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STUTTGART/ Schauspielhaus: „CYRANO DE BERGERAC“. Premiere

08.12.2024 | Theater

Premiere „Cyrano de Bergerac“ am 7.12.2024 im Schauspielhaus/STUTTGART

Wie eine seelische Wunde

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Felix Strobl, Matthias Leja. Foto: Toni Suter

Natürlich denkt man hier auch an den Film mit Gerard Depardieu. Burkhard C. Kosminski hat die Bühne in verschiedene Räumlichkeiten aufgeteilt. Bühne und Video von Florian Etti spielen virtuos mit seelischen Prozessen. Und die Schauspieler sitzen ebenso im Zuschauerraum, applaudieren, gestikulieren, rufen, schreien. In dieser Bühnenfassung des britischen Autors Martin Crimp frei nach Edmond Rostand zeigen sich Wort und Degen durchaus von ihrer scharfen Seite. Lautstarke Eingriffe in Theatervorstellungen nehmen hier plötzlich in elektrisierender Weise Gestalt an. Und Matthias Leja beherrscht als unglücklich liebender Cyrano de Bergerac mit seiner viel zu langen Nase die Szenerie. Seine von Josephine Köhler hervorragend gespielte Angebetete Roxane treibt ihn zur Verzweiflung, lässt ihn ein hilfloses „Ich liebe dich“ stammeln. Er fantasiert, träumt davon, die Geliebte in Brand zu setzen.

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Reinhard Mahlberg, Mattias Leja, David Müller. Foto: Toni Suter

Die Darsteller  kommen in der subtilen Regie von Burkhard C. Kosminski tatsächlich nicht zur Ruhe. Die Facetten der jungen Kadetten lassen Cyrano oftmals hilflos zurück – Dichtkunst und Kampfgeist machen ihn in der Pariser Gesellschaft zum Unikum. Sein eigentlich weiches Herz leidet, denn die schöne Roxane liebt den ausgesprochen attraktiven Christian, den Felix Strobel nicht ohne innere Leidenschaft mimt. Cyrano muss erkennen, dass Roxane genau das an dem anderen liebt, was ihm selbst fehlt. De Guiche, der in der Gunst des Kardinals Richelieu steht, sieht seine Chance gekommen, als der Krieg ausbricht und er die beiden Soldaten Christian und Cyrano an die Front schickt. Er bezeichnet Cyrano als „egoman und narzisstisch“. Die schlaue Roxane verhindert aber auch hier ein Liebesabenteuer. Denn bei diesem Verehrer fehlt ihr die Liebeslyrik – so kehrt sie immer wieder hilfesuchend zu Cyrano de Bergerac zurück. Beide wollen ihre Qualitäten sinnvoll vereinigen und schließen einen Pakt. Cyrano stellt sich gekränkt in den Dienst seines Kameraden, seine Liebesschwüre werden nicht ohne Humor vorgetragen. Verschiedene Stimmen aus dem Ensemble begleiten immer wieder seinen Weg. Sie skandieren rhythmisch eindringlich „Cy-ra-no! Cy-ra-no!“ Ehrlichkeit und Trug geraten plötzlich in gefährlicher Weise durcheinander. Das Frankreich Ludwig XIII. wird teilweise in entsprechenden historischen Kostümen von Ute Lindenberg beschworen. Lediglich die Hip-Hop-Einlagen geraten gelegentlich  zu ausufernd. Hans Platzgumers Musik besitzt aber durchaus suggestive Momente, die gut zum szenischen Geschehen passen. Der im Jahre 1619 in Paris geborene Cyrano de Bergerac besitzt hier etwas Barock-Zeitloses, er hat Schwierigkeiten mit der überbordenden Lebenslust dieser Epoche.  Er sieht sich wohl selbst als Freigeist und Libertin: „Ich hab einen Vorschlag – wir kriegen das hin – wir tun uns zusammen und bilden ein Team…“

In weiteren Rollen überzeugen Sven Prietz als De Guiche, Marco Massafra als Le Bret, Reinhard Mahlberg als Intendant/Priester sowie David Müller als Montfleury und Soldat. Im Bühnenhintergrund sieht man Fechtszenen, die die Wortgefechte in sinnvoller Weise ergänzen. Der Tod hat eine dominierende Rolle übernommen, doch die Liebe überlebt. Mit furiosen Battle-Rap-Versionen wird diese manchmal an die „Vier Musketiere“ erinnernde Mantel-und Degen-Geschichte überreich und zu viel gewürzt. Durch Cyranos Gedanken und Äußerungen, die er in seinen Briefen und im Namen von Christian an Roxane schreibt, wird Roxane allmählich klar, wen sie will. Die Liebe  zur selben Frau wird für Cyrano immer wieder zum Verhängnis – dadurch muss er sich mit seinen Konkurrenten zwangsläufig überwerfen: „Wer ficken kann, der kann auch fechten!“ Zuletzt wird Cyrano Opfer des Krieges. Er tritt verletzt auf die Bühne, die große blutende Wunde auf seinem Bauch ist nicht zu übersehen. Roxane bittet ihn verzweifelt, nicht weiterzusprechen und sein Schicksal zu schildern – doch vergeblich. „Ich brenne vor Liebe“, bekennt er.  Zuletzt verlässt er melancholisch diese bemerkenswerte, eigentlich unvergessliche Lebensbühne: „Der Held hat immer das letzte…“ Man weiß nicht, ob er im nächsten Moment stirbt oder nicht. Es ist eine sehenswerte Aufführung mit vielen szenischen Stärken und nur wenigen Schwächen.

Viel Schlussapplaus, „Bravo“-Rufe. 

Alexander Walther

 

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