sich den für ihn ungerechten Verhältnissen einfach entziehen. Im Publikum gab es zuletzt nur Zustimmung, keine Proteste.

Alexander Walther

 

 

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