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STUTTGART/ Schauspielhaus: DON JUAN von Moliere in der Inszenierung von Achim Freyer

19.06.2021 | Theater

Achim Freyer inszeniert Molieres „Don Juan“ im Schauspielhaus am 19. Juni 2021/STUTTGART

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Copyright: Monika Ritterhaus

Der Verführer als Marionette

 Interessant ist, wie Regie-Altmeister Achim Freyer diesen berühmtesten aller Verführer sieht. Auf jeden Fall auch als politischen Kopf, als Revolutionär, der sich über gesellschaftliche Grenzen hinwegsetzt. Seine Inszenierung besitzt durchaus opernhafte Elemente und ist rein handwerklich vielen anderen Arbeiten überlegen. Er hat hier ebenso Bühne und Kostüme übernommen. Die Gier der Männer nach den Frauen nimmt Freyer geradezu satirisch aufs Korn. Don Juan fürchtet bei ihm weder Gott noch die Welt. Gibt es für ihn irgendwann eine Erlösung? Aber er ist zu einer hilflosen Marionette geworden und spaltet sich in weibliche Personen auf. Man kann natürlich kritisieren, dass dies eine typisch männliche Sichtweise ist. Donna Elvira hat er aus dem Kloster entführt, geheiratet und dann verlassen. Don Juans Diener Skanarell begleitet seinen Herrn, der sich immer mehr in seine erotischen Abenteuer verstrickt und verheddert. Er setzt sich über alle Konventionen hinweg und glaubt weder an Himmel noch Hölle. So schwebt auch das Bühnenbild gleichsam in einer sphärenhaften Doppeldeutigkeit – und die ausgelassene Commedia dell’arte lässt immer wieder grüßen. Tücher und und Vorhänge werden auf- und zugezogen, ein weißer Hut liegt auf dem Boden. Eine „Pause“ findet nicht statt, obwohl das Schild während der Aufführung angezeigt wird. Im Hintergrund erkennt man eine fantastische Welt: Eine Kirche, eine Rakete, ein Schiff, ein Schloss. Und von oben herab sieht man den Torso von Gebeinen mit Kerzen – das wirkt alles surrealistisch, unheimlich. Es ist ein Fest der Masken, Skulpturen, schemenhaften Verkleidungen. Der Komtur entschwebt plötzlich in den Himmel. Don Juan ist nur für kurze Zeit ratlos. Er entkommt sogar der Rache von Donna Elviras Brüdern. Und Don Juan lacht auch über den Fluch seines Vaters Don Louis, der ihn wegen seines amoralischen Lebenwandels verurteilt. Auf dem Friedhof entdeckt er allerdings das Grab und die Statue des von ihm getöteten Komturs. Da stürzen Kreuze herab und rammen sich in den Boden. Eine gruselige Atmosphäre: Er lädt ihn zu sich ein. Achim Freyer verleugnet hier die gespenstischen Passagen dieses Lustspiels von Moliere nicht. Und die Hand des Komturs lässt ihn von da an nicht mehr los. Der steinerne Gast wird seine letzte Herausforderung, dann zerplatzt Don Juans Traum wie eine Bombe und alles ist voller Blut. Im Theater wird Don Juan eben vom Theatergott bestraft. Diese Tatsache arbeitet Achim Freyer mit einem wahrhaft ironischen Augenzwinkern heraus. Don Juan verschwindet schließlich durch eine Falltür und wird von den wütenden Frauen verflucht.

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Copyright: Monika Rittershaus

Doch in Achim Freyers Inszenierung ist er ebenso männlich wie weiblich, das ist der interessanteste Aspekt. Don Juan ist hier kein bloßer Verführer – für ihn ist Liebe ein Sakrileg. Er will Gott nur als Rivalen, gebärdet sich als aufmüpfiger Bruder des Marquis de Sade. Glückliche Paare möchte er unbedingt auseinanderbringen, was ihm jedoch nicht immer gelingen will. Die wichtigste Frage ist hier wohl, ob er wirklich nicht fähig zur Liebe ist. Dieser Frage geht Freyer vor allem bei der weiblichen Deutung dieser Figur in tiefsinniger Weise auf den Grund. Neben aller augenzwinkernden Ironie zeigt sich immer wieder auch die Verzweiflung dieses Protagonisten, der an seinem Leben scheitert. Natürlich gibt es hier musikalische Querverweise auf Mozarts „Don Giovanni“, wobei alle die berühmte Melodie des Verführers anstimmen. Aber zuweilen hört man den Verführer auch  seufzen: „Ich sterbe vor Liebe“. Eine aufregende neue Deutung dieses berühmten Stoffes, denn im Programmheft werden die berührenden portugiesischen Briefe  der Marianna Alcoforado zitiert. Zwar ist der Himmel zuletzt versöhnt und die Ehre der beleidigten Frauen gerächt, doch die vielgesichtige Figur des Herrn Sonntag als Gläubiger taucht immer wieder auf und stürzt den Verführer in tiefste Verwirrung. Als Diener Skanarell klagt der wandlungsfähige Matthias Leja zuletzt über den fehlenden Dank seines Herrn. Paula Skorupa, Celina Rongen, Josefin Feiler (Gesang) und Esther Lee steigern sich hier fulminant in die Rollen der gedemütigten Elviras hinein. Als Don Juan fungieren auch die Schauspielerinnen Lea Duchmann, Helga Lazar, Adeline Johanna Rüss und Anniek Vetter, die mit dem Traum eines unsteten Charakters nicht fertig werden. Klaus Rodewald mimt nuancenreich Don Louis und den reichlich verwirrten Herrn Sonntag. In weiteren Rollen überzeugen Valentin Richter als Peter,  Don Alonso und Commentur sowie Felix Strobel als Mathurine und Bettler. „Der Liebe wahres Glück ruht nur im Wechsel“ – an dieser Erkenntnis ist Don Juan zerbrochen.

Es gibt noch weitere Doppelrollen in dieser vielschichtigen Besetzung: Paula Skorupa mimt Don Carlos, Celina Rongen Charlotte.

Begeisterung im Publikum.    

Alexander Walther

 

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