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STUTTGART/ Schauspiel Nord: PLATONOW nach Anton Tschechow

Der seltsame Intellektuelle

11.07.2019 | Theater


Leon Haller, Clara Liepsch, Hannes Buder. Foto: Björn Klein

STUTTGART: Premiere „PLATONOW“ nach Anton Tschechow am 10.7.2019 im Schauspiel Nord/STUTTGART

Der seltsame Intellektuelle

Ob Platonow bei Tschechow ein frustrierter Intellektueller ist, möchte die Inszenierung von Klemens Hegen gar nicht lösen (Kostüme: Josefin Kwon). Er sucht sich jedenfalls Zerstreuung in seltsamen und unerfüllten Liebesgeschichten. Und er möchte sich ganz klar den gesellschaftlichen Normen entziehen. Er kann und will für sich und andere keine Verantwortung übernehmen.

Statt dessen steht seine Andersartigkeit im Zentrum des Geschehens. Mit dem Ensemble von drei Schauspielern und einem Musiker wird das Textmaterial der Vorlage neu collagiert. Man möchte Tschechow mit heutigen Mitteln neu erzählbar machen. In Klemens Hegens Inszenierung am Schauspiel Stuttgart, die zugleich seine Abschlussarbeit im Studiengang Regie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg ist, wird dieses Stück zum Ausgangspunkt für eine Reflexion über Einsamkeit. Der junge Lehrer Platonow ist hinsichtlich der Liebe mehrerer Frauen eindeutig überfordert, Gleichzeitig wird seine Rolle in der subtilen Darstellung von Leon Haller, Clara Liepsch und Lia von Blarer aufgeteilt. Die recht kahle Bühne wird von einem kleinen Garten etwas lebendiger gemacht, in dessen Mitte der Cellist sitzt und spielt. Platonow sinniert über intellektuelle Frauen, die ihn nicht befriedigen. „Du bist ein großer Mann, doch vom Leben verstehst du nicht viel“, wird ihm vorgeworfen. Die Frauen haben ungeduldig auf ihn gewartet: „Wo bleibt Platonow?“ Gleichzeitig streitet man sich in heftiger Weise um geliehenes Geld. Die Beziehungen verkümmern: „Wo sind die Menschen?“ Tschechows „Platonow“ ist im Original  ein Stück in vier Akten, das mehr als 20 Personen versammelt.


Clara Liepsch. Foto: Björn Klein

Die Aufführung würde in ungekürzter Form etwa sieben Stunden dauern. Klemens Hegen hat diesen Text in seiner Kurzfassung erheblich zusammengestrichen. So dauert das Stück hier nur eine Stunde und zwanzig Minuten. Es werden andere Akzente gesetzt. Im Original wird der Lehrer Platonow zuletzt von einer eifersüchtigen Frau erschossen. Auch diese Version ist bei Hegen gestrichen worden. Die Protagonisten liegen am Schluss nur wie erschlagen am Boden und rechnen geradezu stoisch mit ihrem eigentlich verpfuschten Leben ab: „Gebt mir Wasser!“ Dekadenz, Verschuldung und sinnentleerter Zeitvertreib nehmen immer drastischere Formen an. Das arbeitet Klemens Hegen in seiner Inszenierung gut heraus und die Schauspieler folgen seinen Intentionen überzeugend.


Leon Haller, Lia von Blarer. Foto: Björn Klein

Aber es gibt in der Inszenierung auch Schwachstellen, die sich nicht so einfach kitten und überspielen lassen. So kommt beispielsweise das Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten zu kurz, besser gelingt dem Regisseur deren triste Kommunikationslosigkeit: „Wo sind die Menschen?“ Die Langeweile nimmt auch gefährliche Züge an: „Wenn du nicht willst, nehm‘ ich dich mit Gewalt!“ Die Frauen Anna und Sofja verirren sich ins Leere, können den orientierungslosen Platonow seelisch nicht auffangen. Doch die Frauen wehren sich: „Ich bin zu kostbar für ein kleines Abenteuer...“ Gleichzeitig kommt es zu verwirrenden Geständnissen: „Ich liebe dich„. Bei dieser Inszenierung zeigen vor allem die beiden jungen Schauspielerinnen ungewöhnliches darstellerisches Talent, das sehr entwicklungsfähig ist. Der realistische Symbolismus Tschechows bleibt bei der Inszenierung aber immer erkennbar, könnte aber bei einigen Passagen noch deutlicher sein.

Leo Tolstoi hat Tschechow immerhin als den russischsten der Russen bezeichnet, was gerade bei diesem melancholischen Stück offenkundig ist. Die Live-Musik von Hannes Buder unterstreicht diese Intention. Es gab auch „Bravo“-Rufe und freundlichen Beifall.

Alexander Walther        

 

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