Benjamin Pauquet, Sylvana Krappatsch. Foto: Thomas Aurin
Premiere „Medea“ von Franz Grillparzer am 14. Dezember 2018 im Schauspielhaus/STUTTGART
TREPPENAUFGANG INS NICHTS
Jason spielt bei Franz Grillparzers Stück „Medea“ die Hauptrolle. Es ist hier die große Tragödie, dass der Mensch etwas in seinem Alter sucht, was er in seiner Jugend nicht brauchen kann. In der subtilen Inszenierung von Mateja Koleznik sieht man einen Treppenaufgang mit einem großen Glaskasten (Bühne: Raimund Orfeo Voigt; Kostüme: Alan Hranitelj), wo die Figuren in ihrem psychischen Wirrwarr natürlich nicht zueinander finden. Auch in diesem Stück befinden sich die Königstochter Medea und der Grieche Jason auf der Flucht. Alles konzentriert sich auf ein seltsames Stiegenhaus mit grünem Zuschnitt. Medea hat Jason geholfen, das Goldene Vlies zu rauben. Dies ist ein kostbares Widderfell, das ihr Vater einst durch einen gemeinen Mord in seinen Besitz gebracht hatte. Medea hinterging ihren Vater und verursachte den Tod ihres Bruders. Sie ist deswegen als Ehefrau nicht gesellschaftsfähig, sie wird von den Griechen als „Barbarin“ gebrandmarkt. Jason möchte den radikalen Neuanfang, er möchte kein Versager sein. Kreon macht ihm als König von Konrinth ein verlockendes Angebot: Wenn Jason seine Tochter Kreusa heiratet, erhält er ein dauerhaftes Bleiberecht für sich und seine Kinder. Doch für Medea kommt jede Hilfe zu spät, ihr droht nur die Verbannung. So kommt es zur Katastrophe – aus Wut und Verzweiflung tötet sie die beiden Kinder: „Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.“
Sylvana Krappatsch als durchaus sensible und sehr verletzliche Medea begreift, dass sie ein starker Teil ihrer Umgebung ist. Bei Franz Grillparzer ist Medea jedoch nicht schuld am Tod ihrer Verwandten. Denn ihr Bruder stürzte aus Angst vor den Griechen von einer Klippe. Und der Vater, der sie verfluchte, beging nach Medeas Flucht Selbstmord. Diese dramatische Ausgangslage beherrscht auch die Inszenierung von Mateja Koleznik. Das Goldene Vlies ist hier gleichsam das Symbol einer uneingeschränkten Macht, die die Protagonisten fasziniert und gefangennimmt. Wie ein langer Schatten begleitet dieses Vlies die Handlungen der Figuren. Benjamin Pauquet ist als Jason ein Mann, der den heftigen Vorwürfen Medeas nicht gewachsen ist. Er tritt die innere Emigration an. Grillparzers Lebensphilosophie trägt hier durchaus nihilistische Züge. Die Regisseurin Mateja Koleznik arbeitet den krassen Gegensatz von Kultur und Natur aber durchaus konsequent heraus. Klaus Rodewald vermag dies als versierter Darsteller von König Kreon ebenso plastisch darzustellen wie Katharina Hauter als seine von den heftigen Auseinandersetzungen mit Medea schwer belastete Tochter Kreusa.
Benjamin Pauquet, Katharina Hauter, Klaus Rodewald, Sylvana Krappatsch. Foto: Thomas Aurin
Mateja Koleznik hat das Stück gekürzt und konzentriert sich dabei stark auf die klare und ehrliche Sprache des Dichters Franz Grillparzer, der Medea alle Höhen und Tiefen der Leidenschaft durchlaufen lässt. Sylvana Krappatsch vermag dieses psychische Dilemma einer verlassenen Frau in bewegender Weise und sehr realistisch darzustellen: „Erkennst das Zeichen du, um das du rangst?“ Euripides und Seneca haben hier Pate gestanden. Aber die psychologische Vertiefung der Figuren kommt bei der Aufführung durchaus erschütternd zum Vorschein, wenngleich man bei manchen szenischen Passagen noch eine größere Sorgfalt im Detail hätte walten lassen können. Es gibt aber logische und faszinierende Regieeinfälle. So sieht man neben den Erwachsenen auch die toten Kinder schemenhaft und ohne Kleider in dem hell erleuchteten Glaskasten herumlaufen. Es ist eine Welt zwischen Realität und Traumvisionen. Die Trennung von Medea und Jason erscheint zuletzt zwar endgültig („Ich aber scheide jetzt von dir“). Doch man hat als Zuschauer immer noch die Hoffnung, dass das Geschehen eventuell ein besseres Ende nehmen könnte. In weiteren Rollen überzeugen Marietta Meguid als Medeas Amme Gora, Jannik Mühlenweg als Herold sowie Tom Pekarski, Emil Wipfler, Julius Haneberg und Paul Thurner als Kinder bei den einzelnen Aufführungen. Als weitere Statisten sind noch Martin Bäßler, Balthasar Burger, Johannes Gerlitz, David von Szilagyi, Alexander Wiedmann, Erik Wunderlich und Lena Zimmermann zu sehen. Sie verfeinern dabei den kunstvollen szenischen Ablauf. Die Personenführung ist sensibel, dazu trägt auch die suggestive Musik von Nikolaj Efendi und die Choreografie von Matija Ferlin bei. Manche Motive und thematische Zusammenhänge ergeben sich durch eine mosaikartige Anordnung, die auch immer wieder facettenreich durchbrochen wird. Dass der Wendepunkt dieses Dramas schon sehr früh eintritt, macht Mateja Koleznik bei ihrer psychologisch durchdachten Inszenierung in subtiler Weise deutlich. Entscheidend ist hier das Geschehen im zweiten Aufzug. Als Medea nämlich die Ehe retten und ein Lied für ihren Gemahl singen will, zeigt dieser kaum Interesse. Das Finale ist dann Medeas große Abrechnung. Mit der Ermordung ihrer Söhne und Kreusas nimmt sie auch Jason alles. Grillparzer lässt Medea aber ganz bewusst ihr eigenes Ende wählen. Dies macht Sylvana Krappatsch als Darstellerin Medeas in sehr guter Weise deutlich. Sie versucht vergeblich, sich der Welt des Palastes anzupassen. So konnte sie auch die Sympathie des Publikums für sich gewinnen. Der Schlussapplaus im Schauspielhaus war dementsprechend euphorisch.
Alexander Walther