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STUTTGART/ Schauspielhaus: NATHAN DER WEISE von Gotthold Ephraim Lessing – „Nathan im Krieg“

18.03.2016 | Theater

STUTTGART: Premiere von Lessings „Nathan der Weise“ im Schauspielhaus Stuttgart

NATHAN IM KRIEG

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Peter Kurth (Nathan), Katharina Knap (Daja). Copyright: Bettina Stöß

Premiere von Lessings „Nathan der Weise“ am 17. März im Schauspielhaus/STUTTGART Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ auf rumänisch? Das kann durchaus funktionieren, wenn man ein exzellentes Ensemble hat. Darauf baut Armin Petras in jedem Fall, denn die Koproduktion mit dem Nationaltheater Radu Stanca Sibiu/Rumänien kann sich sehen lassen. Zwischen Palmen, Nebelwolken, Kriegsflugzeugen und Himmelgeflimmer im Filmhintergrund sieht man ein von der griechischen Antike architektonisch stark inspiriertes Hotel, dessen Besitzerin Daja von der überaus wandlungsfähigen Katharina Knap verkörpert wird. Sie klärt den von Peter Kurth mit Temperament und innerer Glut gespielten Juden Nathan schonungslos mit wilden Zornausbrüchen auf. Im Vordergrund fallen umgestürzte Stühle ins Auge, etwas mehr im Hintergrund befindet sich ein riesiges Bücherregal, dessen Inhalt immer wieder zu Boden geschleudert wird.

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Tempelherr, Daja und die Prostituierte. Copyright: Bettina Stöß

Der Geist, der in diesen Büchern steckt, treibt die Personen zur Raserei. Das zeigt Armin Petras drastisch. Nathans vermeintliche Tochter Recha (die eigentlich gar nicht seine Tochter ist) entging offensichtlich einer Feuersbrunst, weil sie von einem jungen Tempelherrn gerettet wurde. Ofelia Popii vermag dieser Recha auf der Bühne eine ungeheure Präsenz zu verleihen. Ihrem „Vater“ Nathan ruft sie zu: „Ich liebe dich! Ich hasse dich!“ Der Jude ist ihr gegenüber in der nuancenreichen Darstellung von Peter Kurth immer wieder erstaunlich hilflos. Ciprian Scurtea als Tempelherr kann der aufkeimenden Liebe zu Recha hier wirklich ein glaubwürdiges Gesicht geben. Lessings einzigartiger Appell an die Toleranz und sein utopisches Gedankenspiel nehmen immer mehr Gestalt an. Letztendlich erfährt man dann, dass der Tempelherr Rechas Bruder ist. Dazwischen hat der umsichtige Regisseur Armin Petras erschütternde Kriegsbilder eingebaut, die an die heutigen Konflikte zwischen Palästina und Israel schmerzhaft erinnern. Das sind überhaupt die stärksten und mächtigsten Bilder dieser Inszenierung. Da lebt die dämonische Kraft der Antike mit Atridenwucht in gewaltiger Weise auf.

Nicht weniger drastisch schildert Petras die zweite Handlungsebene am Hofe des von Horst Kotterba höchst lebendig gemimten Sultans Saladin, der zuletzt völlig ausflippt („Highway to Hell!“). Saladin hat Geldschwierigkeiten und findet schließlich die Hilfe Nathans. Die zunehmende Nähe zwischen den beiden Männern wird von Armin Petras in der Inszenierung plastisch eingefangen. Susanne Böwe spielt Nathans einfühlsame Schwester Sittah, die ihm wiederholt ins Gewissen redet. Ein starkes Bild gelingt Petras ferner in der berühmten „Ring-Erzählung“, wo Nathan ausführt, dass man von den drei Religionen Christentum, Judentum oder Islam keiner den Vorzug geben sollte. Die Frage, ob Juden oder Christen nun die besseren Menschen sind, bleibt unbeantwortet, versinkt in wirren Religionskriegen, die ständig ausufern. Vor Gott sind laut Nathan alle Religionen aber gleich. Diejenige sei die beste, die am meisten mit der von „Vorurteilen freien Liebe “ wetteifert. Während der Erzählung umkreisen ihn die handelnden Figuren wie einen geheimnisvollen Propheten. Recha und der Tempelherr sind letztendlich auch mit dem Sultan verwandt. Dieser Erkenntnisprozess erfolgt in durchaus traumatischen Etappen.

Einen wunderbar zarten poetischen Zauber gewinnt diese Inszenierung im Bühnenbild von Dragos Buhagiar und Julian Marbach sowie den „modernen“ Kostümen von Katja Strohschneider (Video: Rebecca Riedel) durch die feinfühlige Zymbal-Musik von Thomas Kürstner, Sebastian Vogel und Marius Mihalache (Live-Musik). Mittendrin wird die Idylle in der brutalen Hotellobby mutwillig zerstört, die von der keifend-lachenden Prostituierten (mit vielen Facetten: Cristina Juks), dem umtriebigen Zimmermädchen (Maria Tomoiaga) und dem windigen Hotelpagen (Alexandru Udrea) beherrscht wird. Explosionen, Feuersbrünste und Zerstörung beherrschen mit unheimlicher Präsenz die Szene. Peter Kurth kann den Juden Nathan packend und glaubwürdig als Geschäftsmann und Vater darstellen, der sich mit Kalkül, Lüge und Liebe durch das Schlachtfeld der Gegenwart kämpft. Die grausamen Gespenster der Vergangenheit wird er trotzdem nicht los. Im babylonischen Gewirr der Sprachen besteht ein weiterer Reiz dieses ungewöhnlichen Projekts, denn es ist gewollt, dass sich die Protagonisten stellenweise gegenseitig nicht mehr verstehen. Das steigert nur noch die psychischen Exzesse, die teilweise extreme Formen annehmen. Tragisch ist zuletzt, wie der Jude Nathan am Ende doch verliert. Daja schleudert ihm „Der Jude wird verbrannt!“ entgegen. Das tut weh und geht unter die Haut. Deswegen kommen sich Daja und der Jude auch nicht wirklich näher. Nathan verlässt den Theatersaal, indem er einfach die Türe hinter sich zuschlägt. Politische und private Argumente zählen plötzlich nichts mehr.

Das hohe Lied der Toleranz erweist sich als brüchig. Die Suche nach den Konfliktursachen bleibt aber nur an der Oberfläche, manchmal hätte man sich bei dieser insgesamt überzeugenden und starken Inszenierung vielleicht noch ein stärkeres Aufeinanderhören gewünscht. Verständigung und Verstehen würden dann trotz des babylonischen Chaos‘ noch mehr im Vordergrund stehen. Am Ende sieht man Nathan in einer filmischen Sequenz die Straße entlanggehen. Er scheint immer noch den richtigen Weg zu suchen, niemand kann ihm helfen, die Gespenster der faschistischen Zukunft und des millionenfachen Judenmordes sind präsent. Eine islamische Bedrohung gipfelt hier in einem Vernichtungstrauma, dem einzelne Figuren zum Opfer fallen. Klar wird in jedem Fall, dass Lessing die Unmenschlichkeiten des 18. Jahrhunderts am eigenen Leib erfahren hat – er wurde vom Herzog von Braunschweig wegen seiner Schriften abgemahnt. Davon erzählt diese Aufführung in ihren bittersten Sequenzen. Eine zentrale Frage bleibt: Wie überwindet man Angst und Argwohn und die grausamen Schatten der Vergangenheit? Tosender Schlussapplaus.

Alexander Walther

 

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