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STUTTGART/ Schauspiel Nord: „DAUMENREGELN von Iva Brdar

Lebensentwürfe und Träume

23.04.2018 | Theater


Lucie Emons, Yannik Mühlenweg, Nina Siewert. Copyright: Bjoern Klein

STUTTGART/ Schauspiel Nord: „DAUMENREGELN von Iva Brdar am 22.4.2018

LEBENSENTWÜRFE UND TRÄUME

 In diesem Stück von Iva Brdar in der abwechslungsreichen Regie von Wibke Schütt bilden Ana und Monika ein Team. Sie nehmen an einem Wettbewerb teil: „Herzlich willkommen…“ Das Publikum wird hier direkt angesprochen. Die beiden jungen Damen bilden so eine Gewinner-Combi. Sie trampen von ihrer schwedischen Heimat in Richtung Strezimirovci, einer geteilten Stadt auf der Grenze zwischen Bulgarien und Serbien. Die Vorzüge des zeitgenössischen Urbanismus werden so thematisiert. Auf einer Drehbühne bewegt sich die Handlung unaufhörlich fort. Das Team, das als erstes ankommt, gewinnt. Allerdings ist nur das Trampen erlaubt.

Zu Chopin-Musik diskutieren die beiden über die Wohnbaukrise: „Wir reisen gern!“ Lucie Emons, Jannik Mühlenweg und Nina Siewert agieren facettenreich in diesem Stück mit dem schwarz-kahlen Bühnenbild von Vanessa Sgarra und den durchaus fantasievollen Kostümen von Svea Schiemann. Hinzu kommen Sounddesign und Komposition von Justus Wilcken, die das atemlose Geschehen unterstreichen. Der Mann jammert, dass man ihm die Wohnung weggenommen hat. Die einzelnen Fahrten sind nicht so ungefährlich. Bei Gefahr darf man entweder lächeln oder einen Stein werfen. Alles geschieht nach dem Motto: Wenn du anfängst zu zweifeln, dann renn so schnell du kannst. Das gilt hier auch für Bewerbungsgespräche. Und der ausgestreckte Daumen bedeutet dabei jedes Mal ein Eindringen in eine fremde Lebenswelt. Geografisch wird dabei eine Fahrt von Nord nach Süd beschrieben, die Frauen sind  auf einer Reise von West nach Ost. Dabei werden sie von einem Verehrer gefragt, ob sie heiraten wollen. „Jetzt sind wir glücklich verheiratet“ lautet die Devise. Aber der Mann ist bald verschwunden und die Frauen bleiben alleine zurück. Ein Polizist möchte die beiden bei der weiteren Fahrt verhaften, doch die Frauen wehren sich: „Wir möchten jetzt hier aussteigen!“ Dabei erfährt man, dass dieser Polizist seine Frau wegen des katastrophalen Gesundheitssystems verloren hat. Ein Abendessen gerät fast zur Farce.


Nina Siewert, Lucie Emons. Copyright: Bjoern Klein

Dann gibt es den Mann ohne Finger. Weil er unter den verheerenden Arbeitsbedingungen leidet und dagegen protestieren möchte, hat er sich seinen Daumen abgehackt. „Daumenregeln“ von Iva Brdar erzählt auch in der suggestiven Inszenierung von Wibke Schütt von Begegnung, Konfrontation, Ignoranz und dem Aufprall radikal unterschiedlicher Tendenzen. Die Reise nach Serbien wird so zum Fanal und hinterlässt deutliche Spuren. Je näher die Autos ihrem Ziel kommen, desto deutlicher verschwimmen die Grenzen. Schließlich stellen Monika und Ana gemeinsam fest: „Wir sind da.“ Da gibt es dann kein Zurück mehr. Eine der Frauen glaubt, sich in einen Hund verwandelt zu haben und bekommt einen hysterischen Anfall. Und doch lautet das Fazit zuletzt: „Das Leben ist schön. Es besteht Hoffnung.“

Das Konzept des Stückes leidet etwas unter der Überfülle an Informationen, gelegentlich vermisst man auch einen stringenten roten Faden. Dennoch überzeugt das Spiel der drei Darsteller aufgrund starker Bühnenpräsenz. Die 1983 in Belgrad geborene Autorin Iva Brdar entwirft hier in jedem Fall ein ernstes und hintersinniges Bild von Europa, das nur schwer zusammenwächst. Die kämpferischen Figuren finden erst ganz langsam zu sich selbst. 

Alexander Walther

 

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