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STUTTGART/ Schauspielhaus: DAS 1. EVANGELIUM frei nach Matthäus von Kay Voges. Passionen unserer Welt.

20.01.2018 | Theater

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Copyright: JU

„Das 1. Evangelium frei nach Matthäus“ am 19. Januar 2018 im Schauspielhaus/STUTTGART

PASSIONEN UNSERER WELT

Natürlich ist es ein Wagnis, Bibeltexte auf die Bühne zu bringen. Der Regisseur Kay Voges ist es dennoch eingegangen. Gleich zu Beginn befindet man sich in einem roten Zuschauerraum, umfangen von Weihrauchduft. Voges macht sich im weiträumigen Bühnenbild von Michael Sieberock-Serafimowitsch auf die Spuren des Matthäus-Evangeliums, von Bachs „Passionen“ und der Verfilmung von Pier Paolo Pasolini, der auch zitiert wird: „Der Tod vollendet die gewaltige Montage unseres Lebens„.

Als homosexueller Kommunist wurde Pasolini aus seiner kleinen Gemeinde vertrieben, weil er sich nicht in die Gesellschaft einfügte. Der Ur-Mythos des Neuen Testaments kann bei dieser Inszenierung aber nur schwer aufleben, weil es sich eigentlich nur um Filmdreharbeiten handelt, die der von Paul Grill zuweilen cholerisch gespielte Regisseur Fred in geradezu paranoidem Wahn steuert. Verschiedene Geburtsvorgänge erlebt man in fieberhaftem Wahn mit – und auch der verzweifelte Schrei des Todes begleitet hier das bewegende Leben von Jesus von Nazareth, den Julischka Eichel mit viel Emotionalität mimt. Voges greift auch immer wieder darauf zurück, dass Pasolini Jesus bewusst als menschliche Figur inszenierte. In Filmausschnitten sieht man Luis Bunuels „Andalusischen Hund“ mit dem berühmt-berüchtigten Augenschnitt – und man nimmt auch die Versuchung Jesu durch Satan in geradezu psychotisch-panischen Szenen wahr: „Stürze dich hinab!“ Es sind viele Kopfgeburten, die da auf den Zuschauer pausenlos einstürzen. Erwähnt wird bei dieser zwar subtilen, zuweilen aber auch lärmenden Inszenierung zudem Fred Holland Day, der als einer der ersten Pioniere der amerikanischen Fotografie im Sommer 1898 auf einem Hügel mit Nachbarn eine Passionsserie drehte. Er selbst übernahm die Rolle Jesu Christi. Parallel zur Passionsgeschichte gibt es hier das „Live-Making of“ dieser Inszenierung. Kunst, Theater, Film und Liturgie werden immer wieder wild durcheinandergewirbelt, einmal erscheinen sogar Superman und Micky Mouse. Doch diese Szenen grenzen gefährlich an reinen Klamauk, der nicht so recht zum Thema passen will. Die Passionen unserer Welt werden hier gleichwohl in durchaus eindringlichen Bildern erzählt, die sich ins Gedächtnis des Zuschauers einprägen. Das Theater ist hier tatsächlich die Kirche der Zweifler. Raum und Zeit sind bewusst so angelegt, dass die Zuschauer ihre eigene Geschichte entwickeln können. Zwischen dem „Vater unser“ sieht man in Filmsequenzen die „Mutter Gottes“ in raffinierter Zeitlupe. Auf der drehbaren Bühne nimmt man auch wiederholt Jesus am Kreuz wahr, dazu gibt es verschiedene Pieta-Figuren. Religiöse Motive werden plötzlich zu alptraumhaften Erlebnissen.

Dabei kommen Zweifel auf, inwiefern diese Geschichte des Leidens und der Leidenschaft die Menschen wirklich betrifft. Und der Regisseur gerät bei der Aufführung auch in Streit mit seinen Darstellern, die von den einzelnen Rollen eine andere Auffassung haben. Der Schmerz wird zur heftigen Obsession. Und die Kunst fordert Liebe, Auslieferung und Schmerz, der sich manchmal zu einer ungeheuren Intensität steigern kann. Darin besteht die Stärke dieser nicht immer gelungenen Regieaarbeit. Am meisten überzeugen die interessanten Bezüge zur Ikonografie, die Kay Voges ganz bewusst herstellt. Sie wird gleichsam zum Machtmittel, das Sichtbarmachen der Herstellung von suggestiven Bildern auf der Bühne lässt die Schauspieler manchmal in einen wahnhaften Rausch fallen, der elektrisierend wirkt. So hört man die bekannten Texte gleichsam neu und ungewohnt. Pasolini und Fred Holland Day sind hier die Paten für die Auseinandersetzung auf der Bühne. So entsteht eine Geschichte des Weglassens und Verstärkens. Jahrtausendealte Bilder scheinen plötzlich in geheimnisvoller Weise wieder aufzuleben. Das zeigt sich insbesondere bei den Szenen um Prinzessin Salome, König Herodes und Johannes den Täufer. Berit Jentzsch (Salome) und Peer Oscar Musinowski als Johannes der Täufer bieten dabei beklemmende Szenen. So fragt Salome den toten Johannes am Telefon, warum er sie nicht seinen Mund küssen ließ. Es kommt auch zum Tanz Salomes vor König Herodes. Zuletzt sieht man die Königstochter mit dem abgeschlagenen Kopf von Johannes dem Täufer. Unwillkürlich erinnert man sich hier an die Oper von Richard Strauss.

Doch die Musik von Paul Wallfisch spricht eine ganz andere Sprache. Neben der Bergpredigt gewinnt auch die Szene mit dem Abendmahl und der Verrat des Judas eine große Bedeutung (Videodesign: Robi Voigt; Kostüme: Mona Ulrich; Director of Photography: Voxi Bärenklau; Live-Ton-Sampling: Philip Roscher). Rahel Ohm schafft als Engel Gabriel eine mystische Aura im Theatersaal. Alles scheint sich in Trance zu befinden. Pontius Pilatus wäscht seine hände zwischen Palmen, Säulen und einer restauranthaften Bar in Unschuld. Mit ihrer Live-Kamera agieren Tobias Dusche und Daniel Keller und halten die Darsteller immer in Atem. Ton-Angler sind Max Brunner, Eva Dörr (Soufflage: Mirjam Dienst). Man erlebt die Menschwerdung und letztendliche Kreuzigung Jesu Christi hautnah mit.

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In weiteren Rollen fesseln durchaus Holger Stockhaus als Produzent Hans Werner Rhodes, Manolo Bertling als Judas und Freds Freund, Marietta Meguid als Maria I und Freds Mutter, Abak Safaei-Rad als Maria II und Kostümbildnerin, Christian Czeremnych als Thomas, der Ungläubige, Ferdinand Lehmann als Lichtdesigner Adam und Stuntman, Inga Behring als Regieassistentin Inga, Kim Vanessa Földing als Maggie und Maria Magdalena, Philippe Thelen als Johannes, der Jünger, Nurettin Kalfa als Jessy und Jesus-Double, Milan Gather als Ariel (Special Effects) und Christopher Vantis als Chris und Bühnentechniker. Und als Freds Freundin ist noch Julischka Eichel zu sehen.

Kay Voges schafft einen Raum der Überfülle, der die Zuschauer in seiner prallen Bildhaftigkeit aber manchmal auch überfordert. Zwei Bilder treffen aufeinander und es entsteht plötzlich ein Drittes. Die Gedanken von Gilles Deleuze „Über Film und Glaube“ spielen ebenfalls eine Rolle. Die Macht des modernen Kinos soll den Menschen ihren Glauben wieder zurückgeben. Der Glaube der Heiligen ist im Begriff, auf die Seite des Atheismus zu wechseln. Zuweilen gehen die Darsteller aber auch völlig in ihren Rollen auf. „Der Tod vollendet die gewaltige Montage unseres Lebens“, so Pasolini. Der Künstler wird zum Schmerzensmann.

Starker Schlussapplaus.

Alexander Walther

 

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