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STUTTGART/Schauspielhaus: FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE von Erich Kästner

16.04.2022 | Theater

„Fabian oder der Gang vor die Hunde“ am 15. April 2022 im Schauspielhaus/STUTTGART 

„Ein drastisches Gesellschaftsbild“

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Gabor Biedermann. Foto: Thomas Aurin

„Was ich vor dreißig Jahren predigte, predige ich noch heute“, sagte der Schriftsteller Erich Kästner, der sich als letzter in Deutschland gebliebener Emigrant fühlte und dessen Bücher von den Nationalsoziaisten im Jahre 1933 verbrannt wurden. Er selbst bezeichnete sich als einen Urenkel der deutschen Aufklärung, „spinnefeind der unechten Tiefe“. Dies kommt auch in seinem satirischen Roman „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ zum Ausdruck, die jetzt in einer Bühnenfassung von Julia Robert ud Anna Veress zu sehen ist.

Die Inszenierung von Viktor Bodo stellt die Zeitbezüge grell und drastisch heraus, sie ist  temporeich und arbeitet geschickt mit mehreren Zeitebenen. Laut eigenen Worten wurde Kästner von Descartes, Kant, Schopenhauer, Swift, Lessing, Heine, Klabund und Ringelnatz beeinflusst. Auch diese Bezüge bringt die farbenreiche Inszenierung in einem klar strukturierten Bühnenbild von Juli Balazs und den bunten Kostümen von Fruszina Nagy zum Ausdruck. Diese „Geschichte eines Moralisten“ geht hier unter die Haut, denn das Berlin zur Zeit der Weimarer Republik ist deutlich erkennbar. Schon drohen dunkel die Vorzeichen der nationalsozialistischen Herrschaft. Die Gesellschaft betäubt sich in rauschhaften Nächten, Otto Dix lässt grüßen. Groteske Assoziationen finden sich in den Beziehungen dieser Figuren untereinander, die sich oft fremd bleiben. Dr. Jakob Fabian, der von seiner Firma schließlich gekündigt wird, erkundet die Bordelle, Künstlerateliers und Amüsierbetriebe der Stadt als nicht immer distanzierter Beobachter.

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Foto: Thomas Aurin

Erich Kästner wollte mit diesem Roman der Berliner Gesellschaft um 1930 einen „Zerrspiegel“ vorhalten, was diese jedoch nicht akzeptierte. Das Werk wurde heftig kritisiert. Berlin erscheint als eine Stadt, in der „im Osten das Verbrechen, im Zentrum die Gaunerei, im Norden das Elend, im Westen die Unzucht, und in allen Himmelsrichtungen der Untergang wohnt“. Fabian erlebt eine enttäuschende Liebe und den Freitod seines Freundes Labude aufgrund einer angeblich von der Universität abgelehnten Habilitationsschrift. Der intrigante Assistent Weckherlin bezeichnet die falsche Behauptung als einen „Scherz“, worauf Fabian zusammenbricht. Diese Szene gehört zu den dramatischen Höhepunkten dieses Abends. Die Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten verlaufen auf offener Bühne sehr heftig und verlagern sich sogar in den Zuschauerraum. Die Bühne mit ihren Stahlgerüsten dreht sich in gespenstischer Weise, der Untergrund des Nachtlebens fährt ganz realistisch nach oben – die Bühne hebt und senkt sich. Man sieht im Rotlicht eine nackte Frau, die sich als raffinierte Verführerin präsentiert. Oben herrscht dann reges Treiben auf dem Bahnhof, der „Kurfürstendamm“ fordert seinen Tribut. Fabian möchte selbst „Akteur im Welttheater“ werden. „Ich kann vieles und will nichts. Wozu soll ich vorwärtskommen? Wofür und wogegen?“ Auch als Träger einer Funktion fühlt er sich unbrauchbar. „Wo ist das System, in dem ich funktioneren kann? Es ist nicht da und nichts hat Sinn“, stellt er lakonisch fest. Nachdem der Held die Braut, den Freund und die Stellung verloren hat, ertrinkt er beim Versuch der Rettung eines Knaben, der sich selbst retten kann: „Ich ertrinke. Ich kann leider nicht schwimmen…“ Diese Inszenierung lässt Fabian seinen eigenen Tod erzählen. Außerdem wird der Kunstgriff vom Theater im Theater angewandt. Man wird als Zuschauer Zeuge einer Produktionsarbeit, bei der die Schauspieler auf offener Bühne ihre Rollen verkörpern und manchmal den Fortgang auch einfach abbrechen, um weiteren Anweisungen der Regie zu folgen. So steht Labude bei seiner eigenen Beerdigung schließlich neben dem Sarg, der feierlich hinausgetragen wird.  Eine starke Wirkung entfalten hier immer wieder die Gruppenszenen, bei denen auch revueartige Momente eine große Rolle spielen (Choreografie: Eva Duda). Dabei fesselt die packende Musik von Klaus von Heydenaber. Man nimmt sogar ein paar Takte aus Mascagnis Oper „Cavalleria rusticana“ wahr.  Gabor Biedermann als Fabian und Paula Skorupa als seine Freundin Cornelia Battenberg agieren als unglückliches Liebespaar, das sich schließlich aufgrund der ungünstigen Zeitumstände voneinander trennt. Eine starke Rolle hat Felix Strobel als Fabians Freund Stephan Labude, der seine seelische Ausweglosigkeit überzeugend darstellt. In weiteren Rollen gefallen Therese Dörr als mondäne Irene Moll, David Müller als verschlagener Conferencier bei Haupt sowie Gabriele Hintermaier (Frau Sommer, Frau Hohlfeld, Sängerin in der Cousine), Teresa Annina Korfmacher (Sekretärin, Paula bei Haupt, Selow, Leda), Sylvana Krappatsch (Sängerin, Ruth Reiter, Dame mit Paketen), Reinhard Mahlberg (Direktor Breitkopf, Wilhelmy, Makart, Professor), David Müller (Kellner, Conferencier bei Haupt, Nazi, Psychiater), Valentin Richter (Fischer, Kommunist, Zacharias, Weckherlin), Celina Rongen (Magdalena im Club, Sängerin bei Haupt, Kulp), Michael Stiller (Herr Moll, Münzer, Erfinder, Labudes Vater) sowie Joscha Eißen, Till Krüger, Anna Maria Zeilhofer und Liliana Merker in weiteren kleinen Rollen.

Es ist eine Inszenierung, in der es nicht viele Schwachstellen gibt. Vor allem das dramaturgische Gesamtkonzept hinterlässt einen bleibenden Eindruck, denn es gelingt Viktor Bodo tatsächlich, einen glaubwürdigen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Die Parallelen zu unserer Gegenwart sind offensichtlich.

Viel Beifall, „Bravo“-Rufe. 

Alexander Walther

 

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