Odysseus und Penelope jung: Aurora De Mori + Riccardo Ferlito in „Lamento“. Foto: Stuttgarter Ballett
„CREATIONS I – III“ 10.01.2020 (Schauspielhaus) – Musikalisch-tänzerische Gedankenspiele
Die Neugier des Stuttgarter Ballett-Publikums ist ungebrochen groß, so dass auch diese vorletzte von 7 Vorstellungen des im November uraufgeführten Programms vor ausverkauftem Haus stattfand und für jedes der drei Stücke mit differenziertem, aber letztlich anhaltend stürmischem Applaus endete.
In „IMPULS“ des Ersten Solisten Roman Novitzky waren es jetzt zwei Umbesetzungen, die der abstrakten Choreographie eine leicht veränderte Bewegungsausrichtung gaben. Vielleicht liegt es auch an der hier besonders stark wirkenden Spontaneität, die sich aus der großteils live auf der Bühne entstehenden Musik und der unmittelbaren Reaktion der Tänzerkörper ergeben. Was zunächst wie leichte Abänderungen oder Abwandlungen gegenüber der Premiere erscheint, erweist sich bei genauerem Hinsehen doch als Beeinflussung durch anders ausgeprägte Körper-Charaktere. Angelina Zuccarini setzt an vorderster Front stärkere, powervollere Akzente, ist präsenter und gleichzeitig irdischer, nicht ganz so flügelleicht wie ihre Kollegin. Bei den Männern ist es Timoor Afshar, der einen anderen Wind in seinen Einsatz hinein bringt, sich nicht ganz so nahtlos dem kleinen Ensemble anpasst und eigene freiere, indes nicht weniger markante Wege geht. Wie auch die übrigen der Uraufführungsbesetzung Aurora De Mori, Minji Nam, Ciro Ernesto Mansilla, Alessandro Giaquinto und Matteo Miccini reagieren sie auf die spektrenreiche, von Marc Strobel kreierte und live auf einer Rahmentrommel gespielte Percussion mit einer Mischung aus An- und Entspannung, greifen die Ausrichtung von Armen, Beinen und Kopf mal nacheinander, mal wie eine Eins synchron auf oder richten sich kurz solistisch, im Duo oder Trio aus. Die Vielfalt der Klänge, die sich aus der auf unterschiedlichste Arten bedienbaren Trommel ergeben, macht das dreiteilig strukturierte Werk zwischen weicher Marimba-Melodik und explosiver Attacke, und dank eines konzentrierten mit einem Lichtring und Kreisen arbeitenden Beleuchtungskonzepts im schwarz/weiß gehaltenen Bühnenraum wie auch in den Kostümen beim wiederholten Sehen durchgehend faszinierender.
Odysseus und Penelope reif: Rocio Aleman + Marti Fernandez Paixa in „Lamento“. Foto: Stuttgarter Ballett
Die Zusammenführung von Alter und Neuer Musik bestimmt „LAMENTO“ des freischaffenden Choreographen Andreas Heise und passt sehr gut zur Abstrahierung bzw. freien Interpretation des Mythos von Odysseus und Penelope. Monteverdis „Lamento“ zeitgenössisch überführt in eine zeitlos poetische Auftragskomposition von Bjarte Eike. Drei Paare verkörpern bzw. symbolisieren die drei Lebens-/Alters-Abschnitte des Paares, ihre anfangs glückliche Vereinigung, ihre 30järhige Trennung während des Trojanischen Krieges und ihre Wiedervereinigung mit Unterstützung der Göttin Athene. Rote Trikot-Überwürfe lassen die Paare in den dynamisch verzahnten klassischen und moderneren Bewegungsmustern nicht nur einzeln, sondern auch kombiniert mit ihren Alter egos der folgenden Lebensphasen sehr gut zur Geltung kommen, wovon auch die Alternativ-Besetzung profitiert. Eine lohnende Aufgabe für das junge, sich schön frei tanzende Paar Aurora De Mori und dem Eleven Riccardo Ferlito, das etwas erdenschwerere Paar der langen Trennung Elisa Ghisalberti und Timoor Afshaar sowie das reife, mit entsprechend mehr Persönlichkeit und tänzerischer Erfahrung wirkende Paar Rocio Aleman und Marti Fernandez Paixa. Als Athene zieht Daiana Ruiz zwischen den Paaren ihre eingreifenden Bahnen, bisweilen zu kurzen skulpturellen Einstellungen mit diesen verschränkt.
Die vorherrschende Musikalität der Choreographie (Heise hat nicht umsonst u.a. unter Uwe Scholz Leitung in Leipzig getanzt) kann nicht immer ganz verbergen, dass eine konkretere Erzählung bei dieser geschichtlichen Vorlage die Interpreten noch weitaus lohnender hätte herausfordern können.
Idee und szenischer Ansatz von „CALMA APPARENTE“ des Halbsolisten Fabio Adorisio bergen ein großes Bühnenpotential, doch findet der Italiener erst nach etwas zu viel wiederholten Bewegungsmustern zu einem unleugbar starken Ende. Nach einer Naturkatastrophe oder Krieg arrangieren sich die unter einem herunter gefallenen Vorhang heraus gespülten Überlebenden mit dem erreichten Frieden, doch Ruhe ist titelgemäß nicht wirklich eingekehrt, mit einer neuen Katastrophe donnert wieder ein wie die Kostüme blau-grau gehaltener Vorhang von oben herab. Die rhythmisch eindringlich nervigen Musikeingaben von Kevin Keller und Bryce Dessner passen zur Thematik und treiben die Choreographie gehörig, nur eben etwas zu lange ausufernd voran, bis die Bearbeitung einer Händel-Sonate am Ende für eine neue, wieder nur scheinbare? Ruhe sorgt. Aus dem achtköpfigen Uraufführungs-Ensemble ( Elisa Badenes, Ami Morita, Daiana Ruiz, Rocio Aleman, Vittoria Girelli, David Moore, Christopher Kunzelmann ) ragt jetzt wieder Shaked Heller mit einem speziell ausgeprägten und expressiven Bewegungs-Profil heraus.
Trotz gewisser Einschränkungen ist das ein nach weiteren Wiederholungen rufendes Programm. Der Zuspruch jedenfalls war laut und deutlich genug.
Udo Klebes