Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Schauspielhaus: OTHELLO von William Shakespeare

Schicksal eines Fremden

10.05.2019 | Theater


Foto: David Baltzer

„Othello“ von William Shakespeare am 10.5.2019 im Schauspielhaus/STUTTGART

SCHICKSAL EINES FREMDEN

Als General der Republik Venedig ist Othello eigentlich kein Mann zum Heiraten, weil er im Grunde genommen nur den Krieg kennt. Obwohl ihn sein Soldatenberuf ganz ausfüllt, verliebt sich Desdemona trotzdem in den angeblichen Kriegshelden. Desdemona ist auch in der in die heutige Welt übertragenen Inszenierung von Burkhard C. Kosminski für Othello ein Halt in einer für ihn eigentlich ausweglosen Welt. Hier wird er als Fremder nur geduldet und auch als Kriegswaffe eingesetzt. Itay Tiran mimt Othello hier in all seiner Zerrissenheit, der von Misstrauen in seine Umwelt geplagt wird. Für diese Gesellschaft bleibt er auch ein Fremder und Ausländer, dem man nicht trauen kann. Matthias Leja spielt schillernd und undurchsichtig Othellos Fähnrich Jago, der die mörderische Intrige gegen ihn in Gang setzt. Seine Gestaltung besitzt dabei durchaus Dämonie. Katharina Hauter zeigt als Desdemona leisere Zwischentöne, aber auch leidenschaftliche Gefühlsausbrüche.

In eindringlichen Videosequenzen von Sebastian Pircher (Kostüme: Ute Lindenberg) sind Militäreinsätze zu sehen – Flugzeuge und Kriegsschiffe zeigen hier ungeheure Präsenz. Auf der drehbaren Bühne von Florian Etti können sich die Protagonisten recht gut entfalten, auch wenn nicht jede Szene gleich stark beeindruckt. Die Hochzeitszeremonie zwischen Desdemona und Othello endet in einem rauschenden Konfettiregen. Zwischendurch hört man Musik aus Wagners „Fliegendem Holländer“ (Musik-Arrangement: Hans Platzgumer). Michael Stiller bietet als Othellos Leutnant Cassio ebenfalls eine bemerkenswerte Charakterstudie, während Peer Oscar Musinowski den jungen Soldaten Roderigo eindringlich darstellt, der in Desdemona verliebt ist. Als Senator Brabantino überzeugt ferner Elmar Roloff, der Othello heftig anklagt, seine Tochter durch Zauberkünste verführt zu haben. Umso klarer bekennt sich Desdemona weiterhin zu Othello als ihrem rechtmäßigen Gatten. „Den Vater trog sie, so mag’s dir geschehen!“ schickt ihr ihr empörter Vater mit auf den Weg. Jago kann Othello nicht verzeihen, dass er Cassio und nicht ihn zum Leutnant machte.


Itay Tyran (Othello), Matthias Leja (Jago), Katharina Hauter (Desdemona). Foto: David Baltzer

Dieses zynische Verwandlungsspiel vermag Matthias Leja als Jago in ausgezeichneter Weise darzustellen. Jago hetzt Roderigo und Cassio gegeneinander auf  – dabei wird Cassio seines Amtes als Leutnant enthoben. Er lässt Othello auch beobachten, wie Cassio mit Desdemona spricht und macht ihn damit rasend eifersüchtig. In Form eines Taschentuchs versucht Jago, Desdemona als Ehebrecherin zu entlarven. Othello misshandelt seine Frau nun auf offener Bühne aufgrund dieser falschen Verdächtigungen. Das hat Burkhard C. Kosminski sehr packend inszeniert. Die Schauspieler steigern sich dabei in einen regelrechten Fieberwahn hinein, der den Zuschauern unter die Haut geht. Zuletzt liegt Desdemona in einem blutroten Bett und wird hier von Othello getötet. Dabei rinnt Blut in Form von roter Farbe in gespenstischer Weise von der Decke herab.

Marietta Meguid stelt Jagos Frau Emilia dabei glaubwürdig dar, ‚die Othello den schrecklichen Betrug ihres Mannes offenbart. Als Othello sich mit dem Messer selber richtet, kann Jago nur noch eiskalt feststellen: „Ich hasst‘ den Fremden!“ Auch das Metaphysische kommt bei dieser Eifersuchtstragödie in der elektrisierenden Inszenierung von Burkhard C. Kosminski nicht zu kurz. Man vermisst zuweilen jedoch eine genauere Analyse der Frage, wie es denn überhaupt zu der Liebe zwischen Othello und Desdemona kam. Verleumdung, Eifersucht, Verblendung, Rache und Gerechtigkeitswahn bilden dabei einen erschreckenden Kosmos unterschiedlichster Wahrnehmungsgrade. Darauf zielt diese Aufführung in recht geschickter Weise ab. In Kosminskis Inszenierung nimmt die Liebesthematik einen bedeutenden Platz ein. Othello rechtfertigt vor der politischen Führung Venedigs seine heimliche Heirat mit Desdemona durch einen Bericht seiner erfolgreichen Liebeswerbung. Jago beschreibt eine fingierte Untreue Desdemonas in Gestalt animalischer Sexakte mit Cassio, wobei Itay Tiran als Othello seine exzessiven Rachegelüste gegenüber Desdemona und Cassio plastisch verkörpert. In grellen Videosequenzen werden diese seelischen Grenzen drastisch beleuchtet. Aber die von Othello des Ehebruchs angeklagte Desdemona hält an der ursprünglichen  Liebesintensität gegenüber Othello fest. Der Liebe zwischen Othello und Desdemona fehlt auch in Burkhard C. Kosminskis Inszenierung der Übergang zur Geschlechtlichkeit. Im Ehebett hat ein Geschlechtsakt nicht stattgefunden. Die Kälte zwischen Desdemona und Othello endet deswegen in hoffnungsloser Verzweiflung. Die Intrigen Jagos können immer wieder wie gewaltige Sprengsätze explodieren. Deutlich wird bei Kosminski aber auch, dass Desdemona der Geist und das Wesen Othellos sehr zugänglich sind. Umso schlimmer ist für sie seine Zerstörungswut aus sinnloser Eifersucht. Zuletzt hat diese Liebe keine Chance mehr.

In weiteren Rollen überzeugen Marco Massafra als Montano, Robert Rozic als Gratiano sowie Myriam Quintana Galleguillos als eine Gefangene, die von Cassio schließlich erschossen wird. Ihre Kinder trauern um sie. Ferner zeigen als Soldaten Harald Hald, Dirk Helbig, Tobias Holzner, Roland Möll, Stefan Reis und Martin Uhlirz starke Präsenz. Olena Shvab gesellt sich als Soldatin hinzu. Als Kinder gefallen weiterhin Konstantin Harms, Mia Hellebronth, Clara Schwind, Marlene Schwind und Salomea Stojanova. Der Schwarze wird als hässlich, grausam, geil und gefährlich verteufelt. Wie wenig Desdemona  mit diesen Vorwürfen umgehen kann, macht Katharina Hauter überzeugend deutlich. Das Zitat Othellos „Und wenn ich dich nicht liebe, so ist das Chaos wieder da“ wird zuletzt Wirklichkeit. Matthias Leja handelt als Jago hier wie ein eiskalter Geschäftsmann, er zeigt bis zuletzt bei Othellos Selbstmord keine Schuldgefühle.

Und es bleibt bei dieser Inszenierung auch offen, ob er überhaupt für seine Taten bestraft wird.    

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken