„Les Enfants Terribles“ mit der Jungen Oper (JOiN) im Nord am 12. 3. 2022/STUTTGART
Momentaufnahme mit traurigem Gesang
Philipp Nicklaus, Elliott Carlton Hines, Laia Vallies. Foto: Matthias Baus
Diese Tanzoper von Philip Glass mit dem Text von Susan Marshall und Philip Glass nach dem gleichnamigen Roman von Jean Cocteau zeigt in verschiedenen Sequenzen und Passagen ein eindringliches Beziehungsgeflecht, das nur schwer zu entwirren ist: „Dieses ansaugende, dieses verschlingende Zimmer, das sie zu verabscheuen glaubten, durchtränkten sie mit dem Element ihrer Träume.“ Die Regie von Corinna Tetzel (Bühne und Kostüme: Judith Adam) beleuchtet hier das Leben der Geschwister Paul und Elisabeth, die in beengten Räumlichkeiten leben. Offensichtlich verhalten sie sich wie ganz normale Geschwister und haben keine Geheimnisse voreinander. Dritter im Bunde ist ihr gemeinsamer Freund Gerard, der heimlich in Elisabeth verliebt ist. Als Beobachter und Protokollant dieser abgründigen Geschwisterbeziehung kommt ihm allerdings eine sehr undankbare Aufgabe zu. Corinna Tetzel arbeitet in ihrer subtilen Inszenierung die psychologischen Spitzfindigkeiten gut heraus. Dies wird sogar noch deutlicher, als Paul den geheimnisvollen Dargelos trifft, der auch Agathe ähnelt – da ist dann nichts mehr, wie es vorher war. Er wird krank und die Beziehung der Geschwister gerät ins Wanken. Paul beherrscht hier zwar die Fähigkeit des Wachschlafs wie in einem Rausch, aber er kommt mit der Realität nicht mehr zurecht. Elisabeth nimmt eine Arbeit an und heiratet schließlich. Doch ihr Bräutigam Michael kommt bei einem Autounfall ums Leben. Als Agathe bei ihnen einzieht, bahnt sich eine Katastrophe an, weil Paul sich in sie verliebt. Jetzt sind nämlich die beiden Frauen Elisabeth und Agathe in heftiger Weise aufeinander eifersüchtig.
Elliott Carlton Hines, Philipp Nicklaus, Laia Vallies. Foto: Matthias Baus
In der Inszenierung versucht sich Paul mit einer Pistole selbst zu töten, was ihm jedoch nicht gelingt, weil sie nicht geladen ist. In der ursprünglichen Version nimmt er wegen seiner unglücklichen Beziehung zu Agathe am Ende Gift. Bei Cocteau kann Elisabeth nicht ertragen, nach Mutter und Vater auch noch den Bruder zu verlieren. Sie tötet sich selbst im Moment seines Todes.
Ein sehr tragisches Ende also, dass jedoch in der Stuttgarter Inszenierung deutlich abgeschwächt wird. Hinzu kommt hier nämlich noch eine ironische Komponente mit turnenden Kindern, die das Geschehen mächtig beleben und aufheizen. Was das Ganze allerdings mit einer „Tanzoper“ zu tun haben soll, bleibt trotz allem ein Rätsel. Musikalisch besitzt die Aufführung starke Klangreize, deren minimalistische Finessen von den drei vorzüglichen Pianisten Yuri Aoki, Ugo Mahieux und Christopher Schumann suggestiv herausgearbeitet werden. Auch gesanglich besitzt diese Produktion deutliche Vorzüge, was vor allem Laia Valles als Elisabeth sowie Judith Bleifuß als Dargelos/Agathe deutlich werden lassen. Als Paul brilliert Elliott Carlton Hines mit opulentem Bariton, während Philipp Nicklaus als Gerard ein tragfähiges Stimmvolumen besitzt.
Unter der musikalischen Leitung von Virginie Dejos entwickeln sich die relativ einfachen Arpeggien und Akkorde wie von selbst, auch die Einflüsse der indischen Musik um Ravi Shankar werden hörbar. Ein hypnotischer Stil prägt sehr stark das harmonische Geschehen, auf den auch die Sänger eingehen. Und die Gesangspartien lockern das statische Gerüst der Komposition merklich auf. Natürlich sind alle Partituren von Philip Glass irgendwie ähnlich, doch hier überwiegen doch die magischen Klangreize. Besondere Leistungen bieten auch die jugendlichen Turner Len Barthel, Alia Cieslok, Nele Estermann, Maja D’Angelo, Paula Gamm, Laura Hermann, Leonie Hermann, Caspar Schoner, Johanna Weber und Samuel Weber. Turnvater Jahn hätte seine Freude daran gehabt.
Starker Applaus, „Bravo“-Rufe.
Alexander Walther