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STUTTGART/ Schauspielhaus: DER GOLDENE TOPF nach E.T.A Hoffmann. Premiere

19.05.2019 | Theater

Bildergebnis für stuttgart schauspielhaus der goldene topf
Foto: Monika Rittershaus

Premiere von „Der goldene Topf“ am 18.5.2019 im Schauspielhaus/STUTTGART

BUNTES, FEURIGES BILDERWELTSPEKTAKEL

 Mit unglaublichen Bilderfluten und tausend Einfällen überrascht Achim Freyer bei seiner überaus fantasievollen Inszenierung von E.T.A. Hoffmanns Märchen-Erzählung „Der goldene Topf“, die er in facettenreicher Weise nacherzählt. Die von Hoffmann oft empfundene Übereinkunft von Farben, Tönen und Düften erreicht hier den Zuschauer in unmittelbarer Weise.

Am Himmelfahrtstag stolpert der Student Anselmus über den Marktkorb eines Apfelweibes und wird von der Alten verflucht. Ein Lichtstrahl zuckt durch das Bühnenbild, Kugeln rollen wild durcheinander, schaffen eine kurze Atempause. Nebel wird sichtbar. Alles wirkt elektrisierend und auch geheimnisvoll. Unter einem Holunderbusch sitzend bedauert Anselmus sein Missgeschick. Und er hört plötzlich die überaus verführerischen Stimmen von drei Schlangen, die ihn betören. Dabei verliebt er sich in die blauen Augen von Serpentina. Sein Freund, Konrektor Paulmann, und dessen Tochter Veronika holen ihn zurück in die Realität. Veronika möchte Anselmus heiraten und ein geregeltes Leben an seiner Seite führen. Auch er wünscht sich eine bürgerliche Existenz. Im Haus des Archivarius Lindhorst begegnet Anselmus jedoch erneut Serpentina und erliegt ihrer Magie. Im Hintergrund des skurrilen Bühnenbildes nimmt man eine Waldlichtung wahr, man sieht auch Totenköpfe. Und bei der Fahrt über die Elbe blitzt ein Kristallgerüst auf. Man hört die Arie der „Königin der Nacht“ aus Mozarts „Zauberflöte“ mit der schrillen Stimme von Florence Foster-Jenkins, Tiger und Hund sind ebenfalls präsent mitsamt einer grotesk übersteigerten Tierwelt, die sich selbstständig macht. Zwischen Feuer-Sequenzen fragt sich Anselmus schließlich, ob er denn in einem Tollhaus sei. Hoffmanns Punsch-Komplex kommt bei dieser Inszenierung ebenfalls zur Sprache.

Alles geschieht wie in Trance, die Figuren feiern aber auch ein Fest der Liebe und des Glückes. Anselmus ist auf der Suche nach dem goldenen Topf, den er erringen will. Die feenhafte und wunderbare Welt der Märchen feiert bei dieser Version von Achim Freyer wahre Triumphe (Mitarbeit Kostüme: Sebastian Sommer; Mitarbeit Bühne: Moritz Nitsche, Petra Weikert; Mitarbeit Kostüme: Wicke Naujoks). Auch die Musik von Alvin Curran und die Video-Sequenzen von Jakob Klaffs und Hugo Reis passen gut zur Bildwelt des Unterbewusstseins bei E.T.A. Hoffmann.

Das Traumbild des Märchens beweist dabei die Nähe zur magischen Wunderwelt. Hoffmanns Talentreichtum spiegelt sich in dieser überzeugenden Inszenierung wider, es ist eine doppelbödige und unheimliche Welt, die hier das Publikum fesselt. Das fängt schon im Foyer an, wo man gleich zu Beginn schräge Blasmusik und seltsames Wolfsgeheul hört. Da befindet sich der „günstige Leser“ sofort in der Welt des „Gespenster-Hoffmann“. Der Zwiespalt seiner dichterischen Natur zeigt sich auch bei Achim Freyer sehr deutlich in der „dritten Vigilie“, wo der Archivarius Lindhorst Nachrichten von seiner Familie gibt. Die Rede ist hier von der Urmutter Sonne und dem Jüngling Phosphorus und der Feuerlilie. Romantische Naturphilosophie und Symbolik lassen in dieser Inszenierung nicht lange auf sich warten. Der Geist schaut auch hier auf das Wasser, die Sonne nimmt das sich emporhebende Tal in ihren mütterlichen Schoß auf. Auf der Bühne scheinen tausend Keime aus dem Garten zu sprießen. So können sich die Geschöpfe der mythischen Urwelt bestens entfalten. Die Feuerlilie bricht aus dem schwarzen Hügel hervor. Die Sehnsucht nach einem höheren Leben ist dabei in allen Wesen verborgen. Der Wunsch der Lilie ist der gedankliche Funke. Auch die feindlichen dämonischen Mächte spricht Achim Freyer in seiner farbenreichen Inszenierung an, die sich immer wieder in einzelnde Motive aufzuspalten scheint. Die grüne Schlange ist zugleich das Selbstbewusstsein und die Reflexion, die einst den Geist des Menschen zur Selbstläuterung brachte. Geist und Sinne finden auch hier zu einer neuen, zweiten Unschuld in der Liebe. Die blühende Pracht der Bilder und Töne macht sich insbesondere in der dritten, achten und zwölften Vigilie bemerkbar. Die biedermeierliche Umwelt wird hier von Achim Freyer ins Groteske und Absonderliche verfremdet. Traum und Rausch scheinen im Wahnsinn zu enden. Und die Spannung steigert sich bis zum Schluss.

Das ist auch das Verdienst der vorzüglichen Schauspieler Boris Burgstaller, Gabriele Hintermaier, Ulrich Hoppe, Amina Merai, David Müller, Valentin Richter, Sven Prietz, Paula Skorupa und Felix Strobel, die virtuos in viele Rollen schlüpfen. So kommt es auch hier zu einem glücklichen Happy End, denn Anselmus heiratet Serpentina, um künftig glücklich im Zauberland Atlantis zu leben. Veronika erhält von Heerbrand (der anstatt Anselmus inzwischen Hofrat geworden ist) einen Heiratsantrag und nimmt ihn trotz innerer Zerrissenheit und Gefühlen für Anselmus an.
Achim Freyer möchte dem Zuschauer einen ganz bewussten Zugang zur zauberhaften Poesie schaffen, wobei hier deutliche Assoziationen zu seiner Stuttgarter „Freischütz“-Inszenierung geschaffen werden. Das Ganze wird noch deutlich übersteigert und verfremdet. Dafür sorgen zudem Anne-Maria Hölscher (Akkordeon) und Bernd Settelmeyer (Percussion). Der Zeichner und Karikaturist Hoffmann scheint sich in diesem fantastischen Zauberreich zu spiegeln, wo die Figuren durch die Lüfte fliegen. Jubel für das gesamte Team.

Alexander Walther          

 

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