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STUTTGART/ Schauspielhaus: „AN UND AUS“ von Roland Schimmelpfennig

16.10.2021 | Theater

„An und aus“ im Schauspielhaus Stuttgart

...und die Welt ist verschwunden

„An und aus“ von Roland Schimmelpfennig am 15. 10. 2021 im Schauspielhaus/STUTTGART

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Michael Stiller, Katharina Hauter, Gabor Biedermann, Therese Dörr, Sebastian Röhrle. Foto: Julian Baumann

Es ist eine irgendwie doch sehr poetische Inszenierung, die Burkhard C. Kosminski (Bühne: Florian Etti; Kostüme: Lydia Kirchleitner) hier bietet. Manches erinnert sogar an Arthur Schnitzlers „Reigen“. Allerdings bleibt der große Skandal aus. Und es geht um ein kleines Hotel am Hafen. Jeden Montag treffen sich dabei Frau Z. und Herr A., Frau A. und Herr Y., Frau Y. und Herr Z. Es sind drei Paare. die sich untereinander betrügen. Das ist möglich, weil sie das Hotel immer nacheinander betreten. Da ist ein junger Mann, der alle Gäste kennt. Auch er ist verliebt, aber das Mädchen, das er liebt, arbeitet auf dem Berg und sie kann nicht weg. Auch auf der Bühne geht immer wieder das Licht aus und an. Es wird sogar an die Atomkatastrophe in Fukushima erinnert. Plötzlich hat Frau Z. zwei Köpfe und Herrn A. fehlt der Mund. Alles gerät wie in einem Wirbelsturm durcheinander, die Bühne dreht sich, unentwegt fallen Papierschnipsel herab. Man denkt, es schneit. Bilder und Abbildungen vermischen sich zwischen weißen Tüchern, oftmals herrscht nur noch Verwirrung. Zuweilen werden sogar Assoziationen zu Schiffssegeln geweckt. Das Herz von Herrn Y. brennt – und Frau A. versteinert. Das hat dann etwas Tragisches, Unausweichliches. Es gibt aber auch ein Mädchen, das mit dem Fahrrad durch die Nacht fährt und nach dem Jungen sucht: „Ich liebe ein Mädchen…“ Bilder werden hier unentwegt verglichen. Die Katastrophe in Fukushima kann man allerdings nicht abbilden. Aber im Stück wird sie thematisiert. Dann wird die Geschichte von der verliebten Biene und dem verliebten Walfisch erzählt, der die Sonne verschluckt und von dieser durch den Himmel getragen wird: „Sie liebten sich unendlich“. Und die Biene verschluckt den Mond: „Liebe auf den ersten Blick“. Das Bild von der  Welt bekommt seltsame Risse: „Ich bin plötzlich sehr alt geworden. Dann begann ich zu weinen. Mein Herzschlag findet in meinem Körper immer ein Echo“. Doch die herabfallenden Papierschnipsel bedeuten auch pausenlosen Regen: „Wenn es nicht so regnen würde, könnte ich bis zum Horizont sehen...“ Selbst ein erstickender Fisch wird hier dargestellt, die Natur scheint zu rebellieren. Und die Paare setzen ihre Betrügereien untereinander fort, schlüpfen in die weißen Tücher und erzeugen mit den Händen ein gewaltiges Gewitter. Und sie beichten ihre Probleme: „Mein Mann ist ein Idiot, er denkt nur an seinen Körper und an seine Firma.“ Es kommt zu einem akustischen Crescendo, das von zart-poetischer Klaviermusik abgelöst wird. Diese facettenreiche Klaviermusik interpretiert Anne-Marie Lux als Mädchen mit dem Fahrrad sehr ausdrucksvoll. In weiteren Rollen überzeugen Sven Prietz als träumender Junge mit der Brille, Michael Stiller als aufgeregter Mann ohne Mund, Evgenia Dodina als Frau aus Stein, Gabor Biedermann als Mann mit dem brennenden Herz, Therese Dörr als umtriebige Motte, Katharina Hauter als Cello spielende Frau mit den zwei Köpfen  sowie Sebastian Röhrle als toter Fisch. Der Chor stimmt dann „“Aus, an, aus“ an. Und die Wand mit den weißen Tüchern wird weiterbewegt. Die Wände  brechen schließlich zusammen, die Welt scheint unterzugehen. Die Frau aus Stein stellt fassungslos fest: „Ich frage mich, wie das alles kaputtgehen konnte!“ Dabei wirkt die ganze Welt wie aus Blei. Auch die Menschen scheinen zusammenzubrechen und zu sterben: „Die Welt ist verschwunden.“ 

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Foto: Julian Baumann

Diese Szene gelingt Burkhard C. Kosminski am besten, da dreht sich dann die Bühne unaufhörlich und immer schneller.  Gemeinsam mit Sebastian Röhrle sowie Katharina Hauter (Cello) und Anne-Marie Lux (Klavier) wird ein einfühlsamer Song mit der Musik von Hans Platzgumer  präsentiert. Bilder von wechselnden Paarbeziehungen bilden hier Ausschnitte, die sehr in die Tiefe gehen. Manches könnte auch rein psychologisch noch tiefschürfender sein. Doch die Bilder passen immer zum Text. Es ist diese gelungene Fusion von Musik und Poesie, die die Qualität dieser Inszenierung ausmacht. Zeitbezüge wie etwa zur Klimakrise werden bewusst hergestellt und beschworen. Man scheint die Folgen der Erderwärmung mit ihren CO2-Emissionen bei manchen Passagen förmlich zu spüren. Sie beeinflussen auch das Verhalten der  Menschen untereinander. Worte rufen hier auf jeden Fall Bilder wach. Das ist ganz im Sinne des Autors.

Alexander Walther

 

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