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STUTTGART/Schauspielhaus: ITALIENISCHE NACHT von Ödön von Horvath

Weibergeschichten und eine politische Karriere

22.09.2019 | Theater


Peer Oscar Musinowski. Foto: David Baltzer

„Italienische Nacht“ von Ödön von Horvath am 22. September 2019 im Schauspielhaus/STUTTGART

WEIBERGESCHICHTEN UND POLITISCHE KARRIERE

Die Spannungsfelder zwischen Nazis, Sozialdemokraten und Kommunisten werden in dieser subtilen Horvath-Inszenierung von Calixto Bieito (Bühne: Helen Stichlmeir; Kostüme: Sophia Schneider; Musik: Barbora Horakova) facettenreich in Szene gesetzt. Es herrscht ein großes Gefühl seelischer Angst in diesem riesigen, volksfestartigen Raum mit den Glühlämpchen und Tischen. In diesem Wirtshaus Lehninger bereitet sich die Ortsgruppe des republikanischen Schutzverbandes auf ihre „Italienische Nacht“ vor. Da sieht man dann viele Luftballons durch die Luft fliegen. Im Hintergrund spielt immer wieder wie gebetsmühlenhaft eine Blaskapelle auf. Und der von Elmar Roloff höchst emotional gemimte Ortsvorstand Stadtrat Ammetsberger will sich das Fest mit Tanz und Gesang von niemandem verderben lassen. Doch es kommt leider anders als geplant, da „die Weiber von den republikanischen Pflichten“ abhalten. „Kennst du noch einen gewissen Karl Marx?“ lautet da die rhetorische Frage. Man fürchtet sich vor dem Tagesbefehl der Faschisten. Sie feiern ihren „deutschen Tag“ mit einem Aufmarsch in der Stadt. Der junge Genosse Martin (immer präsent: David Müller) warnt vor der braunen Gefahr und wird aus dem Ortsvorstand ausgeschlossen, als er seinerseits zur Bewaffnung aufruft. Zwischen dem von Peer Oscar Musinowski sehr vielschichtig gespielten Karl und der von Nina Siewert ausdrucksvoll verkörperten Leni entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die schließlich glücklich in einer gemeinsamen Zukunft endet. Paula Skorupa spielt Anna als eine Frau, die zwischen den einzelnen Männern hin- und hergerissen ist und nie zur Ruhe kommt. Der Faschist Erich (sehr zwiespältig: Matthias Leja) fordert sie total heraus. Der Stadtrat ist schließlich davon überzeugt, „dass wir unser Schicksal überwunden haben“. Calixto Bieito gelingt es bei der abwechslungsreichen Inszenierung durchaus, den Aufruhr in der Gesellschaft plastisch darzustellen. Es kommt schließlich zur Eskalation, als das Denkmal des Kaisers beschmutzt wird. Die Faschisten machen die „Roten“ dafür verantwortlich, wollen den Stadtverband letztendlich verprügeln. Die Angst vor drohender Rache steigert dann auch die parodistischen Momente, die nicht zu kurz kommen. Der Faschist Erich zwingt den verzweifelten Stadtrat zuletzt, auf einem Zettel zu bestätigen, dass dieser „ein ganz gewöhnlicher Schweinehund“ sei. Daraufhin verliert dessen Frau Adele (mit innerer Bewegung: Christiane Roßbach) völlig die Fassung und beschimpft den Faschisten mit denselben Worten. Zuvor schon endete die „Italienische Nacht“ mit einem Missklang. Empfindliche Störungen machen das Fest kaputt, hinterlassen weinende Kinder, deren Ballettübungen einfach ausgebuht werden. Die Frage nach dem Glauben an Gott steht wiederholt im Raum. Man möchte bis zur Polizeistunde warten. Der Abend endet in tiefer Melancholie. Auch die „Italienische Nacht“ ist wie alle Stücke Ödön von Horvaths eine Tragödie. Der Autor verlangte von den Schauspielern auch immer wieder ein stilisiertes Spiel, das im Schauspielhaus in Stuttgart nicht verleugnet wird. Die Gesellschaft traut hier ihren Augen und Ohren nicht. Sie weiß nichts mit sich anzufangen. Das kommt bei der Inszenierung drastisch zur Geltung. Die Lebensunfähigkeit und Alltagsverzweiflung werden so auf die Spitze getrieben. In weiteren Rollen überzeugen Felix Strobel als Engelbert, Boris Burgstaller als Kranz, Michael Stiller als Betz, Klaus Rodewald als Wirt und Gabor Biedermann als Kamerad aus Magdeburg. Manche Passagen dieses Volksstücks hätte die Inszenierung noch greller beleuchten können. Doch der tiefere Sinngehalt dieses hintersinnigen Werkes als Warnung vor absolutistischer Gewalt kommt doch deutlich zum Vorschein. Und es gibt einen Hoffnungsschimmer: Draußen vor dem Wirtshaus sind die Faschisten vor Martin (der wieder in den Vorstand aufgenommen wurde) und seinen Kameraden gewichen. Elmar Roloff als der von der Politik enttäuschte Stadtrat lässt die Erleichterung darüber auf der Bühne aufleuchten.  

Alexander Walther

 

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