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STUTTGART/ Schauspielhaus: Digital-Premiere des Theaterfilms „ge teilt“ (teile) mit dem Schauspiel/STUTTGART

15.06.2020 | Theater


Foto: Daniel Keller

Digital-Premiere des Theaterfilms „ge teilt“ (teile) am 14.6. mit dem Schauspiel/STUTTGART

Intimität und Emotion

 Nachdem die Premiere von „geteilt“ von Maria Milisavljevic als Koproduktion des Schauspiels Stuttgart mit der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst wegen Corona nicht staffinden konnte, entwickelte die Regissuerin Julia Prechsl mit ihrem Regieteam und der Videoabteilung des Schauspiels Stuttgart den Theater-Film „ge teilt“ (teile). Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen konnten die Dreharbeiten schließlich stattfinden. Herausgekommen ist eine stilistisch hervorragende Arbeit in der subtilen Inszenierung von Julia Prechsl (Kostüme: Olivia Rosendorfer; Bühne: Valentin Baumeister). Auch die suggestive Musik von Fiete Wachholtz passt sich dem Geschehen in eindrucksvoller Weise an.

Geschildert wird eine Vergewaltigung und deren tragische Folgen, wobei der Schwerpunkt insbesondere auf dem Geschehen danach liegt: „Sie kann ihren Körper nicht aus dieser Umarmung zerren. Und warum schreit sie nicht. Weil er gesagt hat, schrei nicht.“ Die Vergewaltigung wird verschwiegen: „Das ist keine Vergewaltigung.“ Der Täter und die Umwelt reden sich heraus, wie das so üblich ist. Man müsse erst das Sperma sehen. Die Protagonisten sind seit Jahren befreundet, haben ein Start-Up-Unternehmen gegründet. Nach einer Firmenfeier jedoch vergewaltigt der Mann die Frau. Damit kommt eine atemlose szenische Maschinerie in Gang, die durch raffinierte Schnitte und Zeitüberblendungen gekennzeichnet ist. Sie zeigt ihn an, doch er will die Situation gar nicht erst wahrhaben. Zwischendurch werden die Rollen getauscht und unter den Schauspierinnen und Schauspielern einfach aufgeteilt. Der Täter versucht, alles herunterzuspielen. Seine Frau beschwichtigt ebenfalls: „Es gehören immer zwei dazu. Wie viel hast du an dem Abend getrunken? Vielleicht zu viel? Willst du, dass er alles verliert, wofür er so hart gearbeitet hat. Denkst du gar nicht an seine Töchter?“ So wird die Freundin ganz bewusst unter Druck gesetzt. Schließlich erscheint der Vater als tröstende Stimme.

Das Stück geht auch der Frage nach, wie man als Betroffene überhaupt weiterleben kann. Der Frau werden als Opfer Lügen unterstellt. Einsamkeit, Rachegelüste und Selbstzweifel nehmen hier überhand. Und auch der Täter wird als „feiger Wichser“ beschimpft. Man sieht ein foliertes schwarzes Gestell mit vielen Kästchen, aus denen zuweilen Arme und Finger hervorragen. Das alles wirkt suggestiv und gespenstisch. Eine gesellschaftliche Verwelkung wird sehr drastisch dargestellt. Die Bühne dreht sich immer wieder: „Wenn ich Vögel beobachte, ist das wie Schnupfen“. Und die Figuren gehen in sich: „Unterbewusst hören wir ganz viel, was wir bewusst verdrängen…“ Hier verdichten sich auch die einzelnen Szenen in spannungsvoller Weise: „Der Kerl glaubt, er kann dich fressen! Ich krieche in sein Gehirn, fresse es…“ Die Frau, das Büro, die Anwältin, die ganze Welt werden schließlich von diesem Geschehen infiziert. Die Vergewaltigte ist verzweifelt: „Sag‘ mir, dass du dich vor mir ekelst!“ Es kommt zur Selbstzerfleischung: „Ich unterschreib‘ das nicht!“ Und die Ehefrau fordert ihren Mann energisch auf, Stellung zu nehmen: „Du hast nicht das Recht, das alles wegzuwerfen!“ Er kontert: „Ich hab‘ deine Freundin vergewaltigt!“

Der Regisseurin Julia Prechsl gelingt es ausgezeichnet, die dramaturgische Steigerung des Geschehens herauszuarbeiten. Dabei helfen ihr auch die jungen Schauspieler  Anna Caterina Fadda, Vera-Cosima Gutmann, Luise Harder, Fatih Kösoglu, Julian Mantaj, Theresa Mußmacher, Simon Rusch und Eduard Zhukov. „Ich werde mir keine Meinung bilden, nur Urteile“ – lautet das Credo. Es gibt wilde Spekulationen über die Vergewaltigte. Sie habe es darauf angelegt, habe mit ihrem Chef gevögelt. Sie sei total in ihn verliebt gewesen: „Der Typ hat das nicht nötig.“ Schließlich stellt der Vater den Täter zur Rede: „Sie haben sie misshandelt. Ihre Arbeit, Ihre Firma haben Sie ihr weggenommen!“ Letztendlich wird es den Täter die Leitung der Firma kosten: „Wagen Sie es nicht, von meiner Tochter zu sprechen!“ Sie soll in Zukunft in den Händen einer Frau liegen.

Die Autorin Maria Milisavljevic stellt alles auf den Kopf, übt scharfe Kritik an einer verlogenen Gesellschaft. Julia Prechsl folgt ihr in dieser subtilen Inszenierung aufs Wort. Dadurch ist auch in dieser gekürzten Version viel von der Substanz des Stückes erhalten geblieben. Die Gegenwart wird bei dieser Online-Premiere ganz bewusst hinterfragt. Und die Nachdenklichkeit der einzelnen Personen rückt plötzlich in ein grelles Licht. Man sieht die nackten, schaumbedeckten Oberkörper, über die das Dusch-Wasser unaufhörlich fließt. Die Vergewaltigte liegt schließlich auf dem Boden, herabfallende Blätter bedecken ihren Körper. Es ist auch ein erschütterndes Bild absoluter Hilflosigkeit, das den Zuschauer hier überfällt und überwältigt. Zwischendurch singt Simon Rusch noch verschiedene Songs. Die Tristheit des Geschehens kommt immer wieder drastisch zur Geltung. Das Stück will als Film offene Fragen hinterlassen. Der „digitale Stillstand“ wird hinterfragt.

Und der Film bleibt noch bis zum 19. Juli auf der Website des Schauspiels Stuttgart online. 

Alexander Walther

 

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