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STUTTGART/ Schauspielhaus: „BLACK-BOX – Phantomtheater für 1 Person“. Premiere

15.07.2020 | Theater


Foto: Björn Klein

Premiere „Black Box – Phantomtheater für 1 Person“ am 14. Juli 2020 im Schauspielhaus/STUTTGART

Magie des leeren Theaters

„Welche Rolle spielen Sie?“ Dieser Frage geht Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) bei seiner Inszenierung konsequent nach. Die leeren Räume in verschiedenen Orten des Schauspielhauses stehen hier nicht nur für Stillstand und Ruhe, sondern auch für eine gewisse Faszination. Thematisiert wird dabei vor allem, dass die Theater monatelang leer standen und dass normale Aufführungen nicht möglich sind. Gleichzeitig stellt man fest, dass das Stuttgarter Publikum eigentlich recht brav ist. In leeren Räumen hallt so Vergangenes nach. Der Zuschauer wird von einer imaginären weiblichen Stimme via Kopfhörer wie ein Hund im Haus herumgeführt. Es werden pausenlos Anweisungen gegeben, die man dringend befolgen muss, um sich in diesem Labyrinth nicht zu verirren. Man darf nicht nur im Souffleurkasten Platz nehmen, sondern auch die spannenden Theaterarchive der letzten Jahrzehnte durchstöbern, im Lichtkegel alleine auf der Bühne stehen und sich vor dem Publikum verbeugen. Es entsteht eine fast rituelle Versammlungsfläche, die von Mitarbeitern und Experten des Schauspiels sowie von Anke Schubert (Stimme im Off: Sylvana Krappatsch) sprachlich illustriert wird.

Die Magie des leeren Theaters fordert aber auch ihren Tribut. Denn die Weltsimulationsmaschine Theater setzt sich unaufhaltsam in Bewegung, fordert den Zuschauer heraus, hetzt ihn von Tür zu Tür, lässt ihn auch im Treppenhaus keine Sekunde zur Ruhe kommen. Atemlos eilt er an den Werkstätten und Maskenbildnereien vorüber – und plötzlich spielt das ganze Haus nur für eine Person. Das hat auch etwas Zwanghaftes und Unnatürliches an sich, der Zuschauer ist ganz der imaginären Sprecherin ausgeliefert. Wie Tarkowskis Stalker geht er dabei durch die Flure. Bühne, Garderoben und Lichtbrücken lassen die Räumlichkeiten vor seinen Augen immer unheimlicher verschwimmen. Nichts ist mehr greifbar, alles fließt auseinander und soll sich dennoch zur Einheit fügen. Distanz und Isolation fordert die Gemeinschaft geradezu heraus. Selbst Philosophinnen kommen zu Wort, schwadronieren über die politische Bedeutung des Theaters. Erwin Piscator lässt grüßen. Es ist eine manchmal fast gespenstische Fahrt durch den Körper des Theaters. Am Mischpult zum Bühneneingang klebt das Bild von Albert Einstein. Die Streaming-Serie zwischen Probebühne, Elektro-Werkstatt, Dramaturgie-Archiv, Maske, Damen-Garderobe, Treppenhaus, Malsaal Galerie, Requisiten-Magazin, Kleinem Malsaal, Nähsaal, Galerie Beleuchtung, Schleuse, Unterbühne, Inspizientenpult, Bühne, Zuschauerraum und Foyer läuft irgendwie wie ein innerer Film ab. Das Publikum ist ihm völlig ausgeliefert. Gleichzeitig hofft man aber auch, dass das Theater nie verschwinden wird.

Die ganze Inszenierung ist eine ungewöhnliche Hommage und Liebeserklärung an das Schauspiel, das von der Pandemie gebeutelt wird. Immer wieder hofft man auf eine Art Deus ex Machina, der das Theater und die Kultur rettet. Insofern ist auch dieses „digitale“ Theaterprojekt gelungen. Und zuletzt gibt es sogar Applaus!

Alexander Walther

 

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