„Momo“ von Michael Ende am 26.11.2022 im Schauspielhaus/STUTTGART
Philosophie mit Meister Hora
Gabor Biedermann, Teresa Annina Korfmacher, Guido Burgstaller. Foto: Björn Klein
„Ich habe bis jetzt darauf gewartet, dass die Menschen selbst sich befreien würden, sie hätten es gekonnt. Aber jetzt kann ich nicht länger warten. Ich muss etwas dagegen tun. Aber ich kann es nicht allein. Willst du mir helfen, Momo?“ fragt Meister Hora, den Gabriele Hintermaier geheimnisvoll spielt. In der farbenreichen Inszenierung von Tim Egloff (Bühne: Prisca Baumann; Kostüm: Kerstin Grießhaber) wird das große Geheimnis erst am Schluss gelüftet. Die wenigsten Menschen denken darüber nach. Dieses Geheimnis ist die Zeit, die allen so wertvoll erscheint. In diesem Moment wird die Geschichte von „Momo“ auch ein spannendes Märchen. Das von Teresa Annina Korfmacher virtuos gemimte Mädchen Momo lebt in einem Amphitheater, das bei dieser Aufführung ein ziemlich modernes Outfit erhält. Sie besitzt nicht viel, hat keine Eltern und weiß nicht, wie alt sie ist. Und Momo hört allen Menschen aufmerksam zu.
Momos Welt ist eigentlich eine Großstadt, die nicht ärmer an Wundern und Ereignissen ist wie in der Vergangenheit. Das weiß auch der von Boris Burgstaller mit Ironie gemimte Straßenkehrer Beppo. Allerdings ist auch eine gespenstische Gesellschaft von „Grauen Herren“ am Werk, die immer mehr Menschen dazu veranlasst, Zeit zu sparen. In Wirklichkeit betrügen sie aber die Menschen um diese Zeit und nehmen ihnen alle Lebensfreude. Dieses Problem wird in der gelungenen Inszenierung plastisch herausgearbeitet. Die Figuren gewinnen dabei immer mehr Profil. Je mehr Menschen die Zeit sparen, desto ärmer wird dadurch ihr Leben. Momo kann immer wieder Streit schlichten und dem Fremdenführer Gigi (farbenreich: Gabor Biedermann) und dem Straßenkehrer Beppo das Gefühl vermitteln, den rechten Platz in der Welt zu haben. Gigi wird sie aber wieder verlassen. Als die Not am größten ist, greift Meister Hora ein, der kluge „Verwalter der Zeit“. Momo übernimmt als Menschenkind diese schwierige Aufgabe. Und plötzlich hören die Menschen auf, Momo zu besuchen. Denn die Grauen Herren der Zeitsparkasse haben angefangen, den Bewohnern der Stadt in gnadenloser Weise ihre Zeit abzuringen. Momo ist die Einzige, die diesen perfiden Zeit-Dieben Einhalt gebieten kann. Gemeinsam mit der von Marietta Meguid wandlungsfähig gespielten Schildkröte Kassiopeia und Meister Hora gelingt es Momo, die Menschen von den Grauen Herren zu befreien. Mit Hilfe einer von der Schildkröte geschenkten Stundenblume lösen sich die Grauen Herren schließlich in Luft auf, nachdem die Bühne als riesige Truhe geöffnet wurde. Zuvor hat Momo mit ihren Freunden Beppo und Gigi fahnenschwenkend demonstriert: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zeit uns klaut!“
Die „Grauen Herrn: Marco Massafra, Guido Burgstaller, unten Till Krüger. Foto: Björn Klein
Und auch die Musik von Micha Kaplan passt sehr gut zum Geschehen. Die Philosophie mit Meister Hora bietet hier also immer wieder neue Aspekte. In weiteren Rollen überzeugen noch Marietta Meguid als Liliana, Gabor Biedermann als Grauer Herr, Boris Burgstaller als italienischer Hot-Dog-Verkaufer Nino, Marco Massafra als Grauer Herr und vollkommene Puppe sowie der gewiefte Till Krüger als Grauer Herr, Polizist, Herr Fusi und Manager. Es ist eine bunte Inszenierung, die mit viel Lichteffekten und Nebel spielt. Und die kleinen Lampen im Zuschauerraum leuchten wie ein Nachthimmel. Riesenapplaus,
„Bravo“-Rufe.
Alexander Walther