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STUTTGART/ Schauspielhaus/ Stuttgarter Ballett: „NACHT / TRÄUME“ – Viel Glanz im Schattenreich

08.06.2025 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett: „NACHT / TRÄUME“ 6.06.2025 (Schauspielhaus) – Viel Glanz im Schattenreich

Das thematisch gut zusammen gestellte Programm erwies sich auch jetzt mit einigen Umbesetzungen als sichere Bank für großen Erfolg, unabhängig davon, dass ohnehin so gut wie jede Vorstellung der Compagnie bereits länger im voraus ausverkauft ist. Die Atmosphäre im modernen Schauspielhaus trägt eventuell auch zur noch enthemmteren Begeisterung bei als im altehrwürdig feierlichen Opernhaus.

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Vielversprechend: Aoi Sawano in „La jeune fille et les morts“

An erster Stelle sind die Debuts zu erwähnen. „LA JEUNE FILLE ET LES MORTS“ des Duos Sasha Riva und Simone Repele ist ein ideales Stück auch für nachwachsende Corps-Tänzer, ihr künstlerisches Potenzial zu zeigen und sich gleichzeitig im Vergleich zu vorderen Solisten zu beweisen. Aoi Sawano mußte es dabei immerhin mit Primaballerina Elisa Badenes aufnehmen und schlug sich mehr als achtbar. Wenn nicht alles täuscht, reift in ihr eine künftige Solistin heran, die mit geschmeidigem Bewegungsfluss, erkennbar leichter Spitzentechnik und dadurch umso mehr möglicher Gestaltungs-Freiheit zum stimmungs-intensiven Andante aus Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“dessen Thematik in einer knappen Viertelstunde pointiert und gefühlsinnig veranschaulicht. Flankiert von den beiden Vertretern des Todes im schwarzen Gewand, die sich ihrer mal einschmeichelnd, mal dämonisch zupackender bemächtigen. Mit Mitchell Milhollin, der seit seinem Serjoscha in „Anna Karenina“ schlagartig große Aufmerksamkeit erhalten hat, und hier einen mehr sanften, bewegungs- und hebungstechnisch versierten Vertreter der Dunkelheit repräsentiert, und Riccardo Ferlito, einem männlich kernigeren und zupackend intensiven Gegenüber, entsteht ein spannender Kontrast im Zusammenspiel.

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Auch in „Nachtmerrie“ ein starkes Paar: Elisa Badenes und Friedemann Vogel. Copyright: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

Immer wieder kommt es vor, dass Rollendebuts auf Tourneen stattfinden und die Präsentation vor dem heimischen Publikum erst viel später stattfindet. So auch jetzt in Marco Goeckes 2021 noch zu Pandemiezeiten uraufgeführtem Pas de deux „NACHTMERRIE“. Es war höchste Zeit, dass Friedemann Vogel seine Affinität zur herausragenden Handschrift dieses Choreographen nun auch in diesem Stück präsentieren konnte. Und dabei veranschaulichte, dass die meist irrsinnig schnellen und kleinteiligen nervösen Aktionen nicht unbedingt kantig schnittig sein müssen, sondern auch eine elegantere, weichere Ausführung vertragen. Vor allem dann, wenn sie von ihm und seiner Partnerin Elisa Badenes mit einer solch plastisch greifbaren und letztlich genauso schillernden Elastizität und Genauigkeit ausgeführt werden. Auszüge aus Keith Jarretts „Budapest Concerto“ und Lady Gagas „Bad Romance“ tun ein Übriges, das Stück zum gefeierten Höhepunkt des Programms zu machen.

Bei „SOSPESI“ der Halbsolistin Vittoria Girelli lohnt sich die mehrfache Betrachtung, um die Qualitäten der Choreographie sichtbar zu machen. Das bedeutet die Imagination einer von in Rampen auslaufenden Wänden bestimmten Zwischenwelt, in der die sieben allesamt einfühlsam Beteiligten (Mackenzie Brown, Martino Semenzato, Diana Ionescu, Matteo Miccini, Irene Yang, Edoardo Sartori und erstmals Joana Senra) als Ensemble mit eingestreuten kurzen Soli und Pas de deux mittels gebeugter, abgewinkelter oder schlängelnder Bewegungs-Strukturen die Mutation des Menschen vom Tier und gewisse Parallelen entfalten. Der aus geheimnisvollen Geräuschen in klassische Serenaden-Bearbeitungen übergehende Soundtrack garantiert eine magisch unterstützende musikalische Basis.

Die von Solist Fabio Adorisio in„LOST ROOM“ intendierte Beschwörung von Erinnerungen in der Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart bleibt auch bei mehrfacher Ansicht nur in Ansätzen nachvollziehbar. Doch wie er den vorwärtsdrängend, pochenden Impuls der Cello-Sonaten-Bearbeitungen von Rachmaninov und Grieg in einem choreographischen Spannungsfeld von Rhythmus und Aufgewühltheit einfängt, reißt unablässig ohne Leerlauf-Momente mit. Auch jetzt zogen Daiana Ruiz, Mizuki Amemiya, Eva Holland-Nell, Matteo Miccini, Lassi Hirvonen, Adhonay Soares Da Silva und Christopher Kunzelmann wieder an einem Strang und setzten die mal wie vom Boden angezogenen und im Gegensatz auch hoch hinaus greifenden Formationen

ohne Nachlass unter Strom. Ein rätselhaft bleibendes und dennoch griffig intensives Stück.

Udo Klebes

 

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