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STUTTGART/ Schauspiel Nord: „europa verteidigen“ von Konstantin Küspert am 4. Mai 2018
BLICK IN DIE VERGANGENHEIT
Dass von Europa mittlerweile nicht mehr viel übrig ist, macht dieses Stück in der temperamentvollen Inszenierung von Cornelia Maschner deutlich. Sie studierte Regie am Mozarteum in Salzburg.
Die Gesellschaft ist mittlerweile nicht mehr in der Lage, einen offenen Dialog zu führen. Zwischen einem Coca-Cola-Kasten, einem projizierten Wald im Hintergrund, Lampen, Tisch und Schrank bewegen sich die mit viel Spielwitz agierenden Schauspieler Milan Gather, Gabriele Hintermaier, Caroline Junghanns, Viktoria Miknevich und Michael Stiller überaus musikalisch und wandlungsfähig (Bühne: Helen Stichlmeir; Kostüme: Ottavia Troester).
Man stellt fest, dass die Briten es mit ihrem Brexit richtig gemacht haben. Doch Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind hoffnungslos auf der Strecke geblieben. Europa wird als Wirtschaftsraum teilweise humorvoll in Frage gestellt. Die Frage, wer es sich gemütlich machen darf und wer draußen bleiben muss, bleibt einfach ungeklärt. „Raus aus Bulgarien, raus aus der EU!“ lautet die unmittelbare Forderung. Und dann heißt es: „Komm ein bisschen mit nach Italien!“ Die „Festung Europa“ lässt sich nicht aufhalten.
Der Mythos Europa ist auch hier die Geschichte einer schönen jungen Frau, die vom Göttervater Zeus in Gestalt eines Stieres aus dem Libanon über das Meer entführt und am Strand von Kreta vergewaltigt wird. Obwohl sie ohne Hoffnung zurückbleibt, wird ihr doch eine große Zukunft vorausgesagt. „Festung Europa“, „Opfer Europa“ und „Mutter Europa“ werden in Küsperts Stück kunstvoll verzahnt. Man erwähnt Putin, Jelzin und Gorbatschow. „Mütterchen Russland“ erhält trotzdem kein sonderlich freundliches Gesicht. Die „mächtigen Lenker Roms“ werden suggestiv beschworen. Es ist eine verrückte Reise in die Antike. Die römischen Männer bewaffnen sich mit Speeren und Schildern. Ein Haufen Federn regnet auf die ungestümen Streiter herab, man beklagt militärische Fehlleistungen. Selbst ein randalierender Eisbär und ein Haifisch sind mit von der Partie. Der Eisbär nimmt den Schauspielern einfach das Mini-Klavier weg. Schließlich ist Land in Sicht, die Herrschaften philosophieren in vergnüglicher Weise über „McDonalds“, „Odol Plus“, „Jacobs Kaffee“ und „Mister Propper“. Da wird die Werbe-Mafia gehörig aufs Korn genommen. Man spricht davon, Juden und Muslime zu enthaupten, streitet sich wegen einer Gurke. Trotz mancher Durchhänger regiert überwiegend der Humor. Europa wird als einheitliche Familie jedoch bewusst in Frage gestellt.
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Plötzlich steht der 96jährige Förster Heinrich im Mittelpunkt: „Heinrich redet nicht viel…“ Zwischen Sirenengeheul und Discomusik finden die Protagonisten erst ganz allmählich zu sich selbst. Und Nicole stimmt plötzlich im Radio ihren Song „Ein bisschen Frieden“ an. Da wird es dann auf einmal gemütlicher. Vielleicht hätte die Inszenierung noch mehr Wirkungskraft, wenn mehr Zeit zum Innehalten und Nachdenken wäre. Insgesamt kann man jedoch von einem gelungenen Regie-Debüt sprechen. Die Musikeinlagen von Bobbi Fischer und die Video-Effekte von Jochen Gehrung tragen hierzu einiges bei (Choreographie: Belina Nasra Mohamed-Ali).
Die Probleme der Welt werden nicht gelöst, aber mit einer internationalen Brille betrachtet. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Alexander Walther