„Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder im Schauspiel Stuttgart

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Film und Theater gehörten für Rainer Werner Fassbinder zusammen. Das Stück „Katzelmacher“ war sein künstlerischer Durchbruch, wurde 1968 am action-theater uraufgeführt und ein Jahr später verfilmt. Räumliche und personelle Möglichkeiten werden in Eugen Jebeleanus Inszenierung ausgelotet. Der rumänische Regisseur verlegt das Geschehen zunächst auf einen Sportplatz, wo junge Leute von einem Trainer bis zur Erschöpfung gedrillt werden. Wütend verschwinden einzelnen Protagonsten immer wieder im Wohnmobil, wo auch Vergewaltigungen stattfinden. Konflikte der europäischen Einwanderungsgesellschaften werden hier drastisch formuliert und dargestellt. Da kommt keine Langeweile auf. Bühne und Kostüme von Velica Panduru unterstreichen die hitzige Atmosphäre dieser Jugendlichen in einem Vorort in den 1960er Jahren. Diese jungen Leute leben ohne Vorbilder, streiten sich ständig, trinken. Hoffnungen werden begraben, Lebensträume haben keine Zukunft. Das bringen Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart sehr gut über die Rampe. Enttäuschung und Verzweiflung machen sich breit. Elisabeth meint lakonisch: „Mit der Faulheit ist nichts zu verdienen!“ Dann gibt es rasante Cha-Cha-Cha-Tanzszenen, bei denen die jungen Leute aus ihrer Tristesse ausbrechen wollen. Elisabeth steht plötzlich im Lichtkegel, Schnee fällt herab. Sie wird zum Spiegelbild jener Statue, die am Rande des Sportfeldes steht. Susanne Schieffer spielt diese Elisabeth mit einer Verletzlichkeit, die die Zuschauer berührt. Nurettin Kalfa mimt den griechischen Gastarbeiter Jorgos, von dem sich die Jugendlichen zunächst bedroht fühlen. Aber er verbreitet auch eine gewisse Faszination und Magie. Trotzdem wird er von der Gruppe heftig angegriffen, geboxt und geschlagen. Jannik Mühlenweg stellt die Künstlerin Gunda dar, die in einem grünen Glitzerkleid auftritt und einen Schlager präsentiert. Während die Statue mit Pfeilen beschossen wird, fällt Paul (heftig: Christopher Vantis) über Helga (furios: Kim Vanessa Földing) im Wohnmobil her, die Gewalttätigkeit eskaliert. Auf dem Sportplatz wird ein Seil mit einem Transparent aufgehängt: „I don’t just want you to love me“. Der Grieche stellt auf einmal die Ordnung der Gruppe infrage, die darauf sehr heftig und erbost reagiert. Man verdächtigt ihn als Kommunisten und droht ihm, dass für ihn hier nichts mehr gut werde. Gunda prügelt sich mit Bruno (ebenfalls sehr präsent: Milan Gather), der Grieche Jorgos zieht Aggressionen und Sehnsüchte dieser Gruppe geradezu magisch an. Der von Mark Ortel ungestüm dargestellte Franz wirft Elisabeth unwirsch vor, „dass du mit dem was gehabt hast“. Misstrauen und Vorwürfe prägen die Aktionen dieser unruhigen Gruppe im ersten Teil dieser Aufführung. Inga Behring verkörpert schließlich eindringlich Marie, die sich heftig in den Griechen verliebt. Die Situation eskaliert, denn sie ist eigentlich Erichs Freundin, der von Philippe Thelen mit eifersüchtiger Präsenz dargestellt wird. Die emotionale Verwahrlosung der Gruppe verbindet sich dabei mit Frustration, auch faschistische Tendenzen treten grell zutage. Der zweite Teil bringt dann eine berührende Annäherung der zunächst aggressiven Gruppe an den Griechen, die ihn als „Kommunistensau“ beschimpft hat. Der junge Grieche fällt aufgrund der ständigen Attacken allerdings in Ohnmacht, Blut spritzt über die Statue, die vorher angemalt wurde.
Es sind fast surrealistische Bilder, die sich der Regisseur Eugen Jebeleanu da einfallen lässt. „Der muss weg, eine Ordnung muss wieder her!“ lautet die Devise. Jorgos rebelliert heftig gegen die Gruppe: „Ich nix verstehen – alle ich bum-bum!“ Marie ist verzweifelt, sie verlangt einen Kuss von Jorgos. Doch der Grieche entzieht sich ihrer Liebe, für den Griechenland schön und Deutschland kalt ist. Gunda sammelt vom Publikum Geld für ihren Song „Träume“ ein, den Jannik Mühlenweg mit Nonchalance vorträgt. Eine leise Ironie bemächtigt sich dieser ungewöhnlichen Inszenierung, die zuweilen auch gewisse dramaturgische Schwächen aufweist. Dies betrifft vor allem die psychologische Glaubwürdigleit zwischen den Figuren. Franz weist Vorwürfe der Gruppe von sich: „Ich kann nichts dafür..“ Niemand will am Verschwinden des Griechen schuld sein, der am Schluss wieder auftaucht. Das ist überhaupt die stärkste Szene der ganzen Inszenierung. Denn in diesem Augenblick erfahren die jungen Leute eine neue Verbundenheit mit Jorgos, den sie zuvor so oft ablehnten. Fassbinders Notizen aus der bayrischen Provinz gehen in dieser Aufführung unter die Haut. Die Intoleranz und Borniertheit, mit der die Jugendlichen den Griechen verfolgen, verflüchtigt sich immer mehr. Selbst seine angebliche Über-Potenz wird hier zur Zielscheibe. Vor allem die lieblosen Partnerschaften attackiert der Regisseur Eugen Jebeleanu mit Intensität. Die sozialen Abhängigkeiten werden rücksichtslos bloßgestellt. Gassenjargon herrscht vor. Die jungen Leute sind Gefangene ihrer eigenen Sprache und Verhaltensweisen. Und sie können sich deswegen auch untereinander nicht richtig verständigen. Dies gelingt erst am Ende, als die Gruppe als Ganzes mit dem Griechen eine Einheit bildet. Als Sprechchor ist man hier plötzlich sehr stark, verkörpert vielleicht sogar humanistische Ideale. Dieser seltsame Wandlungsprozess fesselt die Zuschauer.
Begeisterter Schlussapplaus.