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STUTTGART/ Opernhaus: „GALA 50 JAHRE JOHN CRANKO-SCHULE“. Jubiläum einer hart erkämpften Institution

02.12.2021 | Ballett/Tanz

Stuttgart

„GALA 50 JAHRE JOHN CRANKO-SCHULE“ 1.12. 2021 (Opernhaus) –

Jubiläum einer hart erkämpften Institution

Mit viel Glück konnte die renommierte Schule die 50.Wiederkehr ihrer Eröffnung am 1.12.1971 mit einem Gala-Programm im vorschriftsmäßig nur zur Hälfte besetzten, ursprünglich ausverkauften Opernhaus feiern. Immerhin tat dies der begeisterten Stimmung des Publikums aus vielen Weggefährten, ehemaligen Absolventen und treuen Ballettfreunden keinen Abbruch.

Eröffnet wurde der Abend mit einem Fernsehbeitrag des damaligen Süddeutschen Rundfunks über die Einweihung des ersten Schulgebäudes in der Urbanstrasse. Rund zehn Jahre hatte der Begründer des Stuttgarter Ballettwunders John Cranko an der Seite des damaligen Staatstheater-Generalintendanten Walter Erich Schäfer um die Errichtung einer solchen Institution gerungen, die es ermöglichen sollte, den Nachwuchs für das Stuttgarter Ballett vor Ort zu züchten: die erste westdeutsche Einrichtung einer Ausbildung in klassischem Bühnentanz in Form eines Internats mit staatlichem Diplom-Abschluss. Nach dem Tod Crankos wurde aus der Ballettschule der Württembergischen Staatstheater die John Cranko-Schule und schon bald eine der führenden und begehrten internationalen Stätten für die Sicherung künftiger Ballettgenerationen.

Etwa genauso lange musste rund vierzig Jahre später der langjährige Ballettintendant Reid Anderson um einen Neubau kämpfen – das alte Gebäude war den gewachsenen Bedingungen wie auch dem Ruf der Schule nicht mehr angemessen.

Im Herbst 2020 wurde dieses Vorhaben nach diversen Verzögerungen endlich Wirklichkeit, Leider vereitelte die Corona-Pandemie ein offizielles großes Einweihungsfest, doch letztlich zählen die freudigen Verlautbarungen von Lehrern und Schülern über das nun endlich genügend Raum für Training, Unterricht und Proben bietende Gebäude.

Kultusministerin Dr. Theresa Bauer und Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper wiesen in ihren Ansprachen auf die viele Überzeugungsarbeit hin, die bis zur Gründung der Schule und dem grünen Licht für den Neubau geleistet werden musste, wie auch auf den Sinn für Gemeinschaft als zentrales Anliegen Crankos hin. Auch Schuldirektor Tadeusz Matacz, seit bald 24 Jahren im Amt, griff in seiner knappen, aber ehrlich und spürbar bewegten und gerührten Begrüßung diesen entscheidenden Punkt auf. Ihr Bestand ist durch eine jüngst von den beiden Cranko-Erben Dieter Gräfe und Reid Anderson ins Leben gerufene Stiftung gesichert, wird doch nach deren Tod das gesamte Vermögen an die Schule gehen. Um Crankos Lieblingskind müssen wir uns also keine Sorgen machen, und angesichts der Präsentationen dieses Gala-Programms um den Nachwuchs schon gar nicht. Unter Beteiligung aller derzeitigen und einiger ehemaligen Absolventen, die heute zumeist Mitglieder des Stuttgarter Ballett sind, ging eine bunte Mischung aus dem Repertoire der Cranko-Schule zusätzlich zweier dafür kreierter Uraufführungen über die Bühne.

DRIFTING BONES“ des Tänzer und Choreographen Alessandro Giaquinto ist ein mehrteiliges, manchmal ausschweifendes Stück, das die drei Mädchen und fünf Jungen der beiden Akademie-Klassen mit Leichtigkeit und Leidenschaft als sehr dichte Verschwisterung von Choreographie und Musik (Bach) mit recht durchdachter Bewegungsstruktur servieren. Die Akademie-Schülerin Alice McArthur wiederum hat sich ihr Solo „EMBER“ gleich selbst auf den Leib geschneidert – mit bereits deutlich spürbarer Einfühlsamkeit in die Musik (ebenfalls Bach). Noch deutlicher wird diese frühe Fähigkeit bei ihr in einem Ausschnitt aus „DIE SCHÖPFUNG“ von Uwe Scholz, der wieder einmal zeigte, welche besondere Koryphäe Klang und körperlichen Ausdruck total ineinander aufgehen zu lassen, mit seinem viel zu frühen Tod verloren gegangen ist. In einem von acht Jungen sekundierten Pas de deux, durch den McArthur von Mitchell Millhollin zuverlässig hilfreich getragen wird, sowie einem Solo, vom besonders talentierten, langbeinigen Gabriel Figueredo mit sicherster Balance zu würdiger Größe erhoben, stellte sich tiefe Ergriffenheit ein.

Desweiteren wechselten eher getragene mit vorwärtsdrängend temperamentvollen, elegant klassische bis hin zu vom Modern Dance geprägte Beispiele in Form von Soli, Pas de deux und Gruppeneinsätzen ab.

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Expressives Talent: Ava Arbuckle in „Woman“ (Lewellen & Stevens). Copyright: Stuttgarter Ballett

Die Soli: Cypress Schaff (Klasse 3) tupfte die Spitzenkombinationen in Mikhail Fokines „PAVILLON D’ARMIDE“ ganz locker auf die Bühne, Ava Arbuckle bewegte sich schlangengleich durch den schnell mäandernden Ablauf von „WOMAN“ (Choreographie: Catherine Lewellen & Brian Stevens), Clara Thiele (Akademie B) weiß in „OPPOSING TRUTHS“ (Choreographie: Jamie Leverett) über den reinen Tanz hinausweisende Bedeutsamkeiten mit ihrem Körper aufzudecken, Katia Battaggia (Akademie A) gelingt es in „VOICES“ (Choreographie: Sabrina Massignani) jenseits der in verschiedenen Sprachen aus dem Off dringenden Text-Geräusche volle Konzentration auf ihren Ausdruck zu legen. Und der heute im Nationaltheater Mannheim tanzende Lorenzo Angelini eroberte in „TODOS OS AIS SAO MEUS“ (Choreographie: Catarina Antunes Moreira) das Publikum mit Kraft und Entfesselung im Sturm.

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Köstlicher englischer Humor: Marti Fernandez Paixa, Anouk van der Weijde und Aiara Iturrioz Rico in Crankos „Pineapple Poll“. Copyright: Stuttgarter Ballett

Sir Kenneth MacMillans „CONCERTO“ als einziger Duo-Beitrag hatte in Jolie Lombardo und Clemens Fröhlich zwei Interpreten mit weitreichendem Partnerschafts-Gefühl und Gespür für den langsamen Atem der Schostakowitsch-Musik. Zu den Pas de trois zählte ein solcher aus Crankos „PINEAPPLE POLL“, in dem sich Aiara Iturrioz Rico, Anouk van der Weijde und Marti Fernandez Paixa wohl selbst köstlich am englischen Humor delektierten. Oder „LAMENTO DELLA NINFA“ von Stephen Shropshire, wo sich Natalie Thornley-Hall in den lenkenden Armen von Christopher Kunzelmann und Vincent Travnicek einem verblüffenden Bewegungskanon hingibt. Und nicht zuletzt Marco Goeckes überarbeitetes „A SPELL ON YOU“, das das famos konzentrierte Trio Timoor Afshar, Alessandro Giaquinto und Riccardo Ferlito durch ein reichhaltig erregtes Körperspiel, unterstützt von Nina Simones aufwühlender Musik treibt.

Letzterer gibt als Joker, assistiert von der fünfköpfigen Herz-Suite (Jungen der Akdamie A) in der zweiten Runde von Crankos „JEU DE CARTES“ einen guten Vorgeschmack auf eventuelle künftige Einsätze.

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Herausragender Nachwuchs: Lincoln Sharp in „Abdallah“ (Bournonville). Copyright: Stuttgarter Ballett

Ganz klassisch im bei uns mit Ausnahme von „La Sylphide“ viel zu selten sehenden Bournonville-Stil mit den typischen Battements bewegt sich ein Pas de quatre aus dessen „ABDALLAH“, in dem der glänzend präparierte Lincoln Sharp um Goldene Schuhe und gleich drei Mädchen (ebenbürtig in unterschiedlichen Disziplinen: Beatriz Domingues, Aoi Sawano, Celine Urquhart) buhlt.

Äußerst reizvoll fiel das Wiedersehen von zwei Sequenzen aus dem „KARNEVAL DER TIERE“ aus, den der ehemalige Schüler und Hauschoreograph sowie heutige Direktor des Balletts am Rhein Demis Volpi für die Cranko-Schule faszinierend phantasievoll zum Leben erweckt hatte. Die unbeholfenen Küken wie auch das mit fließenden Farben und dem Spiel der Arme leuchtende Aquarium weckten die Lust, wieder mal dem ganzen Stück zu begegnen.

Von den beiden weiteren Ensemble-Tänzen ist der erste Satz aus der „KLASSISCHEN SINFONIE“ von Prokofiew (Choreographie: Leonid Lawrowsky) mit Mädchen und Jungs der Akademie-Klassen genauso ein gutes Lehrbeispiel wie die „GLASUNOV-SUITE“ von Hideo Fukagawa mit Musik des gleichnamigen Komponisten. Auch da Hut ab vor dem hohen, bühnenreifen Standard der beteiligten TänzerInnen. Für eine von ihnen hatte Ballettintendant Tamas Detrich im Schlussjubel ein spontan überraschendes Geschenk in Form eines Vertrages für die Compagnie. Zuvor gab es noch eine synchrone Vereinigung aller SchülerInnen in den immer wieder gern präsentierten „ETUDEN“ (arrangiert von Tadeusz Matacz und dessen Frau Barbar), die sich von kleinen Fußbewegungen bis hin zu den raumgreifenden Sprüngen der Jungen kontinuierlich steigern.

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Finale Vereinigung in den Etuden (Matacz). Copyright: Stuttgarter Ballett

Zuletzt wurden noch alle Ballettlehrer auf die Bühne geholt und mit in den rauschenden Applaus, Blumen und Girlanden einbezogen. Eine Feier – ganz nach Stuttgarter Art.

Zum Jubiläum wurde auch ein gebundenes Buch über die Geschichte der Schule heraus gegeben, gegliedert nach den Amtszeiten der einzelnen Direktoren Anne Wooliams, Heinz Clauss, Alex Ursuliak bis hin zu Tadeusz Matacz, mit Interviews mit den drei bedeutenden Zeitzeugen Marcia Haydée, Georgette Tsinguirides und Reid Anderson, einer tabellarischen Listung aller Jahrgänge mit den Namen der Absolventen, der erfolgten Uraufführungen und getanzter Werke, unternommener Gastspiele, gewonnener Preise sowie nicht zuletzt Fotomaterial aus 50 Jahren Schulgeschichte.

  Udo Klebes

 

 

 

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