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STUTTGART/ Schauspielhaus: MARIA STUART von Friedrich Schiller. Premiere

15.05.2022 | Theater

Premiere „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller am 14.5.2022 im Schauspielhaus/STUTTGART

Wildes Feuer im Dialog

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Katharina Hauter. Im Hintergrund Klaus Rodewald und Christiane Rossbach. Foto: Katrin Ribbe

 Ein Gebäude aus gefängnisartigen Glaskästen symbolisiert in der Inszenierung von Michael Talke (Bühne und Kostüme: Oliver Helf) hier das Drama um die schottische Königin Maria Stuart, die seit fast zwanzig Jahren Gefangene der englischen Königin Elisabeth ist. Zugleich wird die Handlung in unsere heutige Zeit übertragen. Nach einem tödlichen Attentat auf ihren Ehemann war sie zur Flucht zu ihren Verwandten nach England gezwungen. Aus Angst vor Marias Anspruch auf den englischen Thron ließ Elisabeth sie auf Schloss Fotheringhay einsperren. Wie sehr Elisabeth hier unter Druck steht, macht Josephine Köhler ausgezeichnet deutlich. Ihr Volk drängt sie zur Heirat und verlangt die Hinrichtung Marias. Auch ihre Berater setzen ihr zu – und Matthias Leja als undurchsichtiger Lord Burleigh möchte sie schließlich dazu zwingen, endlich zu handeln und einer schnellen Hochzeit zuzustimmen.

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Boris Burgstaller, Josephine Köhler. Foto: Katrin Ribbe

Das Doppelspiel der Frauen findet eine Spiegelung in den Männergestalten. Boris Burgstaller mimt sehr emotional den alten Grafen Talbot von Shrewsbury und verlangt eine Begnadigung Marias. Marco Massafra als intriganter Graf Leicester spekuliert selbst auf eine Heirat mit Elisabeth. Er verlangt sogar ein riskantes Treffen der beiden Königinnen. Katharina Hauter spielt Maria Stuart als kompromisslose Rebellin, die  ihre grausame Gefangenschaft von Anfang an in packender Weise deutlich macht. Sie hetzt atemlos von Zimmer zu Zimmer, hält sich verzweifelt an den Gitterstäben fest. Es gelingt Michael Talke in seiner subtilen Inszenierung, die sich zuspitzende, elektrisierende Dramatik selbst im Zeitlupen-Tempo festzuhalten. Keine Minute wird hier verschenkt. Als der von Jannik Mühlenweg dargestellte, vor Liebe blinde junge Mortimer schließlich die gewaltsame Befreiung Maria Stuarts plant, eskaliert die Situation. Es kommt zu einer tragischen Begegnung der beiden Königinnen, die ja in Wahrheit nie stattgefunden hat.

Dank des souveränen Spiels von Josephine Köhler und Katharina Hauter entfaltet sich hier ein wildes Feuer im Dialog. Maria bezichtigt Elisabeth der Scheinheiligkeit und nennt sie einen Bastard, der den englischen Thron entweihe.  Sie müsse nach Recht und Gesetz vor ihr, der eigentlichen Königin Englands, im Staub liegen. Christiane Roßbach als Marias Amme Hanna Kennedy kann ihr Entsetzen über die Demütigung Elisabeths durch Maria in aufwühlender Weise verdeutlichen: „O, was habt ihr getan! Sie geht in Wut!“ Katharina Hauter genießt als Maria jedoch ihren Triumph – und auch Mortimer ist von Marias leidenschaftlichem Ausbruch begeistert und gerät in der Darstellung von Jannik Mühlenweg völlig außer sich. Im vierten Akt erweist sich Burleigh dann als durchtriebener Großschatzmeister als Herr der Lage, während Leicester unter Druck gerät und den Kopf schließlich aus der Schlinge zieht.

Gelegentlich agieren die Protagonisten auch wie hilflose Marionetten, die sich um die herrische Königin Elisabeth scharen. Josephine Köhler verdeutlicht als Elisabeth in drastischer Weise, wie sehr sie trotz der Unterzeichnung des Todesurteils die Verantwortung für die Hinrichtung Maria Stuarts von sich schiebt. Elisabeths fieberhafte Ungewissheit hat man selten so grell beleuchtet gesehen wie hier. Katharina Hauter macht spürbar, wie Maria ihren psychischen Verfall nicht mehr aufhalten kann. Gleichzeitig unterstreicht sie bei ihrer Darstellung, wie schwer es Maria fällt, sich vor Elisabeth zu demütigen. Obwohl Marias Unschuld letztendlich ans Licht kommt und Elisabeth die Hinrichtung aufschieben will, ist es schon zu spät. Till Krüger mimt fassungslos den herbeigeeilten Wilhelm Davison, von dem Elisabeth den Hinrichtungsbefehl zurückverlangt. Als dieser gesteht, dass er ihn nicht mehr habe und dass das Dokument in Burleighs Hände gelangt sei, kommt er in die größten Schwierigkeiten. Der Rest ist eine Farce: Elisabeth spielt die Hintergangene, genießt jedoch in Wahrheit ihren Triumph. Josephine Köhler lässt zugleich deutlich werden, dass es die Stunde ihres größten Elends ist. Das raffinierte Sounddesign von George Dennis unterstreicht wirkungsvoll die Intensität des Spiels.

In weiteren Rollen gefallen noch Klaus Rodewald als Amias Paulet (Hüter der Maria) sowie Gabor Biedermann als Graf Aubespine. Schiller hat hier jede positive politische Perspektive verweigert. Es kommt dagegen zur Erlösung des einzelnen Menschen durch die Kunst. Im katholischen Glauben tritt der Mensch nach seinem Tod vor Gott. Erst dann entscheidet sich, ob er ins Paradies kommt. In Schillers Eucharistieszene gibt der Priester Maria noch vor ihrem Tod Gewissheit, dass sie sich auf „ewig mit dem Gottlichen vereinen“ werde. Die Inszenierung von Michael Talke überzeugt aufgrund ihrer szenischen Glaubwürdigkeit. Sie hat nur selten Schwachstellen. Und die Schauspieler brillieren immer wieder mit fließendem jambischen Rhythmus. So gab es Premierenjubel und viel Applaus auch für das Regieteam, das im Bühnenhintergrund zuweilen Videos mit Bürgeraufständen und Polizeieinsätzen zeigt, um die Rebellion Marias zu verdeutlichen.

Alexander Walther

 

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