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STUTTGART: SALOME – Gnadenlos im Heute

09.12.2015 | Oper

Stuttgart „SALOME“ 8.12.2015 (Premiere 22.11.2015) – Gnadenlos im Heute

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 Jeder für sich mit seinem Ego – Matthias Klink (Herodes), Simone Schneider (Salome) und Claudia Mahnke (Herodias). Copyright: A.T.Schaefer

Bereits beim Betreten des Zuschauerraumes gewährt die offene hell erleuchtete Bühne einen Vorgeschmack auf das Kommende: Personal in Business-Kleidung vor Überwachungs-Computern in Herodes kalt schickem Luxus-Domizil, auf der Rückwand ablaufende Bilder wechselnder Fernsehprogramme. Vom Stück unabhängig evoziert dies wieder einmal die Bemerkung, dass damit das ungeschriebene Theatergesetz der spannenden Erwartung bis zum Beginn der Aufführung missachtet wird. Aber klar, unmissverständlich möchte Regisseur Kirill Serebrennikov damit sagen, dass es zwischen Realität und Theater keine Trennung gibt und wir Teil dieser auf der Bühne gezeigten Welt sind.

Als progressiver Vertreter der Kunst in seiner Heimat Russland braucht er im Westen keine Rücksichten zu nehmen. Das Problem seiner Inszenierung von Strauss Einakter nach dem Bühnenstück von Oscar Wilde liegt auch weniger in der Ansiedlung in der Gegenwart, zu der sich zweifellos genügend Parallelen herstellen lassen, auch wenn die eiskalte und farblose Sachlichkeit des Bühnenraumes ( Pierre Jorge Gonzalez ) mit Glaswänden, Metall-Stühlen und weißen Ledercouches so gar nichts von den in der Musik liegenden Düften der Schwüle des Orients aufgreift. Crux sind die fast unablässig bewegten Bilder, die zwischen aktuellen Nachrichten und Kriegsszenen sowie Vorgängen im Inneren des Hauses wechseln. Hier überspannt der auch im Filmsektor tätige Regisseur den Bogen und überschüttet unnötigerweise seine handwerklich sichere und in der Personenführung zusehends an Dichte gewinnende Arbeit mit auf Dauer nervenden Zutaten, die so gar keine Beziehung zur Handlung aufweisen.

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Salome mit dem Kopf des Jochanaan. Copyright: A.T. Schaefer

Verstärkte Konzentration auf das Geschehen ist so gefordert, und wem das gelingt, erlebt einen kurzweiligen, aufreibenden Abend, in dessen Zentrum Simone Schneiders kurz gesagt fulminantes Rollendebut als Salome steht. Zuletzt eine Respekt gebietend aristokratische Marschallin mit feinster vokaler Linie ist sie hier als verzogene Göre aus einer steinreichen Familie in schwarzen Leggins, Kapuzenjacke und Stiefeln kaum wieder zu erkennen. Was an Salome in dieser Aufmachung allseits so begehrlich sein soll, bleibt nebenbei gesagt schleierhaft. Über dieses Manko vermag sie mit transparenter Mimik und Bewegungspsychologie hinweg zu agieren und reichen vokalen Mitteln zwischen verführerischem und trotzigem Tonfall das ganze Spektrum auszufüllen. Ihr Sopran hat sich von der früheren Koloratur-Virtuosität zu einem üppigen, über eine breite Tiefe, eine gehaltvolle Mittellage und volle tragfähige Höhe gebietenden dramatischen Sopran entwickelt und dabei die Leichtigkeit eines flexiblen Tonansatzes nicht verloren. Salomes Willensdurchsetzung wird bei ihr auch zu einem vokalen Triumph, wenn sich ihre Stimme im Schluss-Monolog, wo sie das abgeschlagene Haupt Jochanaans in einer Tüte auf dem Tisch serviert bekommt, noch einmal zu das Orchester voll durchdringenden Ergüssen steigert. Explizit zu erwähnen ist auch ihre in diesem Fach nicht selbstverständliche deutliche Artikulation. Dass sie den Tanz nicht ausführen darf, weil dieser nur in der Vorstellung ihres verlangenden Stiefvaters stattfindet, die wertvollen instrumentalen acht Minuten aber geradezu nach einer choreographischen Umsetzung schreien, reißt ein Loch in das unablässig spannende Geschehen, das mit kurz angedeuteten Tänzchen und angedeutet lasziven Bewegungen einer spärlich gekleideten Party-Gesellschaft mit unleugbar einfallsreicher Lichtregie (Reinhard Traub) nur sehr dürftigen Ersatz findet.

Jochanaans Aufteilung in einen Sänger und einen Schauspieler als Zeichen von Salomes gespaltener Empfindung von verbaler Abstoßung und körperlicher Begierde ist eine geschickte Idee, um der historischen Gestalt des Propheten in einer heutigen Welt zu entgehen. Während sich Yasin El Harrouk in orangener Hose und freiem Oberkörper in der großen Auseinandersetzung ihr gegenüber an den Tisch setzt, steht der Sänger Iain Paterson links vorne an der Rampe vor einer Kamera und hat solchermaßen platziert wenig Mühe, seine Ansichten und Verkündigungen ungebremst und akustisch unbeeinträchtigt in den Zuschauerraum zu entsenden, zumal der diesjährige Bayreuth-Debutant mit leicht rauem, Raum füllendem und in der Höhe besonders gut sitzendem Bariton dem Part kaum etwas an Eindringlichkeit schuldig bleibt. Das tut auch Matthias Klink als Herodes nicht, es fasziniert vielmehr bei jeder neuen Rolle noch mehr, wie sich die bei aller Entwicklung lyrisch gebliebene Stimme, auch danke einer plastischen Textbehandlung, mit wandlungsreichem Ausdruck durchzusetzen vermag. Sein Herodes ist ein Psychopath mit feiner und gut dosierter Klinge.

Claudia Mahnkes mit klarem und hellem Mezzo-Material recht forsch und frisch deklamierte Herodias ist keine abgetakelte Fregatte, sondern eine in wechselnden Cocktail- und Partykleidern steckende blonde Frau im besten Alter, die verständlich macht, warum sie sich gleich zwei (Muskel bepackte) Lover zum Stelldichein ins im oberen Stockwerk hinter einer Glasscheibe sichtbare Bett holt

In den allesamt zu verschiedenen Angestellten mutierten Nebenrollen punktete eine Mischung aus Ensemble-Mitgliedern und Absolventen des Opernstudios: Gergely Nemeti als Narraboth mit leuchtend durchdringendem Tenor, Idunnu Münch als Page mit apart dunklem Timbre, Torsten Hofmann, Heinz Göhrig, Ian José Ramirez, Daniel Kluge und Eric Ander als ausgewogen sattelfeste, Mutter und Tochter auf der Couch ganz ordentlich bedrängende Juden, David Steffens und Guillaume Antoine als Wachmänner mit ordentlich sitzenden Bässen, Shigeo Ishino und Dominic Grosse als in feiner Livree servierende, stimmpotente Nazarener, Simon Stricker als Cappadocier und Esther Dierkes als Sklavin.

Roland Kluttig gelang es mit dem gut disponierten Staatsorchester Stuttgart die Bildhaftigkeit der Komposition, ihre freien Strukturen wie auch ihre melodiösen Aufschwünge mit Zunahme der Vorstellung mehr und deutlicher offen zu legen, die Partitur gleichsam als symphonisch eigenständig und dennoch untrennbar mit den Gesangsstimmen verwoben hörbar zu machen und ein Stück weit jene Atmosphäre herzustellen, die szenisch völlig ausgespart wurde,

Ob Herodes Befehl zur Tötung Salomes am Ende wirklich ausgeführt wird, bleibt offen als Verkündigung im Raum bzw. hinter einer Glaswand stehen, wo Herodes wie am Anfang Jochanaan nur als Erscheinung aufleuchtet. Einer der Wachmänner zückt zwar die Pistole und folgt Salome auf der Treppe nach oben, doch die abrupt niedersausenden Schlussakkorde bleiben vorerst nur eine Behauptung. Kein Wunder, dass zunächst Irritation herrschte, der Applaus erst langsam einsetzte und die Grade der Ovationen dann mit jedem weiteren (nicht vorhandenen) Vorhang zunahmen.

Ein zwiespältiges, musikalisch fesselndes Opernerlebnis.                           

Udo Klebes

 

 

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