Christiane Roßbach, Thomas Sarbacher, Giovanni Funiati, Sven Prietz. Foto: Thomas Aurin
Premiere „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann im Schauspielhaus am 12.1.2019/STUTTGART „
KAMPF UM DAS LEBEN
„So haben sie denn mit all ihrer Humanität nichts anderes zuwege gebracht, als dass aus Lämmern über Nacht buchstäblich Wölfe werden„, heißt es in Gerhart Hauptmanns Schauspiel „Die Weber“, in dem es um den Weberaufstand von 1844 in Schlesien geht. Die Weber leben in Armut, sie leiden schrecklichen Hunger. Durch den Einsatz mechanischer Webstühle fallen die Löhne weiter – deswegen wächst die Wut der Arbeiter ins Unermessliche. Der Regisseur Georg Schmiedleitner hat dies in seiner weiträumigen Inszenierung überzeugend herausgearbeitet. Da tragen die Arbeiter das Haus des ganz in Gold gekleideten Fabrikanten Dreißiger mit letzter Kraft auf ihren Händen. Einer der jungen Weber setzt sich massiv zur Wehr und pocht auf sein Recht. Doch der Fabrikant Dreißiger, der gerne junge Mädchen verführt, und sein dienstbeflissener Angestellter Pfeifer jagen ihn rüde davon. Als sie die Löhne noch weiter nach unten drücken wollen, kennen Zorn und Verzweiflung der Weber keine Grenzen mehr. Der Webersohn Moritz Jäger sieht nur noch Gewalt als Lösung der Probleme. Die Gruppe der Weber rottet sich schließlich zu einer furchterregenden Menschenmasse zusammen. Mit dem Weberlied ruft er die Menge zum Kampf auf: „Hier im Ort ist ein Gericht, noch schlimmer als die Vehmen…“ Die Menschen gehen auf die Barrikaden, es gibt einen Volksaufstand. Kleidungsstücke werden hin- und hergeworfen. Einzelne Arbeiter stehen hier auf einem riesigen Kleiderberg. Man sieht das käfigähnliche Haus des Fabrikanten Dreißiger, das von der wütenden Menschenmasse schließlich gestürmt wird. Das sieht so aus, als wäre man auf der Titanic. Das Haus wird plötzlich zum sinkenden Schiff.
Thomas Sarbacher, Ensemble, Jannik Mühlenweg. Foto: Thomas Aurin
Thomas Sarbacher mimt den Fabrikanten Dreißiger mit allen emotionalen Facetten. Zuletzt wird Mielchens Großvater von Salven tödlich getroffen: „Es kann einem ja ordentlich Angst werden...“ Dass die zentralen Figuren des Stückes die Weber an sich sind, lässt Georg Schmiedleitner in seiner suggestiven und über weite Strecken auch gelungenen Inszenierung deutlich werden. Es gibt nur kleine Schwachstellen, die aber nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Die Personenführung könnte zuweilen noch direkter sein. Der Kampf um das Leben kommt jedenfalls packend über die Rampe. Leidensdruck und Kampfentschlossenheit lassen hier die Theaterbühne erbeben. In den Geschäftsräumen Dreißigers sind die Weber im ersten Akt noch ruhelos in Bewegung. Und in einer Ausschnittvergrößerung wird das Elend einer Weberfamilie im zweiten Akt auch in der Inszenierung von Georg Schmiedleitner dem Zuschauer drastisch vor Augen geführt.
Im dritten Akt kommt es dann zu einem weiteren gewaltigen Massenauftritt mit zahlreichen Wortgefechten. Der Zuschauer wird immer wieder mit heftigen Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit in Gestalt des Polizeiverwalters konfrontiert, den Michael Stiller mit schwankender Entschlossenheit verkörpert. Die Kontraste des vierten Aktes arbeitet Schmiedleitner (Bühne: Volker Hintermeier; Kostüme: Su Bühler) nuancenreich heraus. Eine entfesselte Wut ist nicht mehr zu bremsen. Die Bühne vibriert. Das kommt sehr gut zum Vorschein. Dafür sorgt auch die passende Musik von Sebastian Weisner. Im fünften Akt werden die Gegensätze und Kontraste dann am besten dargestellt. Die wütende Menge und der von Reinhard Mahlberg subtil dargestellte alte Hilse bilden den Schwerpunkt dieser Szene, die unter die Haut geht und betroffen macht. Der Kampf um das Leben hat seinen Siedepunkt erreicht.
Dass Hauptmann in erster Linie ein Dichter des sozialen Mitleids war, kommt plastisch zum Vorschein. Auch die Einflüsse Dostojewskijs lassen sich nicht verleugnen. Der Chor der Weber erreicht schließlich eine gewaltige Größe wie in der griechischen Tragödie (Chorleitung: Claudia Sendlinger). Georg Schmiedleitner entgeht hier glücklicherweise der Gefahr, dieses Schauspiel wie eine szenische Reportage erscheinen zu lassen. Christiane Roßbach spielt Frau Dreißiger sehr überzeugend als eine Matrone in Trance, die die Realität völlig verkennt und die drohende Gefahr durch die Weber unterschätzt. So taumelt die aufgescheuchte Fabrikantenfamilie atemlos hin und her. Dreißigers Angestellter Pfeifer wird von Giovanni Funiati zuweilen mit hilfloser Aggressivität verkörpert, die den Charakter der Rolle gut trifft. Peer Oscar Musinowski gestaltet den stürmischen Aufständischen Moritz Jäger mit ungestümer Heftigkeit. Anne-Marie Lux stellt das verführte Mädchen Emilie ebenfalls wie in Trance und in Zeitlupe dar. Das sind Szenen, die sich tief einprägen, weil sie ausgezeichnet umgesetzt werden.
In weiteren Rollen gefallen weitgehend Christiane Roßbach als Mutter Baumert und Frau Hilse, Michael Stiller als der alte Ansorge, Welzel und Hornig, Sven Prietz als Reisender und aufgebrachter Pastor Kittelhaus. Prägnant wirken zudem der rote Bäcker Gottlieb in Gestalt von Jannik Mühlenweg und der alte Baumert, Kutsche, Johann in der Darstellung von Reinhard Mahlberg. Jelena Kunz zeigt als Frau Heinrich viele darstellerische Facetten. Mielchen wird bei den einzelnen Vorstellungen von Helene Schwarz und Laura Steinmayer verkörpert.
So gab es begeisterten Schlussapplaus für eine Inszenierung, die den bei Hauptmann so wichtigen dramaturgischen Spannungsbogen überzeugend trifft.
Alexander Walther