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STUTTGART/ Schauspielhaus: PÜNKTCHEN UND ANTON von Erich Kästner – die Kinder greifen ein

21.11.2015 | Theater

Premiere „Pünktchen und Anton“ im Schauspielhaus Stuttgart am 21.11.2015

DIE KINDER GREIFEN EIN

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Gabriele Hintermaier (Frau Gast/ Klepperbein), Caroline Junghanns (Pünktchen), Christian Czeremnych (Anton). Foto: Bettina Stoess

 In der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1931 schrieb Erich Kästner seinen Großstadt-Roman „Pünktchen und Anton“. In dieser Berliner Geschichte verwendete Kästner wieder das Motiv des Eingreifens von Kindern in ein Verbrechen. Die Regisseurin Hanna Müller (Bühne: Natascha von Steiger; Kostüme: Nina Gundlach) verlegt die Handlung geschickt in eine Art Zirkus-Arena, wo es gleich richtig zur Sache geht. Caroline Junghanns als Pünktchen mimt hier dieses unerschrockene Schulmädchen, das in der Stadt Geld verdienen muss, obwohl ihre Eltern stinkreich sind. Zuvor hat Florian Rummel als Herr Zeigefinger das Publikum charmant über die Handlung des Romans unterrichtet, obwohl er laut eigenen Worten eigentlich „gar nicht da ist“. Die Eltern haben leider nie Zeit für die Tochter. Pünktchens Schulkamerad Anton (sehr lebendig gespielt von Christian Czeremnych) geht auch nachts arbeiten, weil er nicht weiß, wie er die Miete und das Essen für sich und seine schwer kranke Mutter aufbringen soll: „Wer möchte eine Zeitung kaufen?“ Die Szenen zwischen Pünktchen und Anton sowie zwischen Anton und seiner Mutter (der man „ein Gewächs“ aus dem Leib geschnitten hat) besitzen bei dieser detailverliebten Inszenierung eine berührende Intensität. Frau Gast wird als Mutter hierbei von Gabriele Hintermaier mit nie nachlassender Intensität gespielt: „Anton, du bettelst mir keine reichen Mädchen an!“ So werden die Personen greifbar – gerade auch in den Momenten der Verzweiflung. Die Szene mit der Mutter beispielsweise spielt in der Höhe zwischen einer reichlich verzierten Balustrade. Erich Kästner erscheint hier ganz deutlich als ein Urenkel der deutschen Aufklärung, „spinnefeind der unechten Tiefe„.

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Gabriele Hintermaier (Frau Gall / Klepperbein), Birgit Unterweger (Frl. Andacht), Caroline Hunghanns (Pünktchen), Musiker. Foto: Bettina Stoess

Diese Aufführung lebt in jedem Fall von der Aufrichtigkeit des Empfindens der Figuren, allen voran die großartige Rahel Ohm als dicke Berta, die sich auch am Telefon als resolutes Dienstmädchen nichts gefallen lässt: „Haben Sie soeben etwa dick zu mir gesagt?!“ Anton schläft tagsüber in der Schule einfach ein, was Pünktchen auf den Plan ruft, die ihm helfen will und seinen Lehrer Herrn Bremser zur Rede stellt. Der hat festgestellt, dass Antons Leistungen in der Schule stark nachgelassen haben. Dieser Herr Bremser nimmt dann tatsächlich alles zurück. Als „stinkreiches“ Fabrikantenehepaar überzeugen bei der Inszenierung ferner Marietta Meguid („Ich wünsche, dass nächstes Mal besser gekocht wird!“) und Sebastian Röhrle als Herr und Frau Pogge, die sich über eine Modenschau trotz Migräne gar nicht genug freuen können. Satirischer Witz und Ironie blitzen hier immer wieder höchst schelmisch hervor, was bei den kleinsten Zuschauern im Schauspielhaus bei der Premiere bestens ankam. Ganz turbulent wird es dann in jenem Moment, als Diebe das Haus der Pogges unsicher machen – allen voran der von Sebastian Röhrle robust gemimte Robert der Teufel, dem die stets echauffierte Birgit Unterweger als Fräulein Andacht ohne Sinn und Verstand hinterherläuft. Dieser Robert der Teufel wird zuletzt mit einer Bratpfanne unschädlich gemacht. Weiße Luftballons erscheinen in diesem Moment wie eine große Wolkengruppe und hüllen die Protagonisten einfach ein. Mit ihrem fliegenden Hund, der fast auch wie ein Luftballon aussieht und wiederholt heftig kläfft, kann Pünktchen ihren Anton stets erfolgreich gegen die Widersacher verteidigen. Als freche „Petze“ Herr Klepperbein besitzt Gabriele Hintermaier zudem eine starke Bühnenpräsenz. „Warum gibt es arme und reiche Leute?“ lautet die entscheidende Frage in diesem einfühlsam inszenierten Stück, das zuletzt keine Fragen mehr offen lässt. Ein weiterer Pluspunkt dieser Aufführung ist die Musik von Max Braun (Swing-Tanztraining: Anika Kopfüber), hier erscheinen zuletzt sogar Polizisten als gewiefte Jazz-Musiker. Nummern wie „Sing, Baby, Sing“, „Oh Andacht“, „Pünktchen pfeift“, „Straßenmusik“, „Mir geht’s gut„, „Robert und der Teufel“ sowie „Alles“ sprechen die Zuschauer aufgrund der bestens aufeinander abgestimmten Interpreten Caroline Junghanns (Gesang, Kamm, Pfeifen), Christian Czeremnych (Gesang), Florian Rummel (Gesang), Steffen Dix (Saxophon, Klarinette), Joscha Glass (Kontrabass) und Max Braun (Banjo, Perkussion, Gesang) direkt an.

Im Programm-Flyer steht die köstliche „Ansprache zum Schulbeginn“ von Erich Kästner: „Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch…“ Und die Schüler werden hier ermutigt, ihrem Lehrer nicht alles zu glauben. Das kann tröstlich sein: „Liebe Eltern, wenn Sie etwas nicht verstanden haben sollten, fragen Sie Ihre Kinder!“

Das Ensemble wurde im Schauspielhaus zuletzt jedenfalls gefeiert. Zuweilen weckt Hanna Müller auch Assoziationen zu „Das fliegende Klassenzimmer“ (Dramaturgie: Anna Haas). Es ist ihr eine Hymne auf die Freundschaft geglückt – insbesondere zwischen Pünktchen und Anton. Überraschend sind außerdem die aktuellen Zeitbezüge wie beispielsweise ein Hinweis auf den VfB Stuttgart.

Alexander Walther

 

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